Trauerfeier für Wolfgang Schäuble:"Wolfgang, du hast Großes geleistet. Und es ist gut geworden"

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Der Sarg von Wolfgang Schäuble wird aus der Stadtkirche von Offenburg getragen, das Wachbataillon beim Bundesverteidigungsministerium hat Aufstellung in Ehrenformation genommen. (Foto: Daniel Roland/AFP)

In Offenburg nimmt das Land Abschied von Wolfgang Schäuble. Friedrich Merz würdigt ihn als einen der prägendsten Politiker der Bundesrepublik.

Von Max Ferstl, Offenburg

An Weihnachten ist Wolfgang Schäuble noch einmal in die Evangelische Stadtkirche in Offenburg gekommen, in seine Kirche. Bei "O du fröhliche" sang er kräftig mit. Am nächsten Tag gab es Rehrücken mit Spätzle, wie jedes Jahr, dazu den geliebten badischen Spätburgunder. Schäuble habe sich seine Kräfte genau eingeteilt, erzählt seine Tochter Christine Strobl auf der Beerdigung. Auf den Fotos habe "der Papa" nicht gequält ausgesehen. Bei aller Anstrengung, die ihn das gekostet haben müsse.

Am Freitagvormittag reiht sich vor der Stadtkirche Trauerkranz an Trauerkranz, geordnet nach dem Rang der Staatsämter. Ganz links der Bundespräsident, dann die Bundestagspräsidentin, dann der Kanzler. In der Kirche, vor dem Altar, steht der Sarg, eingehüllt in eine Deutschlandfahne. Daneben ein Porträt: Wolfgang Schäuble, verschmitzt lächelnd.

Er habe den Bundestag nie ohne Schäuble erlebt, sagt Norbert Lammert

Eine Stadt, ein Land nimmt Abschied von einem großen Staatsmann. Ein grauer Himmel spannt sich über Offenburg, Schäubles badische Heimat. 14 Mal nacheinander haben die Menschen ihn hier als Direktkandidaten für die CDU in den Bundestag gewählt. Ein halbes Jahrhundert als Abgeordneter - gefühlt war er immer da. "Ich habe den Deutschen Bundestag nie ohne Wolfgang Schäuble erlebt", sagt Norbert Lammert, Schäubles Vorgänger als Bundestagspräsident, bevor er in die Kirche tritt, wo gleich der Gottesdienst beginnt.

Die Evangelische Stadtkirche ist ein eher kleines Gebäude aus rotem Backstein, aber die Dichte an politischer Prominenz dürfte dort selten größer gewesen sein. Bundestagspräsidentin Bärbel Bas (SPD) ist da, Baden-Württembergs Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne), der CDU-Vorsitzende Friedrich Merz, die Innenministerin Nancy Faeser (SPD). Dazu zahlreiche Christdemokraten, von Jens Spahn bis Paul Ziemiak.

Schäuble habe ihn und eine ganze Generation von CDU-Abgeordneten geprägt, sagt CDU-Chef Friedrich Merz in seiner Trauerrede. (Foto: Philipp von Ditfurth/Reuters)

Natürlich fällt auf, wer nicht gekommen ist: Angela Merkel zum Beispiel, die ehemalige Kanzlerin, mit der Schäuble eine komplizierte, ambivalente Beziehung verband. Merkel soll beim offiziellen Staatsakt am 22. Januar in Berlin dabei sein. Auch ein prominenter CSU-Vertreter fehlt, was damit zu tun haben könnte, dass Schäuble vor der letzten Bundestagswahl einen Kanzlerkandidaten Markus Söder verhinderte. Armin Laschet hingegen, der glücklose Kandidat, sitzt auf einer der Kirchenbänke.

Als er nicht mehr wandern konnte, zog er mit dem Handbike los

Was für ein Mensch und was für ein Politiker Schäuble war, konnte man in den vergangenen Tagen ausführlich nachlesen. Auch die Jüngeren, die nur späte Abschnitte seiner Karriere mitverfolgen konnten, wissen nun alles über Schäubles enorme Verdienste um Europa, um die deutsche Einheit - und wissen von seiner berühmten Rede, die entscheidend dazu beitrug, dass Berlin die Hauptstadt dieses vereinten Deutschlands geworden ist. Darin waren sich alle einig, die Nachrufe auf ihn schrieben: Mit Schäuble ist ein Großer der Politik gegangen.

In der Kirche verdichtet sich dieses Leben noch einmal. Die evangelische Landesbischöfin von Baden widmet sich dem tragischen Teil. 1990 schoss ein geistig verwirrter Mann bei einer Wahlkampfveranstaltung auf Schäuble, seitdem saß er, der so gern wanderte und Tennis spielte, im Rollstuhl. "Wolfgang Schäuble hat sich in seinem Leben nicht aufhalten lassen", sagt die Landesbischöfin. Und so machte er auch nach dem Anschlag die Hügel des Schwarzwaldes unsicher, nur eben nicht mehr als Wanderer, sondern mit dem Handbike. Das war Schäubles Leben eben auch: eine Lektion im Weiterleben.

In den Nachrufen der vergangenen Tage ging es auch um die Frage, ob die politische Karriere Schäubles unvollendet sei. Weil er nie Kanzler war, nie Bundespräsident. Für Friedrich Merz, der in Schäuble einen seiner wichtigsten Vertrauten sah, stellt sich diese Frage nicht. In seiner Trauerrede reiht er Schäuble ein "in die erste Reihe der nicht allzu großen Zahl der deutschen Nachkriegspolitiker, die im wahrsten Sinne des Wortes unsere Geschichte geschrieben haben". Nicht nur bei der Wiedervereinigung, sondern auch in der Staatsschuldenkrise oder mit der ersten Islamkonferenz. Dass ihm die beiden höchsten Ämter versagt blieben? Nicht wichtig, findet Merz. "Er hätte sie ohne Zweifel beide ausgefüllt."

Die letzte Sitzungswoche im Bundestag absolvierte er zwischen zwei Klinikaufenthalten

Mehr als 50 Jahre Deutscher Bundestag, fast zwei Jahrzehnte Bundesminister, später Bundestagspräsident. Schäuble habe eine ganze Generation von CDU-Abgeordneten geprägt, sagt Merz - ihn selbst eingeschlossen. Er sei ein Vorbild gewesen, wegen seines Willens zur Zuversicht, seiner Bereitschaft zur Verantwortung, seiner Weigerung, sich dem Fatalismus hinzugeben. Merz sagt: "Wolfgang, du hast Großes geleistet. Und es ist gut geworden."

Als der Gottesdienst fast zu Ende ist, tritt Christine Strobl ans Mikrofon, Schäubles älteste Tochter. Sie erzählt von Schäubles letzten Tagen. Wie er sich im Dezember zweimal für eine Woche ins Krankenhaus in Heilbronn begab. Wie er dazwischen die letzte Sitzungswoche im Bundestag absolvierte - weil das für ihn "gar nicht anders denkbar" gewesen sei. Und wie er ihr irgendwann am Telefon sagte, dass er nicht mehr könne. Zum allgemeinen Erstaunen des Klinikpersonals habe er sich dann aber doch noch einmal aufgerafft, für dieses letzte gemeinsame Weihnachtsfest mit der Familie.

Dann erhebt sich die Trauergemeinde. Soldaten tragen den Sarg aus der Kirche, die Kapelle spielt die Nationalhymne. Der Trauerzug zum Offenburger Waldbachfriedhof, wo Schäuble beerdigt wird, setzt sich in Bewegung. Es ist das große militärische Ehrengeleit nach einem großen Leben.

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