Hetze gegen Politikerin:Manchmal ist Hass einfach Hass

Renate Künast kommt zu Sondierungsgesprächen 2017 in Berlin

Vergeblich hat Grünenpolitikerin Renate Künast bislang versucht, sich gegen Hetze gegen sie im Netz zu wehren.

(Foto: picture alliance / Silas Stein/d)
  • Die Grünen-Politikerin Renate Künast hatte Facebook auf die Herausgabe der Namen von Kommentatoren verklagt, die sie im Netz übel attackiert hatten.
  • Das Landgericht Berlin urteilte allerdings, dass selbst "Stück Scheisse" und "Drecks Fotze" noch als Meinungsäußerungen zu werten seien.
  • Dahinter steckt ein falsch verstandenes Diskursparadigma.

Von Wolfgang Janisch, Karlsruhe

Der Beschluss des Landgerichts Berlin in Sachen Renate Künast ist nichts für sensible Naturen, aber man muss daraus zitieren, weil er grelles Licht auf ein grundsätzliches Problem wirft. Welches Maß an Beleidigungen müssen Politiker aushalten? Wie viel Dreck darf auf sie gekippt werden, bevor die Justiz einschreitet?

Die 27. Zivilkammer des Landgerichts - Holger Thiel, Sonja Hurek und Katharina Saar - findet, dass die Grünenpolitikerin Künast es hinnehmen muss, auf Facebook als "Stück Scheisse" bezeichnet zu werden. Auch "Geisteskranke" gehe in Ordnung, ebenso "Dreckschwein". Selbst bei "Knatter sie doch mal einer so richtig durch, bis sie wieder normal wird!" vermögen die Richter keine Beleidigung zu erkennen. "Die Antragstellerin wird nicht, wie sie dies meint, zum Gegenstand sexueller Fantasien gemacht". Nur bei "Drecks Fotze" haben sie überlegt. Das sei "haarscharf an der Grenze" des Hinnehmbaren. Eine sehr weit überzogene Kritik, das finden sie schon. Erlaubt sei sie trotzdem.

Der Berliner Beschluss ist ein Lehrstück dafür, wie die sehr liberale Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zur Meinungsfreiheit bis ins Groteske überdehnt werden kann. So, wie das Landgericht Berlin ihn interpretiert, wird aus Artikel fünf Grundgesetz ein Freibrief für Hass und Hetze. Dabei machen die Richter im Ansatz sogar das meiste richtig. Sie bewerten die Aussagen nicht isoliert, sondern in Zusammenhang mit dem Thema der Facebookposts - einem mehr als 30 Jahre alten parlamentarischen Zwischenruf Künasts, den die Zeitung Die Welt 2015 zum Anlass genommen hatte, Künast in die Nähe pädophiler Tendenzen bei den Grünen der Achtzigerjahre zu rücken.

Der Vorwurf wirkt zwar an den Haaren herbeigezogen, aber die Debatte betrifft fraglos ein wichtiges Thema, über das mit harten Bandagen gestritten werden darf, auch unterhalb der Gürtellinie. Da muss man sich - da hat das Landgericht recht - gerade als Politikerin einiges gefallen lassen. Richtig ist zudem der Hinweis, das Verfassungsgericht gehe im öffentlichen Streit nur ausnahmsweise von einer verbotenen "Schmähkritik" aus - und zwar dann, wenn es nur noch um persönliche Diffamierung geht. Nur ziehen die Richter nicht die Konsequenz aus den eigenen Maßstäben: Dass "Drecks Fotze" etwas anderes bedeuten könnte als Diffamierung und Herabsetzung, das kann selbst der versierteste Jurist nicht herbeiargumentieren.

Spurenelemente einer inhaltlichen Auseinandersetzung

Man wird den Beschluss deshalb als Ausreißer sehen müssen, den die nächste Instanz vermutlich wieder einkassieren wird. "Das Landgericht Berlin schlägt eine traurige Richtung für die künftige Kommunikationskultur in unserem Lande ein, die der Korrektur bedarf", sagt Künasts Anwalt Severin Riemenschneider. Was sagt dies alles über den großzügigen Umgang mit der Meinungsfreiheit aus? Inzwischen müht man sich verstärkt, Hass und Hetze aus dem Netz zu tilgen, auch die Staatsanwälte erhöhen den Druck. Müsste nicht auch die Justiz - namentlich das Verfassungsgericht - die Schrauben anziehen?

Dessen Leitstern war von Anfang an ein öffentlicher Diskurs, den man nicht mit dem Knigge unterm Arm regulieren darf. Es darf deftig zugehen, polemisch, zugespitzt - solange noch Spurenelemente einer inhaltlichen Auseinandersetzung erkennbar sind. Die großen Entscheidungen des Gerichts waren oft eine Verteidigung scharfzüngiger Kritiker. Der Boykottaufruf eines Hamburger Senatsdirektors gegen den Regisseur des Nazifilms "Jud Süß" im Jahr 1950, die geniale Polemik von Ralph Giordano, der Franz Josef Strauß 1987 einen "Zwangsdemokraten" nannte, auch die radikalpazifistische Formel "Soldaten sind Mörder": Es ging um große Fragen und mächtige Politiker.

Was wie Hass und Hetze aussieht, ist manchmal auch nur das

In den letzten Jahren fällt freilich auf, dass der Ton härter geworden ist. Das ist mehr als nur eine Geschmacksfrage: Der Mord an Walter Lübcke löste ein Nachdenken über die Frage aus, wann Hetze in Gewalt umschlagen kann - und was dies für die Reichweite der Meinungsfreiheit bedeutet. Das Verfassungsgericht ist bisher beim Diskursparadigma geblieben. Unverdrossen fahndet es nach dem Aussagegehalt von Begriffen wie "durchgeknallt", oder überlegt, ob man "rechtsextreme Idioten" sagen darf (der Grünenpolitiker Volker Beck) und sich dafür "Obergauleiter der SA-Horden" nennen lassen muss.

Das ist im Einzelfall oft nachvollziehbar. Aber die stete Suche nach der sachlichen Substanz in jeder noch so abseitigen Äußerung verstellt bisweilen - siehe Landgericht Berlin - den Blick darauf, dass, was nach Hass und Hetze aussieht, manchmal eben auch nur Hass und Hetze ist. Vielleicht hilft hier der legendäre Satz eines US-Richters zur Pornografie: Er könne sie zwar nicht definieren. "But I know it when I see it."

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