Spanien:Pedro Sánchez erneut zum Regierungschef gewählt

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In der Aussprache vor seiner Wahl stellte Pedro Sánchez seinen Pakt mit den Separatisten mit einigen rhetorischen Kniffen als friedensstiftende Maßnahme dar. (Foto: Susana Vera /Reuters)

Bei der Parlamentswahl landete der Sozialist nur auf dem zweiten Platz, kann dank sechs kleinerer Parteien aber Ministerpräsident bleiben. Doch die Bruchlinien dieser Koalition zeigen sich schon jetzt.

Von Patrick Illinger, Madrid

Das spanische Parlament hat den seit 2018 regierenden Sozialisten Pedro Sánchez für vier weitere Jahre zum Ministerpräsidenten gewählt. Für Sánchez stimmten 179 der 350 Abgeordneten und somit eine absolute Mehrheit des Kongresses. Bei den Nationalwahlen im Juli war Sánchez' Partei PSOE mit 121 Abgeordnetensitzen nur zweitstärkste Kraft. Der Sozialist konnte sich in den vergangenen Wochen aber die Unterstützung von sechs kleineren Parteien sichern.

Der Abstimmung vorausgegangen war eine anderthalbtägige, teils aggressiv und polemisch geführte Debatte, bei der Sánchez' politische Gegner ihm insbesondere den Pakt mit den beiden separatistischen Parteien Kataloniens vorwarfen. Um sich deren Abgeordnetenstimmen zu sichern, hatte Sánchez unter anderem mit dem nach Belgien geflüchteten, katalanischen Ex-Präsidenten Carles Puigdemont ein Amnestiegesetz für die Betreiber des illegalen Abspaltungsversuchs von Oktober 2017 ausgehandelt. Ein solches Abkommen hatte Sánchez vor der Wahl stets ausgeschlossen.

"Das, was sich heute in dieser Kammer abspielt, wurde nicht an den Urnen gewählt", sagte Alberto Núñez Feijóo, der Vorsitzende des konservativen Partido Popular und Anführer der größten Parlamentsfraktion. Er sprach von "Betrug" und "politischer Korruption". Seine Wahl habe sich der Sozialist Sánchez "erkauft". Dieser müsse nun mit erbitterter Opposition rechnen, nicht nur im Parlament, sondern auch auf der Straße.

Zwischen den beiden großen Volksparteien ist jedes Band zerschnitten

Feijóo ließ wenig Zweifel daran, dass zwischen den beiden traditionellen Volksparteien derzeit jegliches Band zerschnitten ist. Darunter dürften künftig Reformprojekte leiden, die eine parteiübergreifende Initiative brauchen, zum Beispiel eine Reform des höchsten Aufsichtsgremiums der Justiz, das politisch besetzt wird und im Ruf steht, nicht unabhängig zu agieren.

Pedro Sánchez hatte die Parlamentsdebatte am Mittwoch mit einer mehr als 100-minütigen Ansprache eingeleitet, in der er zunächst eine umfassende Bilanz seiner bisherigen Amtszeit zog und diverse Versprechen für die Zukunft machte. Das umstrittene Thema der Amnestie sprach er erst im letzten Drittel seiner Rede an. "Die Dinge sind, wie sie sind", sagte er dazu, aus der Not müsse man jetzt eine Tugend machen. Den Pakt mit den Separatisten stellte Sánchez mit einigen rhetorischen Kniffen als friedensstiftende Maßnahme dar. Gleichzeitig bekannte er sich zur Einheit Spaniens.

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Wenn Regierungschef Sánchez mit dem Separatisten Puigdemont gemeinsame Sache macht, dient das nur einem Zweck. Und zeigt: Die spanische Politik ist jetzt noch polarisierter als vor der Wahl.

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Doch konnte die Redekunst des spanischen Regierungschefs die Bruchlinien nicht verbergen, die sich künftig nicht nur zwischen links und rechts, sondern auch innerhalb seines Unterstützerkreises auftun könnten. Sichtlich angespannt trat Míriam Nogueras, die Parlamentssprecherin der Puigdemont-Partei Junts per Catalunya, am Mittwochabend ans Mikrofon. Sie verlangte von Pedro Sánchez ein stärkeres Bekenntnis zu dem in Belgien ausgehandelten Pakt, der auch weitere Fortschritte in der Beziehung zu Katalonien einfordere. Dies habe er bei seiner Ansprache am Mittwochmorgen vermissen lassen, was ihr "Unwohlsein" bereite.

"Fordern Sie Ihr Glück mit uns nicht heraus", sagte sie. "Ihre Rede war nicht mutig." Kurz schien es, als breche Sánchez' Unterstützerbündnis vor dem versammelten Parlament in Stücke. Am Donnerstagmorgen verbreitete Nogueras in der spanischen Presse die Bestätigung, dass Junts trotz der Vorbehalte für Sánchez stimmen werde. Die künftige Regierung müsse sich die Unterstützung aber "Stück für Stück" verdienen.

Der Chef der Vox-Partei bezichtigte Sánchez in einer Wutrede mehrmals des "Staatsstreichs"

Auch die linke Baskenpartei EH Bildu stelle Sánchez keinen "Blankoscheck" aus, sagte deren Parlamentssprecherin Mertxe Aizpurua bei der Fortsetzung der Debatte am Donnerstag. Sánchez bestätigte Israels Recht auf Selbstverteidigung, forderte aber einen Waffenstillstand und die Anerkennung eines palästinensischen Staates. Die größte Zuneigung erfuhr der Sozialist erwartbar von seinem wichtigsten Koalitionspartner, dem Linksbündnis Sumar, das in den kommenden vier Jahren die bisherige Rolle der Partei Unidas Podemos einnehmen und einige Ministerposten bekommen wird. Deren Anführerin Yolanda Díaz, in der vergangenen Legislaturperiode bereits Arbeitsministerin, forderte unter anderem eine Verringerung der Arbeitszeit bei gleicher Bezahlung sowie einen höheren Mindestlohn. Sánchez nutzte die Debatte, um seinerseits kostenfreien Nahverkehr für Alte, Jugendliche und Arbeitslose anzukündigen sowie die Ausweitung sozialpsychologischer Dienste im ganzen Land.

Die Abgeordneten der Partei Vox führten unterdessen vor, wie stark sich die 2015 gegründete rechtsextreme Bewegung mittlerweile radikalisiert hat. Deren Anführer Santiago Abascal bezichtigte Sánchez in einer Wutrede mehrmals des "Staatsstreichs" - Worte, die später auf Anweisung der Parlamentspräsidentin aus dem Protokoll gestrichen wurden. Geschlossen verließen die 33 Vox-Abgeordneten den Parlamentssaal und blieben auch am Donnerstagmorgen der Debatte fern. Abascal wurde am Mittwochabend bei den seit zwei Wochen vor der Parteizentrale der PSOE stattfindenden Protesten gesichtet, wo faschistische Kampflieder gesungen und Flaggen mit dem Wappen Francisco Francos geschwungen werden.

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Sogar mit dem konservativen Partido Popular suchte Vox-Chef Abascal die Konfrontation: Sollte Feijóo nicht mit allen Mitteln gegen das Amnestiegesetz kämpfen, drohte Abascal mit einem Bruch der Koalitionen, die zwischen Vox und PP auf regionaler Ebene bestehen. Feijóo ist zwar ein Gegner des Gesetzes, verneint aber nicht dessen demokratische Legitimation.

Für einen Eklat von der Seitenlinie sorgte ein Zwischenruf der Präsidentin der Region Madrid, der PP-Politikerin Isabel Díaz Ayuso. Als Reaktion auf einen Seitenhieb, den Sánchez gegen sie ausgeteilt hatte, murmelte sie von der Tribüne etwas, das viele als "Was für ein Hurensohn" ("qué hijo de puta") verstanden. Dies wollte sie später auf andere Art interpretiert wissen: Sie habe "me gusta la fruta" ("ich mag gern Obst") gesagt - und das habe Sánchez auch verdient.

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