Reaktion auf Terror in Frankreich:Streit um die nationale Einheit

Marine Le Pen meets President Hollande at Elysee

Unterkühlte Stimmung im Elysee-Palast: Präsident Hollande empfängt FN-Chefin Marine Le Pen - zur nationalen Einheit kann das Gespräch jedoch nicht beitragen.

(Foto: dpa)
  • Frankreichs Präsident Hollande, der sonst oft als Zauderer erscheint, wirkt angesichts der Terroranschläge stark und entschlossen. Er ruft seine Landsleute auf, am Sonntag an Schweigemärschen gegen Gewalt teilzunehmen.
  • Eine Million Menschen könnten Sicherheitsexperten zufolge am Sonntag auf die Straße gehen.
  • Um die Teilnahme des Front National um Marine Le Pen an den Veranstaltungen gibt es Streit. Die Linken wollten die rechte und offen fremdenfeindliche Partei nicht dazu einladen, die Konservativen halten das für einen Fehler.
  • Nach einem Gespräch zwischen Marine Le Pen und Präsident Hollande zeigt die FN-Chefin sich trotzig: "Ich gehe nicht da hin, wo man mich nicht will."

Von Christian Wernicke, Paris

Es ist Zeit, Bilanz zu ziehen. Nach drei Tagen des Terrors, mit 17 unschuldigen Opfern. Am Freitagabend tritt François Hollande im Élysée vor die Kamera. Per Ansprache an die Nation spendet der Präsident Trost und Trotz. Trost für die Familien und Freunde der Toten, Trotz für das Volk. Hollande hat einen schweren Tag hinter sich, er sieht blass aus. Die Entscheidung, die Polizei am Nachmittag ein jüdisches Geschäft stürmen zu lassen, hat er getroffen. Vier Geiseln und ihr Mörder haben die Aktion nicht überlebt. Nun will, nun muss Hollande nach vorne schauen. Zwei Tage weiter wenigstens.

Am Sonntag, so kündigt er an, kämen Würdenträger aus aller Welt nach Paris, um Frankreich bei einem "republikanischen Marsch" gegen den Terror ihre Solidarität zu zeigen: "Ich werde mit ihnen da sein," fügt er hinzu. "Ich fordere die Franzosen auf aufzustehen, um gemeinsam für die Werte von Demokratie, Freiheit und Pluralismus einzutreten." Am Vormittag hat der Präsident schon einmal versucht, seine Landsleute aufzurütteln. Zu Beginn einer Krisensitzung im Innenministerium mit Präfekten und Polizisten spricht Hollande von "der Prüfung, die Frankreich durchstehen muss". Und von dem, was auf dem Spiel steht: "Unsere Freiheit, unsere Republik."

Millionen Franzosen, die daheim oder im Büro den Fernseher laufen lassen, um die Jagd auf die Terroristen live zu verfolgen, hören zu. Hollande nutzt diese Gelegenheit. Er ruft seine Landsleute auf, am Sonntag auf die Straße zu gehen und teilzunehmen an landesweiten Schweigemärschen gegen Terror und Gewalt: "Alle Bürger können zu den Demonstrationen kommen!" Kurze Pause: "Es gibt da keine Kontrollen."

Den Front National mochte bei den Linken niemand einladen

Der Nachsatz ist wichtig. Denn Hollande steckt in der Klemme. Es war die Idee seiner Sozialistischen Partei (PS), nach dem blutigen Anschlag auf die Satirezeitschrift Charlie Hebdo, Frankreichs Bürger, die Citoyens, zu mobilisieren. Linke Parteien, Gewerkschaften und Menschenrechtler sagten schnell zu, und Premier Manuel Valls hatte flink per Telefonat mit Ex-Präsident Nicolas Sarkozy auch die Teilnahme der bürgerlichen Opposition an diesem "republikanischen Marsch" sichergestellt.

Nur, den rechtsextremen und offen fremdenfeindlichen Front National (FN) - bei der Europawahl mit 25 Prozent der Stimmen die stärkste Partei im Land - mochte bei der Linken niemand offiziell einladen. Weshalb FN-Chefin Marine Le Pen nun laut protestiert, die etablierten Parteien würden mit ihrem "Sektierertum" und mit "Ausgrenzung" genau das untergraben, was sie beschwören - "die nationale Einheit".

Le Pen will sich als ein Opfer zelebrieren

Dieses große Wort führt auch Hollande am Freitag im Munde. "Ich appelliere an die nationale Einheit", sagt er im Krisenstab. Um dann an die Adresse des eigenen, linken Lagers zu ergänzen: "Nationale Einheit bedeutet nicht, dass all unsere Gefühle, Meinungen, Überzeugungen im Land verschwinden. Nationale Einheit, das heißt nicht Einheitlichkeit!"

Eben zum Zeichen, dass die Nation in Zeiten des Terrors keine Parteigrenzen mehr kennt, hat Hollande am Freitagmorgen auch Marine Le Pen empfangen. Eine knappe halbe Stunde dauerte das unterkühlte Gespräch im Élysée-Palast. Wirklich geklärt hat es nichts. Beim Rausgehen mokiert sich Le Pen, der Präsident habe ihr nicht "die Aufhebung des Verbots" zur Teilnahme an der Demonstration übermittelt. Weshalb sie sich nun entschlossen hat, am Sonntag nicht zu erscheinen. "Ich zwänge mich nicht hinein in die Reihen einer Demonstration, deren Veranstalter mich offensichtlich nicht wollen." Das sei unter ihrer Würde: "Ich gehe nicht da hin, wo man mich nicht will."

Die politische Taktik ist klar. Le Pen will sich als Opfer stilisieren, als Paria "des Systems". Hollandes Berater wandten am Freitag ein, die Schweigemärsche am Sonntag seien "schließlich keine Veranstaltungen des Staates", ergo: "Der Präsident kann niemanden ein- oder ausladen."

Entpolitisierung der Sonntagsmärsche

Hollande weiß, dass viele Linke seine Linie nicht teilen. Kommunisten, Parti de Gauche und Grüne sprechen sich kategorisch dagegen aus, den Front National einzureihen. Und auch den PS-Vertreter im Organisationskomitee ekelt die mögliche Anwesenheit von FN-Funktionären an: "Da gibt es keinen Platz für eine Formation, die seit Jahren die Franzosen spaltet, die unsere Mitbürger nach ihrer Herkunft oder Religion stigmatisiert" sagt der Abgeordnete François Lamy, ein PS-Linker.

Viele Politiker der Partei sehen das ähnlich, aber sie warnen vor einem taktischen Fehler: "Auf diese Weise wird der FN nur aufgewertet", raunt anonym ein Funktionär. Die bürgerliche UMP lässt derweil wissen, man habe in diesem Fall keine Berührungsängste. Bei einem Zeichen nationaler Einheit dürfe man nicht 25 Prozent der Bevölkerung außen vor lassen.

Also versuchen sich Präsident und Premier am Freitag an der Entpolitisierung der Sonntagsmärsche. Zwar sei es das Recht von Parteien und Verbänden, so argumentiert Hollande, zu Großdemonstrationen aufzurufen: "Aber es sind die Bürger, die entscheiden, ob sie kommen wollen oder nicht." Und falls sehr viele Menschen kämen, dann werde der Staat "für freien Zugang und Schutz" garantieren. Im selben Sinne äußerte sich Freitagnachmittag Premier Valls. In diesen düsteren Stunden müsse "die Mobilisierung der Bürger, unabhängig von Parteien, weitergehen".

Bereits am Mittwoch, dem Tag der Anschläge, hatten landesweit 100 000 Franzosen unter dem Motto "Je suis Charlie" der Opfer gedacht. Sicherheitsexperten halten es für möglich, dass sich am Sonntag eine Million Menschen auf die Beine macht. Wie lange die "nationale Einheit" in Paris währen wird, ist ungewiss. Aus der UMP heißt es, von Montag an müsse die Auseinandersetzung über schärfere Gesetze beginnen. Und darüber, ob die linke Regierung ihre Bürger genügend schütze.

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