Ungarn und Polen:EU will Rechtsstaatsmechanismus schnell scharf stellen

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In Brüssel gelten Polen und Ungarn als notorische Rechtsstaats-Brecher - doch unternehmen konnte die EU bisher wenig. (Foto: Christian Ohde/imago)

Fördergelder für EU-Mitglieder einfrieren, die sich nicht an die Rechtsstaatlichkeit halten - nach einem EuGH-Urteil könnte die EU-Kommission damit schon in zwei Wochen beginnen. Doch bis es wirklich teuer würde für Polen und Ungarn, dürfte es noch dauern.

Von Björn Finke, Brüssel

Die EU-Kommission wird schon in Kürze den umstrittenen Rechtsstaatsmechanismus einsatzbereit machen. Die Brüsseler Behörde muss zwar noch Leitlinien dafür verabschieden, wie dieses neue Instrument in der Praxis angewandt werden soll. Das werde aber "eher in zwei als in drei Wochen" geschehen können, wie die Süddeutsche Zeitung aus Kommissionskreisen erfuhr. Die Regelung erlaubt es der Kommission erstmals, Fördergelder zurückzuhalten, wenn Rechtsstaatsprobleme im Empfängerland die ordnungsgemäße Verwendung der Mittel gefährden. Dies könnte Ungarn und Polen treffen. Beide Regierungen hatten gegen den Mechanismus geklagt. Am Mittwoch wies der Europäische Gerichtshof (EuGH) in Luxemburg diese Klage jedoch ab.

Im Sommer präsentierte die Kommission einen Entwurf der Leitlinien für dieses Instrument; diese Gebrauchsanweisung wird jetzt im Lichte des Urteils überarbeitet. Der Aufwand sei aber überschaubar, heißt es in der Behörde. Sobald das Kommissarskollegium die Leitlinien verabschiedet hat, kann der Mechanismus genutzt werden. Die Behörde bereitet schon Fälle vor: Im November schickte sie Briefe mit Vorwürfen und Fragen an die Regierungen in Warschau und Budapest. Es kann allerdings sein, dass die Kommission wegen der Überarbeitung der Leitlinien weitere oder andere Beweise erheben muss.

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Wenn die Kommission genug Hinweise gesammelt hat und wirklich die Verfahren einleitet, haben diese mehrere Stufen. Daher dürften bis zur Verhängung von Sanktionen weitere sieben bis neun Monate vergehen. Die Behörde benötigt dafür auch die Unterstützung einer sogenannten qualifizierten Mehrheit unter den Mitgliedstaaten - also 15 von 27 Ländern, die für mindestens zwei Drittel der Bevölkerung der EU stehen.

Viele Europaabgeordnete sind sauer, dass die Kommission überhaupt das Urteil des EuGH abwarten wollte, bevor sie den Mechanismus erstmals anwendet. Schließlich gilt die Regelung offiziell seit Januar vorigen Jahres. Das EU-Parlament verklagte die Kommission wegen dieser Verzögerung sogar.

Gegen Polen und Ungarn laufen bereits Verfahren

Mit Blick auf die notwendigen Änderungen am Leitlinien-Entwurf heißt es aus der Behörde, der EuGH habe in seinem Urteil vom Mittwoch höhere Anforderungen an die Beweisführung gestellt, dass ein Rechtsstaatsproblem wirklich zum Missbrauch von EU-Geldern führt. Dieser Zusammenhang müsse nach Auffassung der Richter "genuin" sein, wohingegen die Kommission bislang davon ausgegangen sei, dass eine "hinreichend direkte" Verbindung für eine Verfahrenseröffnung ausreiche.

Die Begründung für den neuen Rechtsstaatsmechanismus lautet, dass ohne unabhängige Richter und Staatsanwälte EU-Fördergelder straflos veruntreut oder verschwendet werden könnten. Schließlich könnte dann ein Ermittler davor zurückschrecken, gegen eine Behörde oder eine Firma vorzugehen, die dem Premier nahesteht, wenn diese Brüsseler Gelder falsch verwendet. Daher kann die Kommission jetzt EU-Mittel zurückhalten, wenn diese vor Ort nicht richtig vor Missbrauch geschützt sind.

Gegen Polen und Ungarn laufen bereits sogenannte Artikel-7-Verfahren wegen der Gefährdung des Rechtsstaats und europäischer Werte. Die könnten zu einem Entzug der Stimmrechte führen, aber weil dafür das Placet aller anderen EU-Regierungen nötig ist, wird es dazu realistischerweise nicht kommen - das Instrument ist entsprechend zahnlos. Außerdem hat die EU-Kommission gegen Polen Vertragsverletzungsverfahren wegen des Abbaus des Rechtsstaats eingeleitet, und der EuGH hat die Regierung im Oktober nach der Nichtbeachtung eines entsprechenden Urteils zu einem Zwangsgeld von einer Million Euro pro Tag verurteilt. Da sich Warschau weigert zu zahlen, will die Kommission die Strafe nun mit Fördergeldern verrechnen.

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Der Streit um Rechtsstaatlichkeit führt auch dazu, dass Polen und Ungarn weiter auf die ersten Zuschuss-Tranchen aus dem milliardenschweren Corona-Hilfstopf warten müssen. Die Kommission verlangt als Vorbedingung für eine Freigabe Zusicherungen, wie Polen und Ungarn die Unabhängigkeit der Justiz und den Kampf gegen Korruption stärken wollen. Polens Regierung hat zuletzt Signale gesendet, den Streit beilegen zu wollen, doch ob das Entgegenkommen weit genug reicht, ist offen.

Der Rechtsstaatsmechanismus bezieht sich auf den kompletten EU-Haushalt, nicht nur auf einen Teil wie den Corona-Fonds. Und hier geht es bei Polen und Ungarn um beträchtliche Summen. Polen ist der mit Abstand größte Empfänger von EU-Mitteln; im Jahr 2020 flossen 12,4 Milliarden Euro mehr nach Polen als von dort in den EU-Haushalt. In Ungarn beträgt diese Differenz immerhin noch 4,6 Milliarden Euro. Kein Wunder also, dass die Regierungen gegen den neuen Sanktionsmechanismus geklagt haben.

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