Seehofer zu Merkel:Fürs Poltern sind andere zuständig

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Auf dem Friedenspfad: Ministerpräsident Seehofer hält sich gegenüber Kanzlerin Merkel bewusst zurück. (Foto: dpa)
  • Ministerpräsident Seehofer geht in der Flüchtlingspolitik erneut auf Distanz zu Kanzlerin Merkel und ihrem Satz "Wir schaffen das".
  • Angriffe auf die Kanzlerin überlässt Seehofer aber diesmal anderen - ganz im Sinne der Parteiräson.
  • Mit seiner scharfen Kritik an Merkels Haltung fängt Finanzminister Söder die Stimmung in der CSU eher ein.

Von Wolfgang Wittl, Gmund

Die weiße Tafel ist hübsch eingedeckt, es sieht aus wie beim Kaffeekränzchen mit der Verwandtschaft. Horst Seehofer will es gemütlich haben. Nicht im Pressezelt unter gleißendem Scheinwerferlicht zieht der bayerische Ministerpräsident am Samstag seine Bilanz zur Kabinettsklausur von St. Quirin, sondern lieber auf der Terrasse mit freier Sicht auf den Tegernsee. An der Wand ranken rote Rosen und jeder ist gespannt, wie der CSU-Chef sich mit Blick auf Angela Merkel verhält: sanftmütig oder stachelig?

Seehofer berichtet über die Ergebnisse der Klausur, die mitunter bemerkenswert ausfallen: Das komplette Gesundheitsministerium mit 220 Stellen soll von München nach Nürnberg verlegt werden, um die fränkische Metropole zu stärken. Ein dritter Nationalpark soll geschaffen werden. Und das leidige Thema G 8 oder G 9 soll mit Beginn des Schuljahres 2018/19 abgeschlossen werden, die Gymnasien sollen dann selbst entscheiden dürfen, wie viele Jahre sie anbieten.

Fast eine halbe Stunde spricht Seehofer, der Name Merkel fällt kein einziges Mal. Trotzdem zielen die ersten Fragen nur auf Merkels Satz "wir schaffen das" zur Flüchtlingskrise, den sie am Donnerstag erneut bekräftigt hatte - und was Seehofer davon halte. Er könne nur seine persönliche Meinung wiedergeben, antwortet der CSU-Chef ungewohnt zögerlich, nicht die seines Kabinetts. Dann sagt er: "Ich kann mir diesen Satz auch beim besten Willen nicht zu eigen machen. Dafür ist die Problemlage zu groß." Anders würde er seiner Verantwortung und seinem Amtseid nicht gerecht werden, sagt Seehofer noch. Danach windet er sich wie die Rosen hinter ihm an der Wand.

Auch bei Nachfragen bleibt der CSU-Chef dabei: Er mache sich den Satz nicht zu eigen. Ansonsten pflege er seine Haltung direkt mit der Kanzlerin zu besprechen. So habe man es bei der gemeinsamen Klausur in Potsdam vereinbart, daran halte er sich. Man wolle fair miteinander umgehen. Ob die Kanzlerin nicht blauäugig handle? Mehr habe er nicht zu sagen, erklärt Seehofer.

Warum Söder der CSU eher aus der Seele spricht

Die große Frage war, wie Seehofer selbst auf Merkels Worte reagieren würde. Sein Finanzminister Markus Söder hatte tags zuvor die Tonlage bereits vorgegeben, als er die Kanzlerin attackierte - offenkundig in Abstimmung mit seinem Parteichef. Merkels Satz werde auch dadurch nicht richtiger, dass man ihn wiederhole, ätzte Söder. Stattdessen hätte die CDU-Vorsitzende seiner Ansicht nach besser sagen sollen: "Wir haben verstanden." Blauäugigkeit sei das falsche Konzept, schimpfte Söder, und man muss kein Proseminar in Politologie belegt haben, um zu verstehen, wen er damit meinte.

Söders Auftritt gibt die Stimmung in der CSU besser wieder als der von Seehofer. Vielleicht wäre der Ministerpräsident diesmal für ein paar Minuten ausnahmsweise selbst gerne ein bisschen Söder gewesen. So aber hat er nur seinen Finanzminister von der Leine gelassen, Seehofer äußerte sich vergleichsweise zurückhaltend. Auch die stellvertretende bayerische Ministerpräsidentin Ilse Aigner und CSU-Landtagsfraktionschef Thomas Kreuzer kritisierten die Kanzlerin offen im Münchner Merkur. Eine Aufgabenteilung, die der Parteiräson geschuldet sein dürfte: Seehofer wähnt sich offenbar dafür zuständig, den gerade erst mit der CDU eingeschlagenen Friedenspfad mit Blick auf die Wahlen nicht schon wieder zu verlassen. Andere aus der CSU-Führung wiederum bedienen die eigene Klientel, mehr als Seehofer es mit Rücksichtnahme auf die Kanzlerin derzeit vermag.

Dass Merkel ihren "historischen Fehler der unkontrollierten Grenzöffnung" (Söder) nicht öffentlich eingestehen werde, damit hatte man sich in der CSU weitgehend abgefunden, wenn auch zähneknirschend. Das Wiederholen der Reizworte "wir schaffen das" allerdings wurde am Donnerstag allgemein als Provokation empfunden. Selbst CSU-Granden, die es gut mit Merkel meinen, halten den Satz mindestens für unklug. Sie fürchten, die gerade erst mühsam geschlossenen Wunden in der Union könnten wieder aufreißen.

Seehofer hält am Potsdamer Friedenspfad fest

Seit den Anschlägen von Würzburg und Ansbach habe die Zahl der Briefe und E-Mails wieder eklatant zugenommen, wird in der CSU-Parteizentrale kolportiert. Merkel werde darin scharf kritisiert, mancher Absender mache sie gar für die jüngsten Gewalttaten in Bayern verantwortlich. Beide Attentäter von Würzburg und Ansbach waren zwar bereits vor der Entscheidung der Kanzlerin, die Grenzen zu öffnen, nach Deutschland gekommen. Beide wurden auch gut betreut. Doch immer mehr Menschen sind wohl nicht mehr bereit zu differenzieren.

Ein deutliches Signal hätte von Merkels Pressekonferenz in Berlin ausgehen sollen, so lautete zuvor der Wunsch der CSU. Ein klares Zeichen, dass sie sich auf die Sorgen der Bevölkerung einlasse. Zwar verkündete die Kanzlerin ein Neun-Punkte-Programm zur inneren Sicherheit, das sich von dem der CSU nicht sonderlich unterscheidet. Hängen geblieben ist in Bayern jedoch vor allem wieder dieses "Wirschaffendas", das in der CSU so viel Freude auslöst wie bei Uli Hoeneß ein Triple von Borussia Dortmund.

St. Quirin hat nun gezeigt: Noch ist Seehofer nicht gewillt, die Versöhnung von Potsdam wieder aufzukündigen - vielleicht auch deshalb, weil ihm gar nichts anderes übrig bleibt. Noch macht er gute Miene zum bösen Satz. Noch sind es Söder und andere, die aussprechen, was die meisten in der CSU denken: Dass Merkels Worte viele Wähler in Bayern empörten. Dass die AfD dadurch unnötig gestärkt werde. Dass Menschen das Gefühl hätten, in Berlin würde man ihre Nöte nicht ernst nehmen.

Am Sonntag kommt Merkel zum Trauerakt nach München, zusammen mit Seehofer gedenkt sie der Opfer des Amoklaufs und betet für die Verletzten von Ansbach und Würzburg. Ein Gespräch mit Seehofer ist offenbar nicht geplant.

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