Kenia-Koalition in Sachsen-Anhalt:Heikler Streit um den Rundfunkbeitrag

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Auf diesen Saal werden am 15. Dezember viele Menschen blicken: das Plenum des Landtags von Sachsen-Anhalt in Magdeburg. (Foto: Christian Schroedter/imago images)

Alles wegen 86 Cent? In Sachsen-Anhalt lehnt die CDU einen höheren Rundfunkbeitrag ab. Die AfD sowieso. Gemeinsam könnten die beiden Fraktionen nun ARD und ZDF in eine Krise stürzen - und bundesweit viele nervös machen, die sich um die Demokratie sorgen.

Von Ulrike Nimz, Cornelius Pollmer und Robert Roßmann, Leipzig/Berlin

Es ist ein komplizierter Bruch, den sich die Kenia-Koalition in Magdeburg zugezogen hat, und wer dieser nicht angehört, für den ist zumindest die Visite interessant. Das Problem in aller Kürze: Die CDU will, anders als ihre Koalitionspartner SPD und Grüne, geschlossen gegen eine geplante Erhöhung des monatlichen Rundfunkbeitrages stimmen. Es geht um 86 Cent, es wäre der erste Beitragsanstieg seit 2009. Gemeinsam mit der AfD-Fraktion, die bei der Abstimmung Mitte Dezember erwartbar auch ablehnen wird, haben die Christdemokraten eine Mehrheit im Landtag - und damit die Macht, den kompletten Staatsvertrag zu kippen. Denn Voraussetzung für die Erhöhung ist, dass alle Länderparlamente zustimmen. Seither gilt das kleine Sachsen-Anhalt, in dem im kommenden Jahr ein neuer Landtag gewählt werden soll, mal als gallisches Dorf, mal als Hort demokratiefeindlicher Renitenz.

Dorothea Frederking war dabei, als vor zwei Wochen in Magdeburg die Spitzen von WDR, ZDF, MDR und Deutschlandfunk vorstellig wurden. Sie ist die einzige Frau unter den ordentlichen Mitgliedern des Medienausschusses des Landtages, und die einzige Grüne. Frederking beschreibt die Debatte im Ausschuss als weitgehend sachlich, rügt jedoch die Breitbeinigkeit, mit der sich die christdemokratische Fraktion nun präsentiert. "Die Forderungen der CDU sind unehrlich und populistisch", sagt sie. Die Partei verquicke Kritik an den Inhalten des öffentlich-rechtlichen Rundfunks mit der Beitragsdebatte. "Wir halten es für unvorstellbar, dass die CDU gemeinsam mit den Antidemokraten eine Regierungsvorlage ablehnt und damit einen Angriff auf den öffentlich-rechtlichen Rundfunk fährt." Gleichwohl hätten die Grünen "den Gesprächsfaden zur CDU nicht abgeschnitten". Sie sehen nun aber vor allem den Ministerpräsidenten am Zug.

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Reiner Haseloff (CDU) gilt vielen als Bollwerk gegen Schwarz-Blau. Er hat die Koalition aus CDU, SPD und Grünen geschmiedet. Er hat den Medienstaatsvertrag unterzeichnet und in den Landtag eingebracht. Gerade tut er das, was er immer tut, wenn in Sachsen-Anhalts Koalition die Fetzen fliegen: sich öffentlich möglichst nicht äußern und hinter den Kulissen vermitteln. Wohl wissend, dass ein Votum gegen einen höheren Beitrag auch als Votum gegen ihn verstanden werden könnte. Sein Innenminister, der CDU-Landeschef Holger Stahlknecht, steht jedenfalls an der Seite der Fraktion.

"Der Ministerpräsident hat das Thema und die eigene Fraktion unterschätzt", urteilt Katja Pähle, Fraktionsvorsitzende der Sozialdemokraten. "Es gibt eine Gruppe innerhalb der CDU, die keine Berührungsängste mit der AfD hat." Die Sozialdemokraten drohen mit einem Sonderparteitag zum Fortbestand der Koalition, sollte die CDU bei ihrem Nein bleiben.

Das also ist die eine Deutung: Da gebe es eine pyromane Landtagsfraktion, deren Vertreter aus Überzeugung oder mindestens strategischem Eigeninteresse die Nähe zur AfD suchen, selbst wenn dafür das Heiligste zu opfern ist, der öffentlich-rechtliche Rundfunk. Das klingt auch deswegen zunächst plausibel, weil die CDU in Sachsen-Anhalt mit so vielen Sonderbarkeiten aufgefallen ist, dass sich ein ganzes Vorgeschichtsbuch schreiben ließe. Es gab den Fall des CDU-Kreisvorstands Robert Möritz, dessen rechtsextreme Vergangenheit in Form eines Tattoos zutage trat. Da ist der CDU-Fraktionsvize Lars-Jörn Zimmer, der in einer "Denkschrift" das "Soziale mit dem Nationalen versöhnen" wollte. Kurz nachdem in Thüringen der FDP-Mann Thomas Kemmerich mit Stimmen von CDU und AfD kurzzeitig zum Ministerpräsidenten gekürt wurde, sagte Zimmer in die Kameras des ZDF, dass er eine CDU-Minderheitsregierung mit Tolerierung der AfD generell für "absolut denkbar" halte.

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Glaubt man dem Landtagsflurfunk, ist Zimmer mit Ideen dieser Art noch ziemlich allein. Aber absolut denkbar ist zum jetzigen Zeitpunkt immerhin auch, dass die ohnehin strapazierte Koalition in Sachsen-Anhalt über dem Rundfunk-Streit zerbricht - mitten in der Pandemie.

Höchste Zeit also, mit den Häuptlingen des gallischen Dorfes zu sprechen, etwa mit Markus Kurze. Es gebe, sagt der Parlamentarische Geschäftsführer der CDU, "einen Haufen Sachargumente" gegen eine Erhöhung des Rundfunkbeitrags. Aber es sei auch wichtig zu betonen: "Wir sind nicht gegen den öffentlich-rechtlichen Rundfunk, wie es vielleicht andere sind." Die unbequeme Frage, was es denn hieße, stimmten CDU und AfD gleich ab, dreht Kurze lieber um. Mit Blick auf SPD und Grüne sagt er: "Unsere Koalitionspartner könnten ja auch ihren eingeschlagenen Pfad verlassen und sich an den Koalitionsvertrag halten."

Tatsächlich steht auf Seite 136 des Papiers: "Bei der Finanzierung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks halten wir am Ziel der Beitragsstabilität fest." Das Angebot von Kurze lautet, den nächsten Zwischenbericht der Kommission zur Ermittlung des Finanzbedarfs der Rundfunkanstalten (KEF) in zwei Jahren abzuwarten - und dann zu entscheiden. Da wisse man dann auch, was Corona gekostet hat. Allein aber "für die Ankündigung der Intendanten, gebt uns jetzt noch einmal das Geld, dann fangen wir richtig an zu sparen, können wir unseren Koalitionsvertrag nicht verlassen." Eine Zusammenarbeit mit der AfD gebe es nicht, sagt Kurze, und verweist auf entsprechende Parteitagsbeschlüsse. Und führt sodann fort: "Aber je mehr man jemanden ausgrenzt, umso mehr macht man ihn zum Märtyrer."

Von Sven Schulze, dem Landes-Generalsekretär der CDU, hört man ähnliche Argumente, und es sind ja nicht nur schlechte: Viel zu westdeutsch sei der öffentlich-rechtliche Rundfunk geprägt, viel zu wenig Gemeinschaftseinrichtungen befänden sich im Osten. Seit mehr als zehn Jahren, sagt Schulze, beklage sein Landesverband, dass es Reformen geben müsse, "das haben wir also schon gemacht, lange bevor es die AfD gab". Deshalb ärgere es ihn, dass jetzt außerhalb Sachsen-Anhalts einige laute Töne spuckten. Wer etwa? "Herr Klingbeil", der SPD-Generalsekretär also, "der ohne Sachkenntnis jetzt von Berlin aus kritisiert, das ärgert uns sehr".

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Dabei verfolgen sie das Geschehen selbst im Konrad-Adenauer-Haus inzwischen mit großer Sorge. Zwar verweist auch die Bundes-CDU darauf, dass sich die Parteikollegen in Sachsen-Anhalt doch nur an den Koalitionsvertrag hielten. Dass es vielmehr SPD und Grüne seien, die die AfD erst zum potenziellen "game changer" machten, dass sie das Thema vor dem Landes- und Bundestagswahlkampf in ihrem Sinne aufzuladen suchten. Gleichzeitig ist man sich der politischen Sprengkraft der Abstimmung bewusst. Man wünscht sich, dass es nicht wegen 86 Cent zu einem zweiten Thüringen kommt, verzichtet aber noch auf einen öffentlichen Appell an die Parteifreunde in Sachsen-Anhalt.

Die CDU ist stolz darauf, eine föderal geprägte Partei zu sein. Die Eingriffsmöglichkeiten der Bundespartei in Angelegenheiten eines Landesverbandes sind klein. Außerdem geht es in diesem Fall nicht um Parteidinge, sondern um das Abstimmungsverhalten frei gewählter Parlamentarier. Interventionen von oben führen in den Ländern oft zu Abwehrreflexen. Das haben CDU-Chefin Annegret Kramp-Karrenbauer und Generalsekretär Paul Ziemiak schmerzhaft in Thüringen erfahren - bei der Wahl des FDP-Mannes Thomas Kemmerich mit Stimmen von CDU und AfD. Beide hatten sich vehement gegen jede Form der Zusammenarbeit mit der AfD ausgesprochen. Ziemiak hatte einen entsprechenden Vorstoß von Thüringer CDU-Mitgliedern als "irre" bezeichnet. Kramp-Karrenbauer kostete die erfolglose Intervention in Erfurt die Karriere. Seitdem ist die Bundespartei praktisch führungslos.

Auf die Frage, ob da bis zur Abstimmung im Landtag am 15. Dezember noch etwas zu machen sei, es etwas gebe, dass seine Fraktion umstimmen könnte, sagt Generalsekretär Schulze: "Nein." Seine CDU wolle sich nicht grundsätzlich einer Lösung verschließen, sie stehe für eine "auskömmliche Finanzierung" des öffentlich-rechtlichen Rundfunks. Nur gibt es eben Dissens darüber, was das bedeutet. Gerade wird hinter verschlossenen Türen noch gerungen. Aber, sagt Sven Schulze, "wenn Teil der Lösung ist, dass wir jetzt zustimmen müssen, dann wird es keine Lösung sein".

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