Terrorangriff in Kosovo:Immer mehr Indizien belasten Belgrad

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Angehörige und Mitglieder der Polizei beerdigen einen kosovarischen Beamten, der bei der Attacke serbischer Angreifer getötet wurde. (Foto: Florion Goga/Reuters)

Hat die serbische Regierung den schweren Terrorangriff im Norden Kosovos unterstützt? Die Hinweise verdichten sich. Die EU fordert beide Seiten zum "Dialog" auf.

Von Tobias Zick

Die serbische Justiz zeigte sich resolut. Vergangene Woche verurteilte ein Belgrader Gericht die 62-jährige Aida Ćorović zu einer Geldstrafe von umgerechnet gut 850 Euro, der Grund: Störung der öffentlichen Ordnung. Ihr Vergehen: Die bekannte Menschenrechtsaktivistin hatte vor zwei Jahren mehrere Eier auf ein Wandgemälde des verurteilten Kriegsverbrechers Ratko Mladić geworfen. Mladić, seinerzeit als serbischer General im Bosnienkrieg hauptverantwortlich für den Völkermord von Srebrenica und für die mörderische Belagerung von Sarajevo, wird bis heute in Serbien offen als Volksheld verehrt. Die Aktivistin, die sich per Eierwurf gegen diese Verehrung auflehnte, sagte damals nach ihrer Festnahme und Vernehmung auf der Polizeiwache in eine Fernsehkamera: Was man in diesem Moment sehe, sei "das Gesicht von Aleksandar Vučićs Regime".

Aleksandar Vučić bestreitet die Verwicklung seiner Regierung in die Attacke hinter der kosovarischen Grenze. (Foto: Oliver Bunic/AFP)

Jetzt beschäftigt sich die Europäische Union auf höchsten Ebenen wieder verstärkt mit der Frage, was sich hinter dem Gesicht von Aleksandar Vučić, dem Präsidenten Serbiens, wirklich verbirgt: der Geist eines über die Jahrzehnte gereiften Politikers, der vom Propagandaminister des damaligen Milošević-Regimes zum überzeugten Europäer wurde. Und dem man nur entschlossen genug die Hand reichen muss, um ihn aus der Umklammerung Moskaus zu befreien und ein für allemal in die Arme der westlichen Wertegemeinschaft zu ziehen? Oder doch ein notorischer Konflikttreiber, der sein Land und die ganze Region zurück in die düstere Kriegslogik der 1990er-Jahre ziehen will? Etliche gescheiterte, von der EU vermittelte Gipfelgespräche und einen schweren Terroranschlag später ist man sich da in Brüssel offenkundig weiterhin unschlüssig.

Führender serbischer Regionalpolitiker an Attacke beteiligt

Dieses Brüsseler Ringen mit sich selbst konnte man dieser Tage in einer Fernsehsendung der kosovarischen Investigativ-Plattform Kallxo live besichtigen. Der EU-Botschafter in Pristina, der Hauptstadt Kosovos - dessen Existenz als souveräner Staat das benachbarte Serbien nicht anerkennt -, wand sich unter den Fragen einer sichtlich verdutzten Moderatorin; es ging um mögliche Konsequenzen aus dem Terrorangriff im Norden Kosovos vor zwei Wochen, als etwa 30 Schwerbewaffnete einen Polizisten töteten.

Ein Drohnenvideo hatte einen der führenden serbischen Politiker der Region, Milan Radoičić, als Anführer der Bande überführt, er selbst bekannte sich später zu der Tat, bekräftigte aber, die serbische Regierung habe nichts davon gewusst. Serbiens Präsident Aleksandar Vučić bestreitet seinerseits, etwas mit der Attacke zu tun oder auch davon gewusst zu haben. Radoičić war bis vor Kurzem Vizechef des nordkosovarischen Ablegers von Vučićs Partei; 2017 hatte Vučić ihn als "Wächter Serbiens in Kosovo" bezeichnet.

Wie werde sich die EU nun gegenüber Serbien verhalten, fragte die Moderatorin also den EU-Botschafter, werde es irgendwelche "Maßnahmen", vielleicht gar Sanktionen geben? Der Botschafter wiegelte ab: "Wir sehen einiges in sozialen Medien, wir sehen öffentliche Aussagen", aber das reiche alles nicht: "Wir müssen erst konkretere Beweise sehen." Man solle also die Ermittlungen abwarten.

Nun fordert Kosovo vergeblich die Auslieferung von Radoičić, zugleich ist unklar, ob die serbische Justiz ihm jemals ein Verfahren machen wird. Ungeachtet dessen wiederholte der EU-Botschafter auf alle Nachfragen immer wieder sein Mantra: "Wir brauchen konkretere Beweise."

Vorwürfe der EU auch an Kosovo

Unterdessen dringen weitere Details an die Öffentlichkeit über das gewaltige Kriegswaffenarsenal, das die Täter mit sich führten. Das Investigativ-Netzwerk BIRN hat recherchiert, dass die von der kosovarischen Polizei sichergestellte Munition teilweise erst im vergangenen Jahr in Serbien hergestellt wurde und dass diverse Mörsergeschosse und Granatwerfer in den Jahren 2018 und 2021 in Einrichtungen der serbischen Armee gewartet wurden.

Bei der Attacke in Kosovo trugen 30 serbische Angreifer ein großes Waffenarsenal mit sich, das teilweise zuvor in der Armee Belgrads gewartet worden war. (Foto: Laura Hasani/Reuters)

Auf welchem Weg die Waffen in die Hände von Radoičić gelangt sind, ist damit freilich noch nicht belegt. Die serbische Regierung verweist darauf, dass auch die kosovarische Polizei Waffen aus serbischer Produktion besitze - und bekräftigt nun ihrerseits, es brauche eine "objektive und unabhängige Untersuchung" jener "tragischen Ereignisse" am Tag des Angriffs, zumal die kosovarische Regierung mit "Desinformation und Unwahrheiten" hantiere.

Die EU-Kommission beharrt unterdessen auf ihrem Standpunkt, dass der von ihr seit Jahren moderierte "Dialog" zwischen Serbien und Kosovo weitergehen müsse, um die "Beziehungen zu normalisieren", wie Kommissionssprecher Peter Stano diese Woche sagte. Er stellte zudem klar, dass die EU weiter an jenen Maßnahmen festhalten werde, die sie im Juni gegen Kosovo verhängt hatte - darunter etwa die Absage von Gesprächen auf hoher Ebene und das Einfrieren von Hilfsgeldern. Die Europäer werfen Pristina vor, Spannungen mit der serbischen Bevölkerung im Norden Kosovos zu schüren, etwa durch die starke Präsenz einer Spezialpolizei. "Die Mitgliedstaaten" hätten von kosovarischer Seite "noch nicht genügend Schritte für eine wirkliche Deeskalation gesehen", sagte Stano: "Deshalb sind die Maßnahmen weiterhin in Kraft."

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