Krieg in der Ukraine:Die Schweiz bleibt bei Sanktionen gegen Russland vage

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Die Schweiz will "Umgehungsverhinderungsmaßnahmen" ergreifen, verkündete Bundespräsident Ignazio Cassis am Donnerstag. Was das genau bedeutet, konnten auch mehrere hohe Bundesbeamte im Anschluss nicht erklären. (Foto: Arnd Wiegmann/Reuters)

Die Regierung in Bern verurteilt die militärische Intervention Russlands "aufs Schärfste". Doch die Sanktionen der EU will sie nicht vollumfänglich übernehmen.

Von Isabel Pfaff, Bern

Die Schweiz will sich den am Mittwoch verkündeten Sanktionen der EU gegen Russland derzeit nicht vollumfänglich anschließen. Wie die Schweizer Regierung, der Bundesrat, am Donnerstagnachmittag mitteilte, verurteilt sie zwar das Vorgehen Russlands "aufs Schärfste". Mit seiner militärischen Intervention habe Russland das Völkerrecht massiv verletzt, sagte Ignazio Cassis (FDP), Außenminister und derzeit auch Bundespräsident. Trotzdem wird die Schweiz die Strafmaßnahmen der EU nicht direkt übernehmen, sondern stattdessen "Umgehungsverhinderungsmaßnahmen" ergreifen.

Dieses Instrument wandte die Schweiz bereits 2014 nach der Besetzung der Krim an. Schon damals übernahm sie nicht die EU-Sanktionen, sondern ergriff lediglich Maßnahmen, die verhindern sollten, dass Zielpersonen die EU-Strafen über den Umweg Schweiz umgehen könnten. Stärker als auf Verbote setzte sie zum Beispiel auf Melde- und Bewilligungspflichten, etwa für Finanzgeschäfte mit russischen Banken oder Unternehmen.

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Jetzt werde die Schweiz ihre Maßnahmen von 2014 im Sinne der jüngsten EU-Sanktionen verschärfen, so Außenminister Cassis am Donnerstag. Die Liste der von der EU sanktionierten Personen und Unternehmen werde "grundsätzlich" übernommen.

Der Bundesrat geht weniger weit als die EU

Was diese Ankündigungen genau bedeuten, versuchten im Anschluss an Cassis' Erklärung mehrere hohe Bundesbeamte zu erklären, doch trotz zahlreicher Nachfragen von Journalisten blieb das Bild schwammig. Offenkundig prüft die Verwaltung noch viele Aspekte. Eindeutig beantworten konnten die Anwesenden jedenfalls die wenigsten Fragen.

Festhalten lässt sich, dass der Bundesrat stellenweise weniger weit geht als die EU. So werden etwa die Vermögen der sanktionierten Personen vorerst nicht eingefroren wie in der EU. Es besteht nur ein Verbot, neue Kundenbeziehungen mit diesen Personen einzugehen. Theoretisch können die Betroffenen ihr Geld also noch abziehen, bis es zu einer möglichen Verschärfung kommt. Solche Abflüsse könne man leider nicht verhindern, sagte einer der befragten Bundesbeamten.

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Der Entscheid und auch die wirre Kommunikation stießen in weiten Teilen der Schweiz auf Unverständnis. "Beschämend!", titelte die Boulevardzeitung Blick und fragte: "Was muss passieren, bis unsere Regierung Haltung zeigt?". Der Tages-Anzeiger kommentiert: "Die Schweiz zaudert", spricht von einem "kommunikativen Desaster". In den Augen der NZZ "drückt sich" der Bundesrat, und in den Zeitungen der CH-Media-Gruppe heißt es: "Angriffskrieg in Europa, und die Schweiz eiert herum".

Die Empörung rührt auch daher, dass sich bis auf die rechtskonservative SVP alle wichtigen politischen Kräfte des Landes im Vorfeld der Bundesratserklärung deutlich für das Mittragen der EU-Sanktionen ausgesprochen hatten: neben den Grünen und Sozialdemokraten (SP) auch die Mitte-Partei und die liberale FDP.

Die EU-Sanktionen gegen Syrien und Belarus hat die Schweiz übernommen

Und tatsächlich könnte die Schweiz die EU-Sanktionen ohne Wenn und Aber übernehmen, trotz ihrer Neutralität. Bei Syrien oder Belarus beispielsweise hat sie das getan. Das Embargogesetz erlaubt es dem Bundesrat, mit Hilfe von Zwangsmaßnahmen Sanktionen durchzusetzen, die von den UN, der OSZE oder den wichtigsten Handelspartnern der Schweiz kommen, wenn es um die Einhaltung des Völkerrechts geht.

Trotzdem führte Staatssekretärin Livia Leu am Donnerstag die Neutralität als einen Grund an, warum man sich nicht voll und ganz der EU anschließt. Die Schweiz wolle weiterhin ihre Guten Dienste anbieten können, also jene Vermittlungsinstrumente, auf die sie sich außenpolitisch spezialisiert hat. Leu verwies insbesondere auf das Schutzmachtmandat, das das Land in dem Konflikt zwischen Russland und Georgien übernommen hat. "Das können wir schlecht erfüllen, wenn wir uns zu nahe an eine Parteiposition begeben."

Bei vielen Politikerinnen und Politikern kam dieses Argument nicht gut an. "Neutralität heißt, sich bedingungslos für Frieden, Menschen- und Völkerrecht einzusetzen", hieß es bei der SP. Ihr Co-Chef Cédric Wermuth twitterte: "Es ist verantwortungslos, dass sich der Bundesrat den EU-Sanktionen nicht sofort vollumfänglich anschließt". Mitte-Präsident Gerhard Pfister sprach von einem "enttäuschenden Nicht-Entscheid und Nicht-Auftritt des Bundesrats". Und Grünen-Präsident Balthasar Glättli twitterte: "Der Bundesrat hat heute versagt, Haltung zu zeigen."

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