Profil:Ein Kämpfer gibt auf

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Militärgouverneur Serhij Hajdaj hat drei Jahre lang versucht, die Infrastruktur in der Region Luhansk zu verbessern. Angesichts der vorrückenden russischen Truppen muss er jetzt wohl fliehen. (Foto: Oleksii Kovalov /imago images/Ukrinform)

Serhij Hajdaj war fast drei Jahre Militärgouverneur der Region Luhansk. Nun muss er aufgeben.

Von Florian Hassel

Noch vor Kurzem hoffte Serhij Hajdaj auf ein ambitioniertes Projekt: Mit Geld und Fachleuten aus Frankreich sollte ein leckender Wasserkanal saniert werden, der einen großen Teil der Ostukraine mit Wasser versorgt. Im März würden die Arbeiten beginnen, sagte der Militärgouverneur der Region Luhansk optimistisch, als die SZ ihn im Januar besuchte.

Dann kam der 24. Februar - und Hajdaj muss seitdem täglich neue Meldungen über Tod, Zerstörung und das Vorrücken der russischen Armee bekanntgeben. Am Mittwoch sagte der Militärgouverneur, dass russische Soldaten mittlerweile gut zwei Drittel seines Amtssitzes, der Stadt Sjewjerodonezk, kontrollieren.

Militärgouverneure, die vom Krieg betroffene ukrainische Regionen führen, werden nicht gewählt, sondern vom Präsidenten ernannt oder gefeuert. Die Region Luhansk sah in den vergangenen Jahren einen Gouverneur nach dem anderen: Wohl kein anderer Beamter musste eine so depressive Region führen, gezeichnet vom hier schon seit 2014 andauernden Konflikt mit Russland. Moskaus Statthalter der "Volksrepublik Luhansk" kontrollieren nicht nur die gleichnamige Stadt, sondern auch die meisten Fabriken, Betriebe und einen großen Teil der früher offiziell gut zwei Millionen Einwohner der Region.

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Kiews Statthalter und Militärs wichen in die zuvor nur als Standort einiger Chemiefabriken bekannte 100 000-Einwohner-Stadt Sjewjerodonezk aus - mit kargen Steuereinnahmen und fortschreitender Abwanderung verbliebener Einwohner. Das Geld aus Kiew steckten viele Beamte lieber in die eigene Tasche als in den Wiederaufbau.

Korruption bestimmte die Region - bis Hajdaj kam

Serhij Hajdaj sollte dies ändern. Ende Oktober 2019 ernannte Präsident Selenskij den aus Sjewjerodonezk stammenden studierten Ökonomen und langjährigen Unternehmenschef in Kiew zum Militärgouverneur der Region Luhansk - ein Amt, das Selenskij sonst ehemaligen Militärs, Geheimdienstlern oder Staatsanwälten anvertraut. So arm die Region, so sehr habe ihn "die Höhe der Korruption und Fehlausgaben schockiert", sagte Hajdaj im Januar 2021 lokalen Journalisten. Allein beim Austausch von Bürgersteigen sei der dreifache Preis des üblichen abgerechnet worden. Beteiligte hätten versucht, Ämter zu kaufen und Ermittlungen der Justiz zu Unterschlagungen durch Bestechung zu verhindern.

Hajdaj, über den in fast drei Jahren im Amt bisher keine Skandale bekannt wurden, setzte umfassende Prüfungen durch, begann mit der Sanierung von Schulen, Kindergärten und Sportplätzen und der Reparatur der gerade in der Region Luhansk legendär schlechten Straßen. Hajdaj träumte von einer wirtschaftlichen Wiedergeburt seiner Heimat, die seit dem Verlust der Stadt Luhansk nicht einmal mehr an das ukrainische Eisenbahnnetz angeschlossen ist. Bei westlichen Geschäftsleuten warb er für den Bau einer Zementfabrik oder die Wiedereröffnung einer Sodafabrik - auch mit dem Argument, in der Region gebe es "keine Konkurrenz, und ein Geschäft funktioniert viel besser, wenn man der erste ist". Und schließlich gebe es mittlerweile "eine gewisse Stabilität in der Region", sagte Hajdaj noch im Juni 2021 hoffnungsvoll.

Seit dem 24. Februar aber kann Hajdaj die Zahl der zerbombten Häuser, Straßen oder Firmen ebenso wenig noch präzise benennen wie die der Toten. Allein in einer Schule im Dorf Bilohoriwka kamen am 7. Mai 60 Menschen durch eine russische Bombe ums Leben. In Sjewjerodonezk seien "1500 neue Gräber" ausgehoben worden, von denen viele "keine Namen haben", so Hajdaj am 29. Mai. Präsident Selenskij ließ den Militärgouverneur für seinen Mut und Einsatz auszeichnen. Ukrainischen Journalisten sagte Hajdaj Ende April, im Fall der Eroberung würden ihn die Russen kaum am Leben lassen; er werde Sjewjerodonezk deshalb mit der ukrainischen Armee verlassen, bevor die Stadt eingeschlossen sei. Dieser Tag dürfte nun gekommen sein.

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