Saudi-Arabien:Migranten unter Beschuss

Lesezeit: 2 min

Ein Bauer aus Äthiopien hat sich nach Dschibuti durchgeschlagen, von wo er mit einem Boot nach Jemen übersetzen will. Sein Ziel ist Saudi-Arabien. (Foto: Nariman El-Mofty/AP)

Die Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch wirft Saudi-Arabien vor, auf Flüchtlinge aus Äthiopien gezielt zu schießen. Hunderte sollen getötet worden sein.

Von Bernd Dörries

"Wenn ich daran denke, muss ich weinen. Ich sehe noch den Mann vor mir, der beide Beine verloren hatte und schrie: 'Ihr werdet mich doch nicht hier zurücklassen'?" Sie hätten ihn zurückgelassen, sagt die junge Frau, sie hätten ihr eigenes Leben retten müssen. Die Äthiopierin ist eine von 38 Zeugen und Zeuginnen, die nach Angaben von Human Rights Watch (HRW) anonym davon berichten, wie saudi-arabische Sicherheitskräfte an der Grenze zum Bürgerkriegsland Jemen gezielt auf Migranten schießen - mit Schusswaffen, aber auch mit Mörsern und Granaten.

Mehrere Hundert Menschen sind dem am Montag veröffentlichten HRW-Bericht zufolge zwischen März 2022 und Juni 2023 ums Leben gekommen, vielleicht waren es sogar noch mehr. "Wenn die saudischen Sicherheitsbeamten eine Gruppe sehen, schießen sie ununterbrochen", sagte eine der Überlebenden gegenüber HRW. Manchmal würden Migranten von saudischen Grenzern gefragt, in welches Körperteil sie geschossen werden wollen. "Saudische Beamte töten Hunderte von Migranten und Asylbewerber in diesem abgelegenen Grenzgebiet, ohne dass der Rest der Welt es sieht", sagt Nadia Hardman, Forscherin bei Human Rights Watch.

Die Menschen suchen in Saudi-Arabien ein besseres Leben

Die sogenannte Jemen-Route gehört zu den gefährlichsten für Migranten überhaupt. Sie wird vor allem von Äthiopiern genutzt, die dem Bürgerkrieg und mangelnden Zukunftsperspektiven in ihrem Land entfliehen wollen. Ihr Ziel ist nicht Europa, sondern Saudi-Arabien, wo bereits etwa 750 000 Äthiopier arbeiten sollen. Nach Angaben der International Organization for Migration (IOM) versuchen jedes Jahr etwa 200 000 Migranten und Asylsuchende, über das an der Meerenge am Horn von Afrika gelegene Dschibuti aus Jemen zu erreichen und von dort Saudi-Arabien. Sie kommen vor allem aus Äthiopien, Eritrea und Somalia.

Es ist eine oft monatelange Reise durch ein Kriegsgebiet. In Jemen kämpft die von Saudi-Arabien unterstützte Regierung gegen die von Iran mitfinanzierten Huthi-Rebellen, die neben der Hauptstadt Sanaa auch den Norden des Landes an der Grenze zu Saudi-Arabien kontrollieren. Den Rebellen wird immer wieder vorgeworfen, Migranten zu quälen und zumindest indirekt finanziell von Schleusern zu profitieren, für die sie den Weg zur Grenze nach Saudi-Arabien sichern.

Äthiopier stehen an der Küste Dschibutis Schlange, um über die Meeresstraße nach Jemen transportiert zu werden. (Foto: Nariman El-Mofty/AP)

Dort werden die Menschen dann aber offenbar von den Kriegsgegnern der Huthi unter Beschuss genommen. Vor Human Rights Watch hatten bereits mehrere UN-Organisationen über Tötungen von Migranten berichtet - ein Vorwurf, den Saudi-Arabien zuletzt im März kategorisch zurückwies.

Saudi-Arabien versuche abzulenken, schreibt Human Rights Watch

"In den vergangenen Jahren hat Saudi-Arabien viel investiert, um von seiner miserablen Menschenrechtsbilanz im In- und Ausland abzulenken", schreibt HRW in dem Bericht. Das Land habe Milliarden Dollar für die Ausrichtung großer Unterhaltungs-, Kultur- und Sportveranstaltungen ausgegeben. Dazu zählen ein Formel-1-Grand-Prix und Weltmeisterschaftskämpfe im Schwergewichtsboxen, der Kauf von Newcastle United, einer Fußballmannschaft der englischen Premier League, und die Gründung der LIV-Golftour, die kürzlich eine Fusion mit der PGA Tour ankündigte.

Cristiano Ronaldo vs. Lionel Messi
:Der Stoff saudi-arabischer Träume

In Riad sind Lionel Messi und Cristiano Ronaldo zum vielleicht letzten Mal aufeinandergetroffen. Doch der Testkick bildet nicht den Abschluss ihrer Rivalität - sondern den einer Sportswashing-Trilogie.

Von Tim Brack

Die Linken-Bundestagsabgeordnete Clara Bünger forderte mit Blick auf den HRW-Bericht einen Kurswechsel der Bundesregierung gegenüber Saudi-Arabien. "Wer von sich selbst behauptet, feministische Außenpolitik sei wichtig, macht sich unglaubwürdig, wenn man Staaten wie Saudi-Arabien mit Waffen unterstützt, die Menschen barbarisch an ihrer Grenze abschießen", sagte Bünger dem Fachinformationsdienst Table Media. Insbesondere die 2020 von der Vorgängerregierung getroffene Entscheidung, erneut saudi-arabische Grenzpolizisten durch die Bundespolizei ausbilden zu lassen, sei "ein großer Fehler" gewesen.

Alle Nachrichten im Überblick
:SZ am Morgen & Abend Newsletter

Alles, was Sie heute wissen müssen: Die wichtigsten Nachrichten des Tages, zusammengefasst und eingeordnet von der SZ-Redaktion. Hier kostenlos anmelden.

Es müsse nun geklärt werden, "ob etwaige von Deutschland ausgebildete Kräfte an den Massenerschießungen und Menschenrechtsverletzungen beteiligt" gewesen seien. Diese Zusammenarbeit müsse ebenso wie Rüstungsexporte nach Saudi-Arabien eingestellt werden.

© SZ - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

SZ PlusMeinungNeymar
:Ein besonders obszönes Beispiel der Selbstdemontage

Dass jetzt auch der Brasilianer Neymar nach Saudi-Arabien wechselt, mit gerade mal 31 Jahren, ist ebenso traurig wie folgerichtig: Was sind schon sportliche Ambitionen gegen 200 Millionen Euro und einen Privatjet?

Kommentar von Javier Cáceres

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: