Die Anzeichen für eine geplante Aggression Russlands haben sich spätestens seit Frühjahr 2021 gemehrt. Bereits im März 2021 ließ Moskau russische Panzer an der Grenze zur Ukraine auffahren. Im Juni, nach dem Treffen des US-Präsidenten Joe Biden mit Wladimir Putin, schien die Gefahr einer russischen Invasion der Ukraine zunächst gemindert.
Am 14. Juli veröffentlichte Wladimir Putin dann einen Artikel, in dem er russische Gebietsansprüche in der Ukraine postulierte, und im November konzentrierten sich russische Streitkräfte erneut an der Grenze zur Ukraine. Moskau bestritt wiederholt die Absicht einer Invasion. Doch Putins Angriffsplan war offenbar längst fertig.
Am 15. Februar fordert die Staatsduma in Moskau, das russische Parlament, den Präsidenten auf, die Separatistengebiete in der Ukraine als selbständige "Volksrepubliken" anzuerkennen. Mehr als 100 000 russische Soldaten waren da bereits an den Grenzen zur Ukraine aufmarschiert.
Am 18. Februar wurde die Zivilbevölkerung aus der Ostukraine nach Russland gebracht, tags zuvor hatte Russland Tests ballistischer Raketen angekündigt. Währenddessen kam es zu immer mehr Kampfhandlungen im ostukrainischen Konfliktgebiet Donbass, OSZE-Beobachter berichten von Hunderten Explosionen.
Bei der Münchner Sicherheitskonferenz teilt Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg am 19. Februar mit, es sei ein umfassender Angriff Russlands auf die Ukraine zu erwarten.
Am Sonntag, 20. Februar, telefonierte Putin mit Frankreichs Präsident Emmanuel Macron zur Frage eines möglichen Gipfeltreffens mit US-Präsident Joe Biden. Doch da lief der letzte Countdown für den Überfall bereits.
(Alle Zeitangaben beziehen sich auf mitteleuropäische Normalzeit und den Moment, in dem die Nachrichten über die Agenturen liefen.)
Montag, 21. Februar 2022
9.40 Uhr: Kreml-Sprecher Dmitrij Peskow kündigt an, wegen der wachsenden Spannungen werde sich Präsident Wladimir Putin umgehend an den nationalen Sicherheitsrat wenden. Peskow antwortet nicht auf die Frage, ob Russland direkt im Donbass eingreift.
Um 12 Uhr verbreitet sich die Meldung, lanciert vom russischen Inlandsgeheimdienst FSB, eine Granate, die von ukrainischem Gebiet abgeschossen wurde, habe einen Grenzposten in der russischen Region Rostow zerstört. Danach berichten russische Nachrichtenagenturen, russisches Militär habe fünf Saboteure getötet, die von der Ukraine aus nach Russland einreisen wollten, es seien bewaffnete ukrainische Militärfahrzeuge in der Region Rostow zerstört worden.
Gegen 15 Uhr wird bekannt, dass Putin erklärt, er erwäge, die prorussischen Separatistenregionen Luhansk und Donezk im Osten der Ukraine anzuerkennen. Sein Verteidigungsminister Sergej Schoigu warnt Putin, die Ukraine habe an der sogenannten Kontaktlinie erhebliche Truppen zusammengezogen. Vermutlich wolle die Ukraine die von prorussischen Separatisten besetzten Gebiete zurückerobern.
16.40 Uhr: In einer live vom Staatsfernsehen übertragenen Sitzung des russischen Nationalen Sicherheitsrates sagt Putin, er wolle noch am selben Tag über die Anerkennung der Separatistenregionen entscheiden.
Um 19 Uhr meldet die russische Agentur Ria, Wladimir Putin habe Bundeskanzler Olaf Scholz und Frankreichs Präsident Emmanuel Macron am Telefon angekündigt, er werde demnächst ein Dekret unterzeichnen, mit dem Russland Luhansk und Donezk als unabhängige Staaten anerkenne. Er teilt ihnen auch mit, dass die Abkommen von Minsk zur Befriedung der Ukraine für ihn hinfällig seien.
Gegen 20 Uhr spricht Putin im russischen Staatsfernsehen. Er behauptet, die Ukraine beabsichtige, Atomwaffen zu bauen und spricht dem Land sein Existenzrecht ab, es sei eine Kolonie der USA. In der mehr als 40-minütigen Rede erhebt er schwere Vorwürfe gegen die Nato und die USA und stellt praktisch die gesamte Ordnung Europas seit dem Fall der Berliner Mauer 1989 infrage. Er droht militärisches Eingreifen an, sollte es zu weiterem "Blutvergießen" im Donbass kommen.
Es ist etwa 20.30 Uhr, da zeigt das russische Staatsfernsehen, wie Putin ein Dekret unterzeichnet, in dem er die beiden Separatistenregionen in der Ostukraine anerkennt. Anschließend wird übertragen, wie Putin Kooperations- und Freundschaftsverträge mit den abtrünnigen Regionen in der Ostukraine unterschreibt, die Führer der Separatisten sind ebenfalls anwesend. Es gibt Zweifel, ob es sich dabei um eine Live-Übertragung gehandelt hat; angeblich zeigen Aufnahmen, dass die Armbanduhren der Separatistenführer auf Moskauer Mittagszeit standen. EU und USA kündigen sofort Sanktionen gegen Russland an.
Um 22.41 Uhr berichten erste Agenturen, dass Putin per Dekret angeordnet hat, russische Truppen in die Ostukraine zu schicken. Es seien "Friedenstruppen", behauptet der Präsident. Separatisten in der Ostukraine feiern in der Nacht mit Feuerwerk die Anerkennung der Volksrepubliken.
Dienstag, 22. Februar
In den frühen Morgenstunden fahren in den Straßen der Außenbezirke der Stadt Donezk Militärfahrzeuge, auch Panzer ohne Kennzeichen, meldet die Agentur Reuters um 7.06 Uhr. OSZE-Beobachter berichten am Morgen von Gefechten an der "Kontaktlinie", welche die Gebiete der prorussischen Separatisten von ukrainischen Regierungstruppen trennt. Das ukrainische Militär teilt mit, bei schweren Gefechten seien in der Ostukraine aufseiten der ukrainischen Armee mindestens zwei Soldaten getötet und 18 zum Teil schwer verletzt worden. Ein Zivilist sei im Donezker Gebiet ums Leben gekommen und an anderen Orten im Konfliktgebiet mindestens fünf Zivilisten verletzt worden.
Um 11.22 Uhr berichtet Reuters, dass der ukrainische Präsident Wolodimir Selenskij nicht mit einem Krieg gegen sein Land rechnet, das sagte er in Kiew im Beisein des estnischen Präsidenten Alar Karis. Etwa gleichzeitig sagt der russische Außenminister Sergej Lawrow der Agentur Interfax: "Ich glaube nicht, dass irgendjemand behaupten kann, dass das ukrainische Regime seit dem Staatsstreich 2014 alle Menschen vertritt, die auf dem Territorium des ukrainischen Staates leben." Kurz darauf stimmt das russische Parlament für eine Bestätigung der "Freundschaftsverträge" mit den "Volksrepubliken" in der Ostukraine.
Um 12 Uhr wird bekannt, dass Bundeskanzler Olaf Scholz die Inbetriebnahme der Pipeline Nord Stream 2 aussetzt.
Um 18.17 Uhr kommt die Nachricht, dass die 27 EU-Staaten sich auf Sanktionen gegen Russland geeinigt haben. Sie richten sich gegen Dutzende Mitglieder der russischen Duma sowie weitere Personen und Organisationen, die von der EU für den Angriff auf die Integrität und Souveränität der Ukraine verantwortlich gemacht werden. Weitere Ziele sind Banken, die das russische Militär und Operationen in der Ostukraine finanzieren, sowie der Zugang des russischen Staates und der Regierung zu europäischen Finanzmärkten.
Um 20 Uhr gibt US-Präsident Joe Biden neue Sanktionen gegen Russland bekannt. Die Strafmaßnahmen werden sich gegen zwei große Banken, gegen den Handel mit russischen Staatsanleihen und gegen Unterstützer des russischen Präsidenten richten. Später kündigt er weitere militärische Hilfen für Kiew und Truppenverlegungen nach Osteuropa an. Er sendet 800 Infanterie-Soldaten in die baltischen Länder und bis zu acht F-35-Kampfflugzeuge an die Ostflanke der Nato, teilt ein US-Vertreter mit. Zudem schickt Biden 32 AH-64-Apache-Hubschrauber in die baltischen Länder und nach Polen von Orten innerhalb Europas.
Um 22.10 Uhr beruft der ukrainische Präsident Wolodimir Selenskij Reservisten ein. US-Außenminister Tony Blinken sagt angesichts der Eskalation im Ukraine-Konflikt ein für Donnerstag geplantes Treffen mit dem russischen Amtskollegen Sergej Lawrow ab.
Mittwoch, 23. Februar
OSZE-Beobachter haben mehr als 1000 Explosionen registriert. Besonders betroffen war demnach die Region Luhansk mit 1224 "Verstößen gegen den Waffenstillstand", darunter 1149 Explosionen. In der Region Donezk lag die Zahl bei 703 Verstößen, darunter 332 Explosionen.
12.12 Uhr: Der russische Inlandsgeheimdienst FSB behauptet, er habe einen Terrorakt auf der annektierten Halbinsel Krim vereitelt. Sechs russische Staatsbürger, die eine ukrainische Extremistengruppe unterstützt haben sollen, seien festgenommen worden, zitiert die Agentur RIA.
13.27 Uhr: Der Anführer der Separatisten im ostukrainischen Donezk, Denis Puschilin, erklärt, es seien keine russischen Soldaten im Donbass. Ihre Präsenz sei aber in Zukunft möglich.
14.52 Uhr: Russland kündigt auf die von den USA verhängten Sanktionen eine "starke Antwort" an.
Um 15 Uhr treten die EU-Sanktionen gegen Russland in Kraft.
15.50 Uhr: Russland zieht sein diplomatisches Personal aus allen seinen Vertretungen in der Ukraine ab.
20.22 Uhr: Der Anführer der Separatisten, Denis Puschilin, fordert die ukrainischen Regierungstruppen auf, sich mit ihren Waffen aus dem Territorium zurückzuziehen.
22.29 Uhr: Kremlsprecher Dmitrij Peskow teilt der Agentur Interfax mit, die Chefs der Volksrepubliken Luhansk und Donezk hätten Moskau um Beistand gebeten, um Angriffe von der ukrainischen Armee abzuwehren.
24 Uhr: In der Ukraine gilt der Ausnahmezustand. Von nun an überschlagen sich die Ereignisse im Minutentakt.
Donnerstag, 24. Februar
1.50 Uhr: US-Außenminister Tony Blinken sagt dem Sender NBC, "Russland wird in die Ukraine einmarschieren, bevor die Nacht vorbei ist".
Um 4.29 Uhr bestätigt das Wladimir Putin: "Ich habe beschlossen, eine Sonder-Militäroperation durchzuführen", sagt er in einer Fernsehansprache. "Ihr Ziel ist der Schutz der Menschen, die seit acht Jahren Misshandlung und Genozid ausgesetzt sind." Man strebe "die Entmilitarisierung und die Entnazifizierung der Ukraine an". Gleichzeitig berichten Reuters-Reporter aus Kiew, es seien entfernte, laute Explosionen zu hören. US-Präsident Biden teilt mit, Russland hat "vorsätzlich" einen "Krieg" gegen die Ukraine begonnen.
5.04 Uhr: Der russischen Nachrichtenagentur Interfax zufolge hat Russland Raketenangriffe auf militärische Ziele in der ganzen Ukraine begonnen. Der ukrainische Außenminister Dmytro Kuleba spricht von einem "großangelegten Krieg gegen die Ukraine". Russland greife auch vom Wasser aus an. Es gebe Landungsoperationen der Schwarzmeerflotte im Asowschen Meer und in Odessa.
5.05 Uhr: UN-Generalsekretär António Guterres ruft den russischen Präsidenten auf, die Angriffe in der Ukraine einzustellen und dem Frieden eine Chance zu geben.
5.36 Uhr: Die Ukraine verhängt das Kriegsrecht.
5.40 Uhr: In Donezk berichten Zeugen von Artilleriefeuer.
5.59 Uhr: Prorussische Separatisten greifen eine Stadt in der Nähe ihres Gebietes Luhansk an, die unter ukrainischer Kontrolle steht. Das berichten Augenzeugen der russischen Nachrichtenagentur Interfax zufolge.
5.57 Uhr: Der ukrainische Präsident Wolodimir Selenskij ruft die Bevölkerung auf, zu Hause zu bleiben. In vielen Städten seien Explosionen zu hören. "Wir sind stark. Wir sind zu allem bereit. Wir werden siegen", sagt er.
6.07 Uhr: Die prorussischen Separatisten in Donezk beginnen nach eigenen Angaben massive Angriffe auf die ukrainische Armee. Kurz darauf werden schwere Explosionen aus Mariupol gemeldet.
6.42 Uhr: Laut ukrainischen Grenztruppen wird das Land auch aus Belarus heraus angegriffen. Die ukrainische Luftabwehr berichtet, sie habe ein russisches Flugzeug abgeschossen. In der Umgebung der Hauptstadt Kiew gellen die Sirenen.
6.51 Uhr: Das Verteidigungsministerium teilt mit, ukrainische Einheiten, militärische Kontrollzentren und Flugfelder im Osten der Ukraine seien unter intensivem russischem Beschuss. Das ukrainische Militär erklärt, die Luftwaffe versuche, einen russischen Luftangriff abzuwehren.
6.53 Uhr: US-Außenminister Blinken betont die Bedeutung des Artikels 5 im Nato-Vertrag, also der Verteidigungszusage für alle Nato-Mitglieder im Falle eines Angriffs.
7.16 Uhr: Laut ukrainischem Katastrophenschutz wird auch die Region Lwiw im Westen beschossen.
8.12 Uhr: Laut ukrainischen Angaben wurden bereits sieben Menschen durch russischen Beschuss getötet. Weitere neun Menschen seien verletzt worden. Der ukrainische Grenzschutz teilt mit, dass russische Militärkolonnen über die Grenze bei Tschernihiw, Charkiw und in der Region Luhansk vorrücken.
9.42 Uhr: Die ukrainische Regierung ruft alle einsatzfähigen Ukrainer zu den Waffen. Wer bereit und in der Lage sei, eine Waffe zu halten, könne sich den Streitkräften anschließen, erklärt Verteidigungsminister Oleksii Resnikow. Die Polizei teilt mit, es würden Waffen an die Veteranen ausgegeben.
9.50 Uhr: Dem ukrainischen Militär zufolge sind rund 50 Russen im Osten des Landes getötet worden, sechs Flugzeuge seien zerstört.
Der Krieg um die Ukraine ist nach der russischen Invasion in vollem Gang.