Angela Merkel vor der Bundespressekonferenz:Grundkurs Analyse

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"Ich habe das Gefühl, verantwortlich und richtig zu handeln - und keine anderen Gefühle": Angela Merkel bei ihrer Pressekonferenz am Donnerstag.

(Foto: Wolfgang Kumm/dpa)

Die Zeiten sind so aufgewühlt, dass Bundeskanzlerin Angela Merkel ihren Urlaub unterbricht und sich erklärt. Erstens: Ihre Politik wird nicht geändert. Zweitens: Über ihre Gefühle spricht sie nicht.

Von Robert Roßmann

Angela Merkel ist eine gigantische Emotionsreduktionsmaschine. Gefühlsfragen sind ihr so zuwider wie anderen Leuten Wurzelbehandlungen oder Toilettenputzen. Das zeigt sich auch an diesem Tag. Die Journalisten versuchen es ein ums andere Mal. Ob sie persönliche Schuldgefühle wegen der Folgen ihrer Flüchtlingspolitik habe, wird die Kanzlerin gefragt. Gerhard Schröder oder Sigmar Gabriel würden jetzt lustvoll einen Gegenangriff starten, andere Politiker vielleicht ein paar Zugeständnisse machen. Merkel sagt nur: "Ich habe das Gefühl, verantwortlich und richtig zu handeln - und keine anderen Gefühle."

Merkels Auftritt vor der Bundespressekonferenz dauert eineinhalb Stunden, aber das Wichtigste ist bereits nach 15 Minuten klar. Die Kanzlerin will und wird ihren Kurs nicht ändern. Sie macht gegenüber ihren Kritikern noch nicht einmal kleine Konzessionen. Merkel kann mit Anfeindungen leben. Sie glaubt, dass es zum Politikerleben dazugehört, auch einmal beschimpft zu werden. "Das ficht mich nicht weiter an", sagt sie dann gern, "wenn ich mit mir im Reinen bin." Und das zeigt sie an diesem Tag. Dabei steht die Kanzlerin unter gewaltigem Druck.

Die Verbrechen von Würzburg, München, Reutlingen und Ansbach unterscheiden sich voneinander, es gibt keine Verbindung zwischen den Taten und kein einheitliches Motiv. Aber alle Täter waren junge Männer mit Migrationshintergrund, drei von ihnen Flüchtlinge. Das schürt Ressentiments und schafft - auch wegen der Anschläge von Nizza und Rouen - erhebliche Verunsicherung in der Bevölkerung, und auch in den Reihen der Union. Es ist die Situation, in die Merkel nie kommen wollte.

Um zu ermessen, in welche Lage die Kanzlerin in diesem Sommer des Schreckens geraten ist, reicht der Blick auf ein paar Äußerungen. Armin Schuster, eigentlich ein besonnener CDU-Innenpolitiker, verlangt unter Anspielung auf Merkels Willkommenskultur, es müsse jetzt endlich auch eine "Abschiedskultur" geben. Das CSU-Organ Bayernkurier schreibt, nun werde deutlich, "welchen Sicherheitsrisiken uns die Kanzlerin mit ihren offenen Grenzen und Armen ausgeliefert hat". Frank Henkel, Berliner CDU-Spitzenkandidat, klagt, Deutschland habe "offenbar einige völlig verrohte Personen importiert, die zu barbarischen Verbrechen fähig sind, die in unserem Land bislang kein Alltag waren". Und Horst Seehofer droht, er werde die "Relativierung der Probleme" nicht mehr akzeptieren - der CSU-Chef zielt damit direkt auf Merkels Vize-Regierungssprecherin und auf Innenminister Thomas de Maizière. Beide hatten erklärt, dass von Flüchtlingen keine höhere Gefahr ausgehe als von anderen Gruppen.

Merkel bekräftigt: "Wir schaffen das." In diesem Moment sähe man gerne Seehofers Gesicht

Merkel blieb deshalb gar nichts anderes übrig, als ihren Sommerurlaub zu unterbrechen, um sich zu rechtfertigen. Sie hat sich dafür entschieden, ihren jährlichen Auftritt vor der Bundespressekonferenz vorzuziehen. Das ist auch deshalb pikant, weil sie bei ihrem letzten Erscheinen vor diesem Kreis den Satz geprägt hat, der seitdem wie kein anderer über ihrer Kanzlerschaft steht. Er war nicht einfach dahingesagt, sondern wohlgesetzt. Er fiel nicht spontan in der Diskussion mit den Journalisten, sondern war Teil von Merkels sorgsam vorbereitetem Eingangsstatement. Die Kanzlerin sagte, das Motiv, mit dem Deutschland an die Flüchtlingspolitik herangehe, müsse sein: "Wir haben so vieles geschafft - wir schaffen das! Wir schaffen das, und dort, wo uns etwas im Wege steht, muss es überwunden werden." Es sind nur drei Wörter, aber dieses "Wir schaffen das" wurde so etwas wie das Manifest der Willkommenskultur.

Und so stellt sich an diesem Donnerstag die Frage, ob der Satz noch gilt. Merkel beantwortet sie gleich in ihrem Eingangsvortrag. "Wie nach der Silvesternacht in Köln fragen wir uns: Können wir es wirklich schaffen, diese große Bewährungsprobe erfolgreich zu bestehen?", sagt die Kanzlerin. Für sie sei klar, dass sie bei ihren Grundsätzen bleibe. Sie habe nie behauptet, dass ihre Flüchtlingspolitik "eine einfache Sache" sei, sonst hätte sie den Satz ja gar nicht sagen müssen. Und dann verweist sie auf den zweiten Teil ihres Satzes vom vergangenen Jahr: "Wo uns etwas im Wege steht, muss es überwunden werden." Genau das müsse jetzt passieren. Die Regierung werde auch die Herausforderung durch den islamistischen Terror bewältigen und "deutlich machen, dass wir unseren Bürgerinnen und Bürgern Sicherheit geben wollen und die Integrationsaufgabe meistern wollen". Sie sei sich sicher, dass Deutschland dieser "historischen Aufgabe" gerecht werde.

Es ist der Moment, in dem man gerne das Gesicht Horst Seehofers sehen würde. Der CSU-Chef hatte nicht erwartet, dass die Kanzlerin Fehler eingesteht. Dazu kennt er die Psyche von Spitzenpolitikern selbst zu gut. Aber dass Merkel ihr "Wir schaffen das" derart bekräftigt, ärgert die Christsozialen in München.

Das bayerische Kabinett hatte drei Stunden vor Merkels Erklärung gezeigt, was seiner Ansicht nach zu tun ist. Bei einer Klausur am Tegernsee beschloss es ein Programm "Sicherheit durch Stärke". Mit 2000 zusätzlichen Polizisten, neuartigen Helmen und Schutzwesten, mehr gepanzerten Fahrzeugen, einem Ausbau der Videoüberwachung an öffentlichen Plätzen und manchem mehr will die Staatsregierung den Schutz der Bürger verbessern. Vor allem aber fordert sie Verschärfungen in der Flüchtlingspolitik - etwa die Möglichkeit, abgelehnte Asylbewerber auch in sichere Landesteile von Staaten abschieben zu können, in denen Krieg herrscht.

Auch Merkel hat an diesem Donnerstag etwas im Gepäck. Sie weiß natürlich, dass die Meinungsforscher gerade eine erhebliche Verunsicherung bei vielen Menschen feststellen. So etwas kann für eine Regierung in einem Fiasko enden. Schließlich ist der Schutz der Bürger die Kernaufgabe des Staates. Die Demoskopen sagen aber auch, dass die Unterstützung für eine Regierung nach Anschlägen steigen könne. Voraussetzung seien jedoch gut funktionierende Sicherheitsorgane und ein entschlossenes, besonnenes und glaubwürdiges Auftreten der Regierenden. Und genau darauf setzt Merkel jetzt.

Sie wirkt ruhig und sicher. Die größte Krise ihrer Kanzlerschaft? Na, das sei ja nicht die erste

"Wir tun alles Menschenmögliche, um die Sicherheit in unserem freiheitlichen, demokratischen Rechtsstaat zu gewährleisten", verspricht Merkel. Die jüngsten Anschläge seien "erschütternd, bedrückend und auch deprimierend". Damit würden "zivilisatorische Tabus gebrochen". Es werde alles getan, "um diese barbarischen Taten aufzuklären und die Hintermänner aufzuspüren". Dass Flüchtlinge für die Taten von Würzburg und Ansbach verantwortlich seien, verhöhne das Land, das sie aufgenommen habe. Dies verhöhne auch die Helfer und Ehrenamtlichen sowie die vielen anderen Flüchtlinge, die friedlich hier lebten. Für Merkels Verhältnisse sind das drastische Worte. Dann präsentiert die Kanzlerin einen Neun-Punkte-Katalog für mehr Sicherheit. Doch der stellt sich schnell als Neun-Pünktchen-Katalog heraus. Er besteht vor allem aus Ankündigungen und Altbekanntem. Merkel will ein Frühwarnsystem, mit dem man die Radikalisierung von Flüchtlingen besser erkennen kann, mehr Personal und Technik für die Sicherheitsbehörden, mehr Prävention und Datenaustausch sowie stärkere Anstrengungen bei der Rückführung abgelehnter Asylbewerber. Über Details will Merkel noch nicht sprechen.

Zum Streit über den Bundeswehreinsatz im Innern sagt die Kanzlerin lediglich, es sei "jetzt an der Zeit", dass es Übungen für terroristische Großlagen gebe, bei denen unter Führung der Polizei auch die Bundeswehr eingebunden werden könne. Die CSU wird Merkel mit diesem weichen Angebot nicht befrieden können. Die Partei sieht sich durch die Anschläge in all ihren Befürchtungen bestätigt. "Wir haben mit allen Prophezeiungen recht behalten", sagt Seehofer. Er hat bereits angekündigt, im Streit über den Umgang mit der islamistischen Gefahr keinen Koalitionskrach zu scheuen. Der bei der Klausur in Potsdam mühsam errungene Frieden zwischen den Schwesterparteien scheint schon wieder ziemlich brüchig zu sein. Die Zeiten haben sich gewaltig geändert. In der Sommerpressekonferenz 2015 hatte Merkel auf die Frage, wie groß in der Flüchtlingspolitik die Unterschiede zur CSU seien, noch antworten können: "Nee, die sind überhaupt nicht groß - um nicht zu sagen, es gibt keine." Das war am 31. August und sollte sich bereits mit der Entscheidung vom 4. September, die Flüchtlinge vom Budapester Bahnhof aufzunehmen, dramatisch ändern. Merkel hat an diesem 31. August übrigens auch den Satz gesagt: "Wir müssen das, was uns hindert, das Richtige zu tun, zeitweise außer Kraft setzen." Die Kanzlerin dachte damals zwar eher an die strengen rechtlichen Standards, die den Bau von Flüchtlingsheimen erschweren, oder an die Aussetzung der Dublin-Verordnung für Syrer. Für Seehofer wurde der Satz aber zum Nukleus für das, was er später als "Herrschaft des Unrechts" bezeichnete. Um zu ermessen, wie stark sich die Lage für Merkel seit dieser Sommerpressekonferenz verschlechtert hat, reicht ein Blick in die Umfragen. Die Union lag damals bei 42 Prozent - und Merkel hatte Beliebtheitswerte, von denen sogar Dirk Nowitzki, Günther Jauch oder Panda-Bären nur träumen können. Die Kanzlerin wurde sogar für den Friedensnobelpreis gehandelt. In der Bundespressekonferenz wurde sie damals tatsächlich gefragt, warum sie weiter Kanzlerin sein wolle, wo sie doch den "Höhepunkt ihres Schaffens" erreicht habe. Merkel hatte zu diesem Zeitpunkt in ihrer Partei den Nimbus der politischen Unfehlbarkeit. Wie wenig davon übergeblieben ist, zeigen die kritischen Fragen heute. Eine Journalistin erkundigt sich, ob Merkel sich Falscheinschätzungen oder Versäumnisse im vergangenen Jahr vorwerfe. "Ich kann Ihnen nur sagen, dass ich nach bestem Wissen und Gewissen in einer sehr anspruchsvollen Zeit gearbeitet habe", antwortet sie. Auf die Frage, ob sie gerade in der schwierigsten Situation in ihrer Kanzlerschaft sei, sagt Merkel nur: "Es ist eine schwierige - aber wir haben auch andere." Und selbst als ein Korrespondent wissen will, warum sie kein ernst zu nehmendes Anti-Terror-Paket vorgelegt habe und einem nötigen Neustart in der Politik im Weg stehe, reagiert Merkel nur mit Sätzen wie: Man sei halt gerade "in einem Prozess" und werde "in der Analyse da ansetzen, wo jetzt noch mehr passieren muss". Ob das reicht? Merkel ist jedenfalls sichtlich zufrieden mit sich, als sie sich nach 90 Minuten verabschiedet.

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