Debatte um Armeebudget:Die Schweiz rüstet auf

Lesezeit: 3 min

Die Schweiz will ihre Armeeausgaben schrittweise erhöhen - von derzeit etwa 5,4 Milliarden auf rund 7 Milliarden Franken im Jahr 2030. (Foto: Laurent Gillieron/dpa)

Kriegsbedingte Wende in Bern: Das Schweizer Parlament hat für eine massive Erhöhung der Armeeausgaben gestimmt. Der Druck der Partnerstaaten steigt aber auch beim Thema Waffenlieferungen.

Von Isabel Pfaff, Bern

Neutral heißt nicht wehrlos, da dürften sich die meisten Schweizer Politikerinnen und Politiker einig sein. Wie aber diese sogenannte bewaffnete Neutralität der Schweiz aussehen soll, insbesondere nachdem Russland klargemacht hat, dass Angriffskriege in Europa auch heute noch möglich sind - darüber streitet man in der Schweiz gerade heftig.

Fürs Erste haben sich in dieser Debatte diejenigen durchgesetzt, die das kleine Land aufrüsten wollen. Am Donnerstag stimmte der Ständerat, die kleine Parlamentskammer, für eine sukzessive Erhöhung der Armeeausgaben - von derzeit etwa 5,4 Milliarden auf rund 7 Milliarden Franken im Jahr 2030. Das entspräche dann einem Prozent des Schweizer Bruttoinlandproduktes (BIP). Die große Kammer, der Nationalrat, hat einer gleichlautenden Motion bereits im Mai zugestimmt. Und auch der Bundesrat, wie die Schweizer Regierung heißt, ist für die Erhöhung. Damit steht fest: Von 2023 an dürfte das Land jährlich etwa 300 Millionen Franken mehr für seine Streitkräfte ausgeben. Seit 1990 war das Armeebudget stets gesunken, von rund 1,34 Prozent auf knapp 0,7 Prozent des BIP im Jahr 2019.

Der Entscheid war kontrovers diskutiert worden. Im Parlament hatten sich Grüne, Grünliberale und die Sozialdemokraten dagegen ausgesprochen, sie kritisierten die Pläne als konzeptlos, sprachen von einem "blinden Aufrüstungsreflex". Doch gegen die Mehrheit aus Mitte-Partei, FDP und SVP konnten sie sich nicht durchsetzen. Deren Politiker betonten die "Fähigkeitslücken" der Armee, die man beheben müsse. Auch Verteidigungsministerin Viola Amherd (Mitte) sagte im Rahmen der Debatte, dass viele notwendige Investitionen aus Kostengründen verschoben worden seien. Als dringend bezeichnete sie neben der bereits beschlossenen Beschaffung einer neuen Kampfflugzeugflotte auch eine moderne Unterstützung der Bodentruppen durch indirekte Feuersysteme. Amherd will auch die Mittel der Armee zur Cyberabwehr stärken.

Die Schweiz könne im Ernstfall nicht bei ihren Nachbarn anklopfen und um Hilfe bitten, so die Ministerin, "nachdem wir während Jahrzehnten unsere Hausaufgaben nicht gemacht haben". Im Interesse ihrer eigenen Verteidigung, aber auch im Interesse der internationalen Zusammenarbeit müsse die Schweiz aufhören, Trittbrettfahrerin zu sein, und endlich selbst investieren.

Ohne ihre Partner könnte die Schweiz sich derzeit nicht gegen einen Angreifer verteidigen

Viola Amherd sprach damit das grundsätzliche Problem an, das der Ukraine-Krieg den Schweizern unmissverständlich vor Augen geführt hat: Eine autonome Landesverteidigung, wie sie die Schweiz vielleicht noch bei der Gründung ihres Bundesstaates 1848 im Sinn hatte, ist heutzutage utopisch. Ohne ihre europäischen Partner kann die Schweiz sich nicht gegen einen Aggressor wie Russland wehren. Die Eidgenossen müssen sich also dringend überlegen, wie sie sich verteidigungspolitisch positionieren - und wie sie das mit ihrer Neutralität vereinbaren.

MeinungProfil
:Ein Kämpfer gibt auf

Serhij Hajdaj war fast drei Jahre Militärgouverneur der Region Luhansk. Nun muss er aufgeben.

Von Florian Hassel

Das Neutralitätsrecht verbietet dem Land zwar eine Nato-Mitgliedschaft, aber eine engere Zusammenarbeit mit dem Bündnis - etwa gemeinsame Manöver - ist möglich und wurde von Ministerin Amherd und Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg jüngst auch schon vereinbart. Deutlich heikler ist die Frage von Waffenlieferungen. Auch hier sind die im Völkerrecht verankerten Pflichten neutraler Staaten eindeutig: Die Schweiz darf keine Kriegspartei militärisch begünstigen, also etwa mit Waffen beliefern. Zuletzt haben aber mehrere Staaten, die Schweizer Rüstungsgüter gekauft haben, beim Staatssekretariat für Wirtschaft (Seco) angefragt, ob sie diese Güter an die Ukraine weitergeben dürfen. Ein Vorgehen, das dem Schweizer Kriegsmaterialgesetz entspricht: Käufer von Kriegsgerät aus der Schweiz dürfen dieses in der Regel nur mit Erlaubnis aus Bern wieder ausführen.

So ersuchte Deutschland das Seco im April um Freigabe für Munition für den Gepard-Panzer sowie für Maschinengewehre. Wie das Schweizer Radio und Fernsehen (SRF) am Mittwoch berichtete, hat auch Dänemark gerade beim Seco angefragt, ob es 20 Radschützenpanzer vom Typ Piranha III an die Ukraine liefern darf. Beide Länder blitzten ab. Schweizer Waffen dürfen aus Neutralitätsgründen nicht an kriegführende Staaten gehen, so das Seco.

Doch der Druck der europäischen Partner steigt. Berichten zufolge hat die deutsche Verteidigungsministerin einen Brief an den Schweizer Wirtschaftsminister Guy Parmelin geschrieben und ihn darin nochmals um die Bewilligung der Weitergabe von Schweizer Rüstungsgütern gebeten. Und auch in der Schweizer Politik werden Stimmen laut, die mehr Spielraum sehen und an der strikten Haltung des Seco rütteln wollen - obwohl es beim Thema Waffenlieferungen neutralitätsrechtlich ans Eingemachte geht. Womöglich tut sich in der Sache sogar sehr bald etwas: Schon an diesem Freitag soll der Bundesrat über den Brief aus Deutschland und seine Haltung zu den Wiederausfuhrverboten diskutieren.

© SZ - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

SZ PlusRussland
:Sie haben Putin groß gemacht, jetzt gehen sie durch die Hintertür

Der Präsidentenberater Walentin Jumaschew tritt zurück - und damit der nächste Politiker, der zu Putins frühen Förderern zählt. Hinweise auf eine Entfremdung sind nicht leicht zu finden. Aber es gibt sie.

Von Silke Bigalke

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: