Landratswahl in Sonneberg:Die einen triumphieren, die anderen suchen nach Schuldigen

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Sieger mit Chefs: Neu-Landrat Robert Sesselmann (M.) mit Parteichef Tino Chrupalla (r.) und Björn Höcke, dem Chef der offiziell rechtsextremistischen Thüringer AfD. (Foto: MARTIN SCHUTT/AFP)

Die AfD feiert ihren Wahlsieg in Sonneberg - aber durchregieren kann sie nicht. Das stellt vor allem die CDU vor praktische Fragen. Doch zuerst müssen sie und die anderen Parteien eine Erklärung finden.

Von Iris Mayer, Sonneberg

Am Abend seines Triumphes steht Robert Sesselmann am Rande eines Wäldchens zwischen seinen Chefs. Zu seiner Rechten Björn Höcke, Landesverbands- und Fraktionsvorsitzender der Thüringer AfD, zu seiner Linken der Bundesvorsitzende Tino Chrupalla. Hinter den Männern blaue Luftballons und ein Banner mit der Aufschrift "Stark für die Heimat", im Tal die Spielzeug-Stadt Sonneberg. Vor dem Ausflugslokal "Frankenbaude" ist der Jubel laut, als feststeht, dass Sesselmann der erste Landrat wird, den die AfD in Deutschland stellt. Schulterklopfen, Siegerfäuste, es gibt Bier, Rotkäppchen-Sekt und Thüringer Bratwürste. Später spielen sie "Die perfekte Welle" und bitten die Presse zu gehen, denn man wolle hier "privat feiern".

Der Wahlsieger kündigt staatstragend an, mit allen Fraktionen zu sprechen, es gehe ihm schließlich um Sachthemen wie Haushaltskonsolidierung und Schulsanierungen. Dann sagt der 50-jährige Rechtsanwalt und Landtagsabgeordnete: "Die AfD ist nunmehr als Volkspartei hier im Kommunalbereich in Thüringen und auch in der Bundesrepublik angekommen." Höcke, den die Staatsanwaltschaft Halle gerade wegen des Verwendens einer SA-Parole im Wahlkampf angeklagt hat, sieht ein "politisches Wetterleuchten" und hofft auf ein "politisches Erdbeben" bei den Landtagswahlen im Osten. Dort wird 2024 neben Thüringen auch in Brandenburg und Sachsen gewählt. Chrupalla verkündet, dies sei erst der Anfang, jetzt "machen wir Politik für den Bürger und niemand anderen".

"Die unsägliche Politik der Bundesregierung" sei der Grund, sagt der Verlierer

Damit ist die strategische Bandbreite der AfD, deren Thüringer Landesverband vom Verfassungsschutz als gesichert rechtsextremistisch eingestuft wird, ganz gut beschrieben. Auf der einen Seite das Beteuern, es gehe um Sachfragen in einem Landkreis, den man im Wahlkampf mit Parolen für Grenzsicherung, Mehrwertsteuersenkung und Bekenntnissen wie "Diesel ist super!" geradezu gepflastert hat - alles Themen, die ein Landrat nicht zu entscheiden hat. Auf der anderen Seite Höckes "politisches Erdbeben" als großes Ziel. Und irgendwo dazwischen suchen die anderen Parteien seit Sonntagabend nach einer angemessenen Reaktion.

Der unterlegene Jürgen Köpper (CDU) ist der Erste, der etwas sagen muss, und er hat schnell Schuldige ausgemacht: "Was uns auf die Füße gefallen ist, war wirklich die unsägliche Politik der Bundesregierung. Vielen Dank." Köppers Kreisvorsitzende Beate Meißner konnte Sesselmann 2019 noch schlagen, als es um das Direktmandat für den Landtag ging. Diesmal hat sie Wahlkampf für Köpper gemacht, Flyer verteilt, unermüdlich Leute angesprochen. "Wir müssen die Nichtwähler mobilisieren, das ist unsere einzige Chance", sagte sie vor der Stichwahl.

Das ist zwar gelungen, am Sonntag stimmten 59,6 Prozent der Wahlberechtigten ab, gut elf Punkte mehr als zwei Wochen zuvor. FDP, Grüne, SPD und Linke hatten ihre Wähler aufgerufen, Köpper zu wählen - doch am Ende konnte auch Sesselmann von der höheren Wahlbeteiligung in der zweiten Runde profitieren. Er kam auf 52,8 Prozent - ein Zugewinn von fast fünf Punkten.

Ohne die anderen Parteien kann die AfD nichts durchsetzen

"Das ist Demokratie", sagt die CDU-Kreischefin Meißner am Sonntagabend schockiert und enttäuscht. Das Ergebnis sei nicht nur ein Denkzettel, sondern eine volle Breitseite, "aber nicht gegen den CDU-Kreisverband Sonneberg, sondern gegen die CDU auf Bundesebene". Dort ist es auffallend still am Montag, lediglich Generalsekretär Mario Czaja verkündet: "Die Bundesregierung spaltet das Land." Sein Thüringer Landes-Pendant Christian Herrgott befindet: "Mit dem Wahlergebnis ist klar, dass jetzt wir alle die Aufgabe haben, Lösungen gegen diese Art des Protestes gegen Berlin zu finden."

Vor Ort aber steht die CDU nun vor der sehr praktischen Frage, ob und wie sie mit einem AfD-Landrat Sesselmann kooperiert. Im Kreistag stellt die AfD neun von 40 Abgeordneten, kann ohne die anderen Parteien keine Beschlüsse durchsetzen; die CDU hat zehn Mandate. Schon in der Vergangenheit stimmte die AfD im Kreistag auch Anträgen der CDU zu, allerdings ohne feste Absprache, wie Köpper betont. Er selbst ist vom Kreistag als erster Beigeordneter bis Februar 2025 gewählt, hat als stellvertretender Landrat seit gut zwei Jahren den erkrankten Amtsinhaber Hans-Peter Schmitz vertreten.

Der linke Ministerpräsident versucht, das Ergebnis niedrigzuhängen

Bleibt Köpper im Amt, müsste er künftig AfD-Landrat Sesselmann und dessen Politik nach außen verkörpern. Sesselmann hat darauf im Wahlkampf bereits genüsslich hingewiesen und für den Fall einer Arbeitsverweigerung mit arbeitsrechtlichen Konsequenzen gedroht. Für eine Antwort auf die Frage nach seinem persönlichen Schicksal ist Köpper am Montag für die SZ nicht zu erreichen, am Dienstag tagt der Landesvorstand der CDU, man darf davon ausgehen, dass das Thema dort eine Rolle spielt.

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Selbstkritische Töne kommen von Thüringens SPD-Chef und Innenminister Georg Maier. "Die Dysfunktionalität unseres Parlaments ist für das Wahlergebnis ganz sicher mitverantwortlich", sagt er der Deutschen Presse-Agentur. Bei vielen Themen, die die Menschen bewegten, gebe es zu wenig erkennbare Fortschritte, weil die rot-rot-grüne Minderheitsregierung ständig auf die Zustimmung der CDU angewiesen sei. "Wir drehen uns wirklich teilweise im Kreis", sagt Maier. Der Koalition aus Linkspartei, SPD und Grünen fehlen im Landtag vier Stimmen zur eigenen Mehrheit, in grundlegenden Fragen wie bei der Verabschiedung des Haushaltes ist sie auf die Zustimmung der CDU angewiesen.

Ministerpräsident Bodo Ramelow (Linke) bemüht sich am Tag danach, das Ergebnis einer "demokratisch legitimierten Wahl" niedrigzuhängen. Sesselmann habe nun ein Wahlmandat für die öffentliche Verwaltung, "eingebettet in die Mehrheitsverhältnisse eines Kreistages". Maier geht davon aus, dass Sesselmann versucht, "Sand ins Getriebe zu streuen". Als Landrat wird er unter anderem die Unterbringung Geflüchteter organisieren müssen. Der Deutsche Landkreistag weist vorsorglich darauf hin, dass sich auch ein AfD-Landrat an Recht und Gesetz zu halten habe.

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