Wie kann man so etwas nur aushalten? Andreas Scheuer sitzt in der ersten Reihe des "Auditorium Friedrichstraße" in Berlin und scheint sich genau das zu fragen. Der Verkehrsminister sieht gequält aus, er massiert seine Stirn. Die zähe Anmoderation für seinen Auftritt hört einfach nicht auf. Im Publikum sitzen Gewerkschaftschefs, Industriemanager und Vertreter von Umweltverbänden - es geht um die Zukunft der Mobilität. Scheuer hat es eilig. Er will vor seinem nächsten Termin noch schnell erklären, was er alles bewegt hat. Als er endlich dran ist, beschreibt Scheuer die Fortschritte für Radler, Auto- und Bahnfahrer, die er durchgesetzt habe. Doch als der CSU-Minister mit seinem Eigenlob fertig ist, sagt der Moderator nur spitz: "An mangelndem Marketing liegt es nicht." Man könne ja "den Eindruck gewinnen, hier steht der erfolgreichste Verkehrsminister der Welt".
Das Publikum lacht. Scheuer gehört in Berlin eigentlich zu den robusten Politikern. Der 45-Jährige ist nicht nur mit einem beinahe unerschütterlichen Selbstbewusstsein, sondern auch mit der Gabe zur Selbstironie ausgestattet. Persönlich mögen ihn viele. Doch die Kritik der vergangenen Monate hat ihm zugesetzt, er wirkt inzwischen oft dünnhäutig. Denn gelacht wird nicht mehr mit, sondern vor allem über den Minister. Die Forderung von CSU-Chef Markus Söder nach einer Kabinettsumbildung in Berlin hat nicht zu Unrecht vor allem im Verkehrsministerium Unruhe ausgelöst. Die Hausspitze habe Söders Vorstoß als Drohung verstanden, heißt es. Sie befürchte, der CSU-Chef könnte Scheuer nach der bayerischen Kommunalwahl im März ablösen.
Neue Gesetze:Mehr Tempo bei Großprojekten
Die Planung und der Bau von Straßen, Wasser- und Schienenwegen sollen schneller vonstatten gehen. Klagemöglichkeiten werden eingeschränkt und Planungsvorgaben vereinfacht.
Es ist vor allem die Debatte um die Maut, die Scheuer zusetzt. Das Thema sei längst "ein Mühlstein" für die CSU, sagt Söder. Der CSU-Chef soll dem Verkehrsminister geraten haben, sich stärker auf das Thema zu konzentrieren. Doch das sei nicht ausreichend passiert, heißt es in der CSU-Landesgruppe. Zu dieser Einschätzung passt auch ein Brief Scheuers, den er als niederbayerischer CSU-Chef an seine Parteifreunde in dem Regierungsbezirk geschickt hat. Darin schreibt er, sein Ministerium und er hätten "alles getan", um bei der Maut den europarechtlichen Anforderungen gerecht zu werden. Er gesteht in dem Brief keinen einzigen Fehler ein. Stattdessen schreibt er: "Klar ist: Wir erleben eine Kampagne der Opposition gegen die CSU." Wer ein Problem wie die Maut aber nur als Kampagne der Gegner beschreibt, wird das Problem nicht lösen.
"Der Hammer ist noch nicht gefallen", heißt es in der CSU über Scheuers Zukunft
Wie tief Scheuer in der Krise steckt, hat sich in dieser Woche gezeigt. Zuerst wurden Vorwürfe des Bundesrechnungshofs laut, sein Ministerium behindere die Aufklärung des Mautdebakels und rücke Informationen nur scheibchenweise heraus. Dabei war sogar von Arbeitsverweigerung die Rede. Im Untersuchungsausschuss des Bundestags warfen Zeugen Scheuer dann auch noch vor, bei der Vergabe der milliardenschweren Mautverträge Haushalts- und Vergaberecht gebrochen zu haben. Die Steuerzahler könnte das Mautdebakel wegen der hohen Schadenersatzforderungen der Firmen teuer kommen.
Und wie geht es jetzt weiter? "Der Hammer ist noch nicht gefallen", heißt es in der CSU-Spitze, wenn man nach der Zukunft Scheuers fragt. Der Verkehrsminister habe noch Zeit, die Vorwürfe zu entkräften. Aber auch in der CSU-Spitze wissen sie, dass das nicht einfach werden wird. Es gibt kaum eine Veranstaltung, bei der CSU-Politiker nicht auf das Mautfiasko angesprochen werden. Laut Bayern-Trend des Bayerischen Rundfunks sind nur 16 Prozent der Bürger im Freistaat mit der Arbeit Scheuers zufrieden, sogar die Mehrheit der CSU-Anhänger hat den Glauben an ihn verloren. Söder kommt bei den Bayern übrigens auf 67 Prozent Zustimmung. Die Entscheidung über die Zukunft Scheuers sei zwar kein Thema für die nächsten drei Monate, sagt einer aus der CSU-Spitze. Aber sie komme natürlich "auf Wiedervorlage". Zu groß ist in der Partei die Sorge, dass die Mautdebatte ihr genauso stark schaden könnte wie einst die Affäre um die Bayerische Landesbank.
Im Verkehrsministerium wächst jedenfalls die Zahl derer, die mit einer vorzeitigen Ablösung Scheuers rechnen. Zumal in der CSU längst offen die Frage diskutiert wird, ob das Verkehrsministerium noch zentral für die Partei ist. Die Zeiten, in denen man mit neuen Straßen punkten könne, seien vorbei, heißt es. Inzwischen sei das Ministerium sogar eine Last. Weil die CSU schon seit mehr als zehn Jahren die Verkehrsminister stelle, werde sie für jede nicht funktionierende Weiche verantwortlich gemacht, heißt es. In der CSU können sie sich einen Ressorttausch vorstellen, dann wäre Scheuer schon deshalb nicht mehr Verkehrsminister, weil die CSU nicht mehr den Ressortchef stellen würde. Doch bisher profitiert Scheuer noch von der Abneigung der Kanzlerin gegen Kabinettsumbildungen. Zumindest bisher zeichnet sich kein großes Revirement ab.
Und Scheuer? Dessen Umgang mit dem Mautdebakel wird inzwischen sogar im eigenen Ministerium argwöhnisch beobachtet. Da wird dann zum Beispiel auf seinen Auftritt bei Markus Lanz in der vergangenen Woche verwiesen. Er habe halt "eine andere Rechtsauffassung als der EuGH", sagte Scheuer dort zum Urteil des Gerichtshofs, der die Maut 2019 kippte. Derart lapidar mit einem höchstrichterlichen Urteil umzugehen, das sei "bestenfalls unglücklich", sagt ein Ministerialer.