Scholz und die Länderchefs:Morgens verloren, abends gewonnen

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Olaf Scholz, voller Anerkennung für sich selbst bei der Pressekonferenz am Donnerstagsabend: Keine Impfpflicht, aber immerhin eine Einigung bei den Flüchtlingskosten. (Foto: Bernd von Jutrczenka/dpa)

Mit den Ländern einigt sich Scholz über die Flüchtlingskosten - und sieht sich wieder obenauf, nachdem wenige Stunden zuvor seine Impfpflicht gescheitert ist. Zumindest diesen Vorteil haben die vielen Krisen für den Kanzler: War da etwa was?

Von Nico Fried, Berlin

Ein weiß Gott nicht ganz so erfreulicher Tag für den Bundeskanzler neigt sich dem Ende zu, aber Olaf Scholz ist schon wieder voll der Anerkennung für sich selbst. Der Kanzler hat am Donnerstag nach der Abstimmung über die Impfpflicht im Bundestag per Video mit den Ministerpräsidenten der Länder über den Ukraine-Krieg und seine Folgen gesprochen, vor allem über die Kosten für die Flüchtlinge. Und herausgekommen ist, so Scholz, "eine gute Perspektive".

Läppische sechs Stunden hat die Sitzung gedauert - was ist das schon im Vergleich zu früheren Ministerpräsidentenkonferenzen. Man habe die Sache eben sehr gut vorbereitet, sagt Scholz. Etwa 300 000 Menschen sind schon nach Deutschland gekommen und müssen versorgt werden. Sein Wunsch sei es gewesen, dass man über die Kosten "keinen öffentlichen Streit austrägt", so der Kanzler. "Das ist gelungen." Das sei etwas Besonderes, findet Scholz, weil es Vorbild sein könne für das, "was wir gemeinsam zu meistern haben".

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:Der Kanzler hat's versemmelt

Ende 2021 hat Olaf Scholz der Nation versprochen: Die Impfpflicht kommt, bis Anfang März. Mit ein paar Wochen Verspätung und eine Bundestagsabstimmung später steht fest - er ist gescheitert, auf ganzer Linie.

Kommentar von Nico Fried

Wenn es denn überhaupt einen Vorteil hat, dass der Kanzler derzeit ziemlich viele Krisen gleichzeitig zu bewältigen hat, dann den, dass er sich nach einem Rückschlag bei einem Thema mit Fortschritten bei einem anderen schnell wieder aufbauen kann. Es war auch eine Ministerpräsidentenkonferenz, in der Scholz im November 2021 als Bald-Kanzler die allgemeine Impfpflicht angeregt hatte. Knapp ein halbes Jahr später ist dieser Vorschlag am Donnerstag im Parlament sang- und klanglos untergegangen. Dazu wird sich Scholz am Ende der Pressekonferenz auch noch äußern, ziemlich deutlich sogar. Aber jetzt redet er natürlich erst mal lieber über das, was er hinbekommen hat.

Und Lindner wippt dazu im Publikum

In der Flüchtlingskrise 2015 sei die Kostenfrage mit ganz anderer Härte diskutiert worden, sagt Scholz, der damals noch Hamburgs Erster Bürgermeister und einer der Verhandlungsführer für die Länder war. Es klingt, als hätten die Länder der Kanzlerin Angela Merkel und ihrem Finanzminister Wolfgang Schäuble damals die Euros einzeln aus den Händen verhandeln müssen. So kann der Kanzler nun den Eindruck erwecken, dass er und sein Finanzminister Christian Lindner (FDP) sieben Jahre später jene Großzügigkeit des Bundes walten lassen, die Scholz damals schon erwartet hätte. Fünf bis sechs Milliarden Euro wird Lindner mindestens in seinem Ergänzungshaushalt vorsehen müssen.

Der Finanzminister sitzt übrigens nicht auf dem Podium, sondern zwischen den Journalisten. Sechsmal während der etwa 40-minütigen Pressekonferenz schaut er auf sein Smartphone, fast so oft streicht er seine goldgelbe Krawatte glatt, zweimal gestattet er sich hinter der Maske ein Gähnen. Vor allem aber nickt er zu vielem, was sein Kanzler sagt, wodurch die ganze Gestalt des Finanzministers mitsamt dem Stuhl, auf dem er sitzt, in ein ständig wiederkehrendes Wippen gerät.

Nur bei den Lobeshymnen von Franziska Giffey (SPD) scheint Lindner dann doch etwas blümerant zu werden. Die Wünsche der Länder seien "wirklich gehört" worden, flötet Berlins Regierende Bürgermeisterin, die Zusagen des Bundes entsprächen genau dem, was man erwartet habe. Da mag Lindner nicht nur gedacht haben, dass Giffey gerne ziemlich lange redet, sondern auch, dass er vielleicht zu großzügig gewesen sein könnte. Im November, wenn man sich die Entwicklung der Ausgaben genau ansehen will, könnte es passieren, dass Lindner mal ein bisschen mehr auf Schäuble macht.

Giffey ist nur die Vizevorsitzende der MPK, der eigentliche Vorsitzende ist NRW-Ministerpräsident Hendrik Wüst (CDU). Der hat in den sechs Stunden mit Scholz zwar finanziell einiges gewonnen, politisch aber zur selben Zeit auch was verloren. Während Wüst in Berlin verhandelte, ging ihm in seiner Landeshauptstadt Düsseldorf die Umweltministerin Ursula Heinen-Esser abhanden. Eine Urlaubsreise nach Mallorca während der Flutkatstrophe im vergangenen Sommer ist ihr doch noch zum Verhängnis geworden: Rücktritt. Und Hendrik Wüst, der in wenigen Wochen Landtagswahlen zu bestehen hat, kann nur hoffen, dass sich der Schaden für ihn und die CDU auf diese Weise einigermaßen begrenzen lässt.

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Kein zweiter Anlauf für eine Impfpflicht geplant

So gesehen sitzen mit Scholz und Wüst durchaus zwei Teil-Bedröppelte nebeneinander und vor den Journalisten samt Christian Lindner. Der Kanzler wird dann noch zur Abstimmung des Bundestages über die Impfpflicht gefragt. Er sei natürlich enttäuscht, dass es keine Mehrheit gegeben habe, sagt Scholz. Er sei weiter überzeugt, dass die Pflicht richtig wäre. Die Aussage des Parlaments sei aber sehr klar gewesen. "Es gibt im Bundestag keine Gesetzgebungsmehrheit für eine Impfpflicht. Das ist die Realität, die wir jetzt als Ausgangspunkt für unser Handeln nehmen müssen." Nun war es ja vorneweg die FDP, die dem Kanzler den Schlamassel mit eingebrockt hat. Doch deren Vorsitzender reagiert so, als ginge ihn das nicht wirklich was an. Lieber noch mal aufs Smartphone schauen.

Einen zweiten Anlauf zur Impfpflicht scheint Scholz nicht unternehmen zu wollen. Das Ergebnis sei doch "ziemlich eindeutig" gewesen. Das müsse man dann auch respektieren. Der Kanzler will nun lieber versuchen, auf anderen Wegen die Impfquote zu steigern. "Wir werden alles dafür tun, dass wir trotzdem noch mehr Bürgerinnen und Bürger davon überzeugen, sich impfen zu lassen", sagt Scholz. Ohne Impfpflicht. Da wippt Christian Lindner wieder.

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