Regierungsbildung:Das aussondierte Land

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Zähe Verhandlungen: Bundeskanzlerin Angela Merkel und ihr möglicher Koalitionspartner Sigmar Gabriel. (Foto: dpa)

Was kommt eher: Weihnachten oder ein Ende der Koalitionsverhandlungen? Die gewählten Volksvertreter lassen sich Zeit mit ihren Sondierungsgesprächen. Aber warum sollten sie sich auch beeilen? Die Macht der Kanzlerin stellt sowieso niemand in Frage.

Ein Kommentar von Nico Fried, Berlin

Aus der Zeit seit der Bundestagswahl ist eine wichtige Erkenntnis, dass es Deutschland wirklich gut gehen muss. Vier Wochen Sondierungsgespräche: kein Problem. Koalitionsverhandlungen, die mindestens noch mal so lange dauern werden: Halten wir aus. Eine geschäftsführende Regierung mit fünf Ministern aus einer Partei, die nicht mehr im Parlament sitzt? Tja, Sachen gibt's! Die Politik hat keine Eile und man kann nicht sicher sein, wer zuerst die Menschen beglücken wird: der Nikolaus und sein Knecht Ruprecht - oder die Kanzlerin Angela Merkel und ihr Kne . . . , pardon, Koalitionspartner Sigmar Gabriel. So viel Ungewissheit muss sich ein Gemeinwesen erst mal leisten können.

Natürlich wurde in Wahrheit sehr viel und intensiv über Politik geredet. An die 30 Stunden Sondierungsgespräche - man hat sich bemüht. Der Eindruck inhaltlicher Leere entstand, weil noch nichts entschieden wurde. Und weil jene, die dann draußen berichteten, die Parteichefs und Generalsekretäre, selbst so gerne Stimmung und Atmosphäre zum Politikum erhoben. Gerade zwischen Grünen und Union wäre es am Ende der Sondierungen vor lauter Fairness beinahe noch zum Trikottausch gekommen.

Charme-Attacke auf die Grünen

Aber wo liegt jetzt eigentlich der Ball? Das ist ja seit dem 22. September eine durch und durch politische Frage. Dass der Ball im Feld der Kanzlerin liege, war die sogenannte Sprachregelung, auf die sich die unterlegene SPD am Wahlabend verständigte, auch wenn nicht alle Sozialdemokraten in der Lage waren, sich diesen Satz richtig zu merken. Dass der Ball im Feld der Kanzlerin liege, sollte Madame 41,5 Prozent irgendwie die Angst einjagen, dass eine Regierungsbildung nicht zustande kommen könnte. Der Satz war ein Ausfluss der kruden Logik von gedemütigten Verlierern: Ätsch, wir haben zwar viel weniger Prozente, aber dafür habt ihr jetzt den Ball!

Merkel war's recht. Den Ball halten, abschirmen, das ist genau ihr Spiel: immer schön die Macht sichern, sehr wendig ist sie da, dribbelstark, Politik der kleinen Schritte, den riskanten Pass gibt's von der Kanzlerin nur als Befreiungsschlag, zum Beispiel wenn in Japan ein Atomkraftwerk explodiert. Vier Wochen nach ihrem Wahlerfolg, über den alsbald als Pyrrhussieg geunkt worden war, hat Merkel nun jedenfalls die SPD als einen potenziellen Koalitionspartner gewonnen, mit dem sie von nächster Woche an verhandeln wird, sowie die Grünen als Koalitionspartner der Reserve, der den Fleischtöpfen der Macht zwar vorerst entsagt hat, aber den Duft so schnell nicht aus der Nase kriegen wird. Merkel ist weiter im Ballbesitz.

Machtabsicherung. Das ist der Kanzlerin wieder gut gelungen. Das Damoklesschwert einer rot-grün-roten Regierungsübernahme mitten in der Legislaturperiode hat sie mit ihrer Charme-Attacke auf die Grünen ziemlich abgestumpft. Die Union habe sich geöffnet, loben die Grünen prompt, von den Linken könne man das bisher nicht behaupten. Wen die Grünen aber mal lieb gewonnen haben, dem sind sie lange treu, wie sich im Wahlkampf gezeigt hat: So hingebungsvoll hielten sie der sinkenden SPD den Strohhalm hin, bis sie selber abgesoffen waren.

Es gibt viele Gründe, warum die Grünen diesmal noch nicht nach der Hand der Union gegriffen haben. Aber leider kaum überzeugende. Inhalte, Schnittmengen, alles sehr ehrenhaft. Doch ihr Machtbegriff ist zu statisch. Die Grünen sind der politisch naiven Vorstellung erlegen, dass man eine vierjährige Regierungszeit exakt vorausplanen kann und genau wissen muss, was dabei in der Sache erreichbar ist und was für jede Seite abfällt. Dabei lehrt gerade ihre eigene Erfahrung eher das Gegenteil: Die erste rot-grüne Regierung musste zweimal Krieg führen und damit einen Gründungsmythos der Partei überwinden - und doch waren es 2002 gerade die grüne Außenpolitik und ihr Minister, die entscheidend halfen, Gerhard Schröder und seine Regierung zu retten.

Die letzte große Koalition hatte die Finanzkrise zu meistern, die schwarz-gelbe Regierung wurde von der Euro-Krise heimgesucht und von der mangelnden Regierungsfähigkeit der FDP. Politische Dynamik ist unberechenbar. Aber nur mit Dynamik kann man etwas bewegen. Warum hätte das nicht auch für die Grünen und eine Energiewende gelten sollen, an der Angela Merkel bislang nur nach dem Prinzip Versuch-und-Irrtum herumgewerkelt hat? Die Wahrheit kann man schwer verhandeln, die Wahrheit "is aufm Platz", wie der Dortmunder Kicker Adi Preißler einst gesagt hat.

Sigmar Gabriel scheint da reifer zu sein, auch wenn manche es nicht vermutet hätten. Gabriel ist der Adi Preißler der Sozialdemokraten. Anders als die Grünen macht der SPD-Vorsitzende sich seine Regierungserfahrung aus der letzten großen Koalition zunutze, und setzt darauf, dass ihn Angela Merkel und Horst Seehofer nicht linken - no risk, no fun. Und Gabriel hat begriffen, dass weniger die letzte große Koalition der SPD geschadet hat, sondern die ungeklärten Machtverhältnisse in der Partei zu jener Zeit.

Zwischen Skepsis und Zustimmung

Deshalb liegt Gabriels wirkliche Leistung der vergangenen Tage nicht darin, die SPD an die Idee einer neuerlichen schwarz-roten Regierung herangeführt, sondern vor allem darin, die Hierarchie in der Partei geklärt zu haben - zumindest vorläufig, wie das immer so ist in der SPD. Während Gabriel bisher erstaunlich sicher führt, eiert seine Stellvertreterin Hannelore Kraft zwischen Skepsis und Zustimmung herum, Letztere wohl ausgelöst durch die Aussicht auf mehr Geld für ihre leere Kasse in Düsseldorf.

In gewisser Weise erlebt Kraft derzeit das, was sie an Berlin immer gefürchtet hat: Aus einem Scharmützel zwischen ihr und Alexander Dobrindt wird fast eine Staatsaffäre, freilich auch, weil es der Ministerpräsidentin an der Souveränitat gebrach, einen allseits bekannten Provokateur einfach abblitzen zu lassen. Dass ausgerechnet sie schlichten durfte, wird Angela Merkel wiederum gefallen haben: Kanzlerin aller Deutschen, sag' ich doch.

Der Parteikonvent wird der SPD-Spitze ein Mandat für Verhandlungen erteilen, daran kann kein Zweifel bestehen. Angela Merkel, Horst Seehofer und Sigmar Gabriel - wie es aussieht, führen sie ihre Parteien in eine große Koalition. Drei gewiefte Machtpolitiker sind jedoch keine Garantie dafür, dass die Regierung auch gewiefte Politik macht. Schön wäre es da übrigens, wenn man von der Kanzlerin auch einmal wieder etwas anderes hören würde, als das, was sie nicht will: keine Steuererhöhungen, keine Föderalismuskommission, dies nicht, jenes nicht. Sonst könnte man noch auf die Idee kommen, es ginge ihr wirklich nur um die Macht. Das kann sie ja nun wirklich nicht wollen.

© SZ vom 19.10.2013 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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