Bundeskanzler:Im Zweifel nicht antworten

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Ein zerstörtes Haus in Butscha, Ukraine: Wie genau Deutschland die Ukraine in ihrem Existenzkampf künftig unterstützen will, sagte Bundeskanzler Olaf Scholz am Mittwoch im Bundestag nicht. (Foto: ALKIS KONSTANTINIDIS/REUTERS)

Bei der Fragestunde im Bundestag verstand es Olaf Scholz, Vorwürfe zu widerlegen, die niemand Deutschland gemacht hatte. Ob und wie er seine Hilfe für die Ukraine steigert, blieb dagegen im Nebel.

Kommentar von Daniel Brössler

In Zeiten des Umbruchs verschaffen Befragungen des Bundeskanzlers durch den Bundestag, wenn schon nichts anderes, immerhin die Gewissheit, dass nicht alles sich ändert. In der Tradition seiner Vorgängerin hat sich Olaf Scholz am Mittwoch weder durch Fragen noch durch Nachfragen aus der Ruhe bringen lassen. Hier und da hat er sich AfD-Abgeordnete ironisch zur Brust genommen und auch ansonsten routiniert pariert. Das Privileg des Parlaments ist es, den Kanzler einzuvernehmen. Im Ermessensspielraum des Kanzlers liegt es, auf seine Weise zu antworten - im Zweifel also gar nicht. Damit allerdings hat Olaf Scholz eine weitere Chance vergeben, sich zu erklären. Dem Parlament, der Bevölkerung, den Verbündeten und vor allem auch der Ukraine.

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Zunehmend wirkt es so, als trotte Scholz der von ihm selbst vor mehr als einem Monat im Bundestag verkündeten Zeitenwende hinterher. Keiner hat das besser auf den Punkt gebracht als der Kanzler selbst. Immer wieder nach den von der Ukraine als schleppend beklagten Waffenlieferungen aus Deutschland gefragt, verwies der Bundeskanzler darauf, man handele ganz im Einvernehmen mit den Verbündeten. Deutschland presche nicht vor. Tatsächlich ist es vermutlich der letzte Vorwurf, der der Bundesregierung gemacht werden würde - dass sie ungestüm vorprescht, wenn es um schwere Waffen für die Ukraine oder weitreichende Energiesanktionen gegen Russland ginge.

Auch den Widerspruch, der sich daraus ergibt, hat Scholz selbst benannt. Das Ziel müsse sein, hat er klargestellt, dass Russland den Krieg gegen die Ukraine nicht gewinnt. Unter dem Eindruck des mit fürchterlicher Brutalität geführten russischen Angriffskrieges und der entsetzlichen Kriegsverbrechen in Butscha kann es auch gar kein anderes Ziel geben. Verliert die Ukraine den Krieg, verliert sie alles. So zynisch die Moskauer Propaganda die Verbrechen im Einzelnen in Abrede stellt, so unfassbar unverblümt artikuliert sie einen russischen Vernichtungswillen, der nach der Ukraine neue Opfer finden wird. Wenn das Wort Zeitenwende einen Sinn haben soll, dann doch den, dass die Gefahr verstanden worden ist, die von einem sich faschistisch gerierenden Regime in Moskau ausgeht.

Die Ukraine braucht schwere Waffen. Bekommt sie die?

Scholz verweist gerne darauf, die Ampel habe bei Waffenlieferungen eine Wende vollzogen wie keine Bundesregierung vor ihr. Das stimmt, aber es ist - mit Verlaub - irrelevant. Das Wesen der Zeitenwende besteht ja gerade darin, dass Dinge getan werden und werden müssen, die man vorher für unmöglich hielt. Die Frage muss also sein, wie der Ukraine geholfen werden kann, damit sie den Krieg gegen den russischen Aggressor gewinnt. Aktiv wird gegen die Atommacht Russland weder Deutschland noch ein anderer Nato-Staat eingreifen. Umso mehr aber ist die Ukraine auf schwere Waffen wie Panzer angewiesen. Nach allem, was bisher bekannt ist, bleibt Deutschland bislang klar hinter dem zurück, was etliche andere Verbündete liefern.

Olaf Scholz hat der Ukraine im Bundestag bestmögliche Unterstützung zugesagt und er hat von nicht gekannter Geschwindigkeit gesprochen. Aufgrund der angeblich gebotenen Geheimhaltung ist das nicht ohne Weiteres nachzuvollziehen. Darauf kommt es aber auch nicht an. Wichtiger ist, ob Scholz beim nächsten Videotelefonat dem ukrainischen Präsidenten Wolodimir Selenskij ins gezeichnete Gesicht schauen kann.

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Bilder der toten Zivilisten in Butscha sieht man auch im russischen Fernsehen. Nur hören die Menschen hier, sie seien gefälscht und die Ukrainer alle Nazis. Über die Macht der Propaganda.

Von Silke Bigalke, Moskau

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