Spanien:Feijóo scheitert im ersten Wahlgang

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Alberto Núñez Feijóo machte in der Debatte vor der Abstimmung erstaunliche Zugeständnisse, trotzdem verlor er knapp. (Foto: Javier Soriano /AFP)

Vier Stimmen fehlen dem Konservativen, um zu Spaniens neuem Regierungschef gekürt zu werden. Am Freitag hat er eine zweite, wenn auch geringe Chance.

Von Patrick Illinger, Madrid

Der Spitzenkandidat des konservativen Partido Popular für das Amt des spanischen Regierungschefs, Alberto Núñez Feijóo, ist bei der ersten Abstimmung im Kongress gescheitert. 172 der 350 Abgeordneten stimmten an diesem Mittwoch, mehr als zwei Monate nach den Nationalwahlen vom 23. Juli, für ihn. 176 wären für eine absolute Mehrheit nötig gewesen.

Vorangegangen war eine anderthalb Tage dauernde, teils konfliktive, teils konstruktive und teils geradezu komödiantische Debatte. Feijóo blieb während des mehr als 14-stündigen Redegefechts mit den elf Parteien des Parlaments in der Sache klar: Mit ihm werde es keine Amnestie für die Betreiber des katalanischen Abspaltungsversuchs von 2017 geben und auch kein Unabhängigkeitsreferendum. In Anspielung auf die Forderungen einiger der Regionalparteien sagte er: "Ich habe es satt, dass es bessere Menschen geben soll, ob Galicier, Basken oder Katalanen", und sprach sich für die Gleichheit aller Spanier aus.

Inhaltlich machte Feijóo eine Reihe von Ankündigungen, einige davon überraschend für einen konservativen Politiker: kostenfreie Kitaplätze für Kleinkinder, garantierte Rentenerhöhungen, einen Inflationsausgleich für Bedürftige, eine Reform des Rechtssystems und des Gesundheitssystems, das er mit einem Expertenrat renovieren wolle.

Ohne die ultranationalistische Vox kann Feijóo nicht gewinnen - mit ihr aber auch nicht

Er relativierte allerdings auch den Handlungsbedarf in Sachen Klimawandel und fand, dass Landwirte die besten Umweltschützer seien. Er nahm sich die Zeit, Bedürfnisse jeder der 17 Regionen Spaniens zu nennen, von der Schnellbahnstrecke für die Extremadura bis zum Wassermangel in Andalusien. Geld aus EU-Fonds solle künftig den Regionen direkt zugutekommen.

Um auch nur in die Nähe einer parlamentarischen Mehrheit zu gelangen, tat Feijóo, was getan werden musste: Er reichte den Abgeordneten der Ultranationalisten-Partei Vox die Hand. Mehrmals bedankte er sich bei deren Anführer Santiago Abascal - und bemühte sich zugleich, die Differenzen zu betonen.

An dieser Stelle wurde klar, woran Feijóos Kandidatur scheitern würde: Ohne die 33 Stimmen von Vox hätte er mit seinen 137 PP-Abgeordneten keine Chance auf eine Mehrheit. Aber mit Vox eben auch nicht. Die möglichen Beschaffer der wenigen noch fehlenden Stimmen, allen voran die Baskische Nationalpartei PNV, die in der Vergangenheit gelegentlich Feijóos Partido Popular unterstützt hat, lehnten jegliche Zusammenarbeit mit Vox ab. PNV-Chef Aitor Esteban sagte es am Mittwochmorgen unmissverständlich: Die fünf Stimmen seiner Partei könne Feijóo bekommen, aber dafür müsse er die 33 Stimmen von Vox ablehnen.

"Das hier ist kein Schulhof!", mahnt die Parlamentspräsidentin

Nur einer meldete sich an keiner Stelle zu Wort: Pedro Sánchez. Er ist der amtierende Regierungschef und wird im Falle von Feijóos endgültiger Niederlage vermutlich von König Felipe VI. mit der Regierungsbildung beauftragt. Zeitweise demonstrativ mit seinem Telefon beschäftigt überraschte Sánchez mit einem waghalsigen Manöver: Er überließ die Redezeit seiner Partei PSOE einem Hinterbänkler namens Óscar Puente.

Puente? Diesen Namen hatten auch politische Insider nicht auf dem Zettel. Der abgewählte Bürgermeister von Valladolid und neuerdings einer der 121 sozialistischen Kongress-Abgeordneten, ein Mann von bulliger Statur, mit fröhlichem Lächeln, verwandelte das Parlament 37 Minuten lang in ein Wirtshauskabarett. Schlagfertig, kumpelhaft, mit ansteckendem Witz, aber auch voller Häme schüttete Puente eimerweise Spott über Feijóo aus.

Dieser blieb ruhig, selbst als die Parlamentspräsidentin den Saal kaum mehr unter Kontrolle brachte: "Das hier ist kein Schulhof!", ermahnte sie Abgeordnete, die den amtierenden Regierungschef Sánchez einen "Feigling" genannt hatten, weil dieser nicht selbst an das Redepult getreten war. Ein Zeichen der Verachtung für den PP-Kandidaten.

Bei der nächsten Abstimmung reicht die einfache Mehrheit - auch die ist nicht sicher

Feijóo schaffte es, seine Positionen während des Debattenmarathons schlüssig zu vertreten ("Ich sage, was ich denke, mehr kann ich nicht tun"). Er tat dies teils mit listigem Humor gewürzt, teils mit aggressiver Konfrontation, zum Beispiel gegenüber den sechs Abgeordneten der Baskenpartei EH Bildu, die verurteilte Ex-Mitglieder der Terrororganisation ETA in ihren Reihen hat. Doch außer den Stimmen der rechtsextremen Partei Vox konnte Feijóo lediglich den einen Abgeordneten der Regionalpartei von Navarra sowie eine Abgeordnete der Kanarischen Inseln für sich gewinnen.

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Am Freitag wird der Kongress ein zweites Mal über Feijóo als künftigen Regierungschef Spaniens abstimmen. Anders als bei dem Votum an diesem Mittwoch würde dann eine einfache Mehrheit genügen, um in das Amt zu gelangen. Doch bleibt es bei den bisherigen Ankündigungen der Parteien, und brechen keine Abgeordneten mit der Parteidisziplin, wird es bei den 172 Ja-Stimmen bleiben, bei voraussichtlich 173 Gegenstimmen. Es würde, denkbar knapp, auch dann nicht für den Kandidaten der Konservativen reichen.

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