Als zum ersten Mal der Name Jürgen Trittin fällt, würde Simone Peter am liebsten aus der Haut fahren. Sie sitzt in ihrem Berliner Büro, sie hat da einen einfachen, aber massiven Holztisch, an dem sie ihre Gäste mit Tee und Sprudel bewirtet. Sie lächelt freundlich und will unbedingt zufrieden wirken. Doch dann kommt da dieses Wörtchen Trittin geflogen - und Peters Gesicht verfinstert sich derart, dass man plötzlich fürchten muss, sie könnte gleich ihr Glas an die Wand werfen.
Es ist Herbst geworden. In Berlin jagt der Wind braune Blätter um die Ecken. Und um die Parteizentrale der Grünen ist dieser Tage nicht nur der Himmel ziemlich grau geworden. In der Hauptstadt spukt ein sehr lebendiger Geist namens Jürgen Trittin durch die Straßen, der Cem Özdemir aus langjähriger Abneigung in Wallung bringt, aber auch Simone Peter alles andere als guttut.
Es ist der Ex-Fraktionschef, Ex-Spitzenkandidat, Ex-Anführer der Partei, der für die derzeitige Ko-Vorsitzende zu einem Problem wird. Nicht, weil die beiden unentwegt streiten würden. Im Gegenteil. Es hat sich nach einem Jahr Amtszeit eher der Eindruck verfestigt, dass die beiden politisch womöglich viel zu eng Seit an Seit kämpfen. Jedenfalls zu eng, als dass das Peter irgendwie nutzen würde. Denn immer mehr grüne Abgeordnete und sonstige Parteikollegen erzählen sich mittlerweile Geschichten, in denen Peter mal als Sprachrohr (noch wohlwollend) oder als Marionette (richtig bösartig) des alten Oberbosses beschrieben wird.
Das Gift entfaltet längst seine Wirkung
Derlei Geschichten sind natürlich gemein und unfair. Und Peter kämpft seither sehr verständlich darum, ihre Identität als eigenständige Politikerin zu retten. Aber das Gift, das derzeit unablässig verstreut wird, entfaltet längst seine Wirkung, auch, weil der Boden, auf den es fällt, gefährlich fruchtbar ist für derartige Bosheiten. Denn Trittin spielt nach wie vor mit allen möglichen Ambitionen.
Und die Parteispitze sitzt in einer Situation fest, in der die Umfragen zwar okay sind, aber die Zweifel an der Führung wachsen. Mal ist es die Fraktionsführung, von der es heißt, sie solle bald abgelöst werden (was ziemlich falsch ist); mal ist es die Doppelspitze in der Partei, über die immer mehr Leute abfällig reden, weil sie nach außen kaum Wirkung entfaltet (was eher der Wahrheit entspricht).
Die Folge ist, dass "wir in einer Phase der persönlichen Profilierung stecken", wie es ein führender Grüner ausdrückt. Mit anderen Worten: Nach einem Jahr, in dem die Grünen-Spitze vor allem bemüht war, Ruhe in den Laden zu bringen, ist nun eine Zeit angebrochen, in der ganz oben jeder vor allem für sich selbst kämpft.
Mit dem Trittin-Etikett wird sie keine eigene Statur entwickeln
So gesehen hätte die 48-jährige Peter Anlass genug, wegen der Trittin-Giftereien mal auf die Tischplatte zu hauen; ihrem Zorn darüber Raum zu geben. Denn wenn das Trittin-Etikett an ihr haften bleibt, dürfte es ihr schwerfallen, jemals eine wirklich eigene Statur zu entwickeln. Doch erstens wäre das Auf-den-Tisch-Hauen gar nicht so einfach, weil Peter und Trittin viele Fragen doch sehr ähnlich bewerten. Und zweitens könnte Peter derzeit eines ganz sicher nicht gebrauchen: sich auch noch von einem ihrer wichtigsten Verbündeten zu distanzieren.
So zornig also, wie sie gerade noch aussah, so kontrolliert sucht sie jetzt nach den richtigen, den unangreifbaren Sätzen. Dann sagt sie: "Mit Jürgen Trittin tausche ich mich regelmäßig aus, wie mit anderen grünen Parteifreundinnen und -freunden auch." Und sie fügt hinzu: "Ich schätze seine politischen Fähigkeiten und teile auch so manche Position." Na dann, denkt man sich da. Dann ist ja alles in bester Ordnung - und alles wahnsinnig langweilig.
Wahrscheinlich sind ihre beiden Sätze gar nicht schlecht, um Peters Problem zu beschreiben. Sie sind sehr korrekt, sie halten Linie, sie haben nichts, was nach Zorn und Selbsterhaltungstrieb, nach Haken, Ösen, Authentizität klingen könnte. Diese Sätze passen also zu dem grundsätzlichen Eindruck, dass Simone Peter auch nach einem Jahr Berlin nicht selbstbewusst auf ihrem Stuhl sitzt, sondern ziemlich unbehaust wirkt in der Hauptstadt. Das mag damit zu tun haben, dass Mann und Kind bis heute im Saarland leben und ihr natürlich fehlen.
Noch mehr aber schlägt durch, dass sie in diesem Amt bis heute recht alleine arbeitet. Sie hat keine echte Hausmacht in der Partei; sie sitzt nicht im Bundestag; sie ist in der Fraktion also nur Gast und keine Größe. Das kann furchtbar grausam sein; viele Ex-Parteichefs erzählen darüber bis heute schaurige Geschichten.
Peter reagiert darauf ebenso verständlich wie ängstlich. Zum einen, das berichten alle, die man fragt, stürzt sie sich so fleißig in die Arbeit wie niemand sonst in der Berliner Führung, Das klingt erst wie ein Kompliment und dann doch nur wie ein sehr mittelprächtiges Zwischenzeugnis. Zum anderen hat sie sich offenkundig dafür entschieden, immer genau das Lager zu bedienen, aus dem sie selbst kommt: das der Parteilinken.
Alte Reflexe statt neuer Ideen
Diese Linientreue durchzieht ihre Arbeit. Als die Länder mit dem Bund einen Kompromiss beim Erneuerbare-Energien-Gesetz schlossen, geißelte Peter das sofort als unzureichend. Als in Sachsen nach der Landtagswahl eine schwarz-grüne Koalition immerhin möglich zu sein schien, warnte sie (im Gleichklang mit Trittin) vor einem solchen Bündnis. Und noch bevor Winfried Kretschmann mit der Regierung einen Asylkompromiss schloss, hatte Peter klargemacht, dass sie einen ebensolchen Kompromiss auf jeden Fall ablehnen würde.
All das passt stets zu dem, was sehr Entschlossene vom linken Flügel auch nachts um drei jederzeit aufsagen könnten. Aber es beißt sich mit dem Bemühen vieler anderer in der Partei, statt alter Reflexe neue Ideen zu produzieren. Während die Fraktionschefs Katrin Göring-Eckardt und Anton Hofreiter Versuche fördern, flügelübergreifend neue Konzepte fürs Ehegattensplitting, für die Steuer- oder eine grüne Wirtschaftspolitik zu erarbeiten, ist Peter "zu sehr auf der Suche nach dem richtigen Punkt im linken Lager", wie es ein führendes Fraktionsmitglied ausdrückt. Das hilft nicht, es schadet.
Peter gegen Özdemir, Trittin gegen Kretschmann
Nun lässt sich Peters Verhalten kaum erklären, ohne den Blick auch auf ihren Ko-Vorsitzenden Cem Özdemir zu lenken. Das macht die Sache aber auch nicht besser. So sehr sich Realo Özdemir, der schon unter Trittin Parteichef war, an diesem Trauma abarbeitet, so aggressiv reagiert Peter nun auf jeden Schritt von Özdemir. Das Misstrauen zwischen beiden scheint inzwischen so tief zu sitzen, dass sich manche Mitarbeiter schon fragen, wie die beiden überhaupt noch friedlich an ein und demselben Tisch sitzen können.
Doch was man humoristisch belächeln könnte, macht die Parteiführung immer wehrloser in einem Konflikt, der den Grünen richtig schadet: dem Konflikt zwischen Trittin und Kretschmann. Es ist der Kampf der älteren Männer, es geht um die grundsätzliche Frage, ob die Grünen für alles und auf ewig gegen viele Feinde kämpfen müssen. So lebt Trittin Politik seit 30 Jahren - und will davon nach wie vor keinesfalls abgehen. Oder ob sie als Teil der Mitte der Gesellschaft grüne Handlungs- und Regierungsfähigkeit beweisen sollen, wie es Kretschmann als Regierungschef in Stuttgart zeigen möchte.
Kretschmann nimmt keine Rücksicht mehr auf die Parteispitze
Hatte Kretschmann im Bundestagswahlkampf nach kurzer Kritik noch stillgehalten, so möchte er jetzt keine Rücksicht mehr nehmen auf eine Führung im Bund, die ihr Heil dauernd in Oppositionsattacken sucht. Er will sich auf seinen nächsten Wahlkampf vorbereiten: als Landesvater, der über dem Parteienstreit steht. Die Grünen-Spitze kann deshalb aus Stuttgart zwar Verständnis, aber für einen Kurs à la Trittin ganz sicher keine Loyalität mehr erwarten. Der jüngste Asylbeschluss, im Bund heftig umstritten, hat Kretschmann zu Hause wenig Ärger und viel Lob eingebracht.
Mit Peters bisheriger Strategie wird das nie zusammenpassen. Immerhin wollen alle aus den kleineren und größeren Katastrophen wie beim Asylbeschluss lernen. "Wir müssen uns besser koordinieren", heißt es aus der Partei. "Wir müssen das zerrüttete Vertrauen wieder aufbauen", schallt es zurück aus den Ländern, vor allem aus dem Südwesten.
Wie schwer das noch ist, lässt sich dann aber doch gleich wieder studieren. Der hessische Fraktionschef Mathias Wagner präsentierte vor wenigen Tagen einen Antrag für den Parteitag Ende November. Darin forderte er, die Grünen sollten aufhören, irgendwelche Koalitionsdebatten oder Farbenspiele zu führen und sich auf eigene, grüne Themen konzentrieren. Das wurde in Berlin, allen voran von Peter, nicht als Selbstverständlichkeit aufgefasst - sondern als Angriff empfunden. Solange solche Reflexe jegliche Gelassenheit verhindern, wird der Herbst für die Grünen lange dauern.