Frankreich nach dem Anschlag auf "Charlie Hebdo":Wehe, wenn der Schmerz nachlässt

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Der französische Präsident François Hollande beim stillen Gedenken der Opfer des Anschlags auf die Zeitschrift Charlie Hebdo.

(Foto: AFP)
  • Nach dem Anschlag auf das Satiremagazin Charlie Hebdo zeigt sich Präsident Hollande omnipräsent. Er demonstriert die Stärke des Staates in kritischen Zeiten.
  • In seinen Ansprachen sendet Hollande drei Botschaften aus.
  • Frankreich sei eine "unteilbare Republik", heißt es in der Verfassung. Aber die Einheit bröckelt.
  • Sowohl der konservative Sarkozy als auch die rechtsnationale Le Pen bereiten sich darauf vor, Hollande aus dem Élysée zu vertreiben.

Von Stefan Ulrich

Immer, wenn Frankreich eine Bewährungsprobe durchlebt, einen Krieg, eine Naturkatastrophe oder ein Attentat, schlägt die Stunde des Präsidenten. Vielleicht noch mehr als die Amerikaner erwarten die Franzosen, dass ihr Staatschef ihnen in der Not Trost und Orientierung gibt, wie ein wahrer Landesvater. François Hollande, der sonst oft blass und unentschlossen wirkt, hat diese Rolle nach dem Terrorüberfall auf die Redaktion des Charlie Hebdo beherzt angenommen. Er eilte zum Tatort, sprach später vom Élysée-Palast aus zum Volk, besuchte die Polizei und traf sich mit Politikern vieler Parteien. Der Präsident ist in diesen Stunden omnipräsent und demonstriert: Der Staat ist da, bereit und fähig, allen Gefahren zu trotzen.

Es sind dies eingespielte Rituale einer alten Republik, die schon viele Krisen gemeistert hat und schon öfters vom Terror heimgesucht wurde. Zum Beispiel in der Zeit des Algerienkrieges oder in der Mitte der Achtzigerjahre, als viele Menschen bei Anschlägen in Paris getötet oder verletzt wurden, oder jüngst beim Amoklauf von Mohamed Merah im Raum Toulouse. Nun ist die Angst zurück, und der Präsident hat die Aufgabe, sie zu dämpfen.

Drei Botschaften sendete Hollande bei seinen Ansprachen am Mittwoch und Donnerstag aus. Erstens: Die Täter werden entschlossen verfolgt und zur Rechenschaft gezogen. Zweitens: Der Staat tut alles nur Mögliche, um die Sicherheit der Bürger durch Patrouillen und Kontrollen zu erhöhen. Und drittens: Frankreich steht vereint gegen seine Feinde. Immer wieder betonte Hollande die unité nationale. "Unsere beste Waffe ist unsere Einigkeit. Nichts kann uns teilen und nichts darf uns trennen."

Marine Le Pen richtete sich mit einer eigenen Videobotschaft an das Volk

Schon im ersten Artikel der Verfassung heißt es, Frankreich sei eine "République indivisible", eine "unteilbare Republik". Im Alltag ist von dieser Einheit oft so wenig zu spüren wie von der Gleichheit oder der Brüderlichkeit. In Bedrängnis aber besinnt sich die Republik ihrer Werte. Die besonnene Entschlossenheit, mit der nun Zehntausende Franzosen gegen den Terror und für die Pressefreiheit auf die Straßen gehen, zeigt, wie stabil die republikanische Ordnung noch ist. Nicht nur der Präsident, sondern auch die meisten anderen Politiker wollen da nicht zurückstehen. Sie betonen fast wortgleich von der extremen Linken über die Mitte bis zur extremen Rechten, dass sie jetzt alle zusammenhalten.

Ein Mann symbolisiert den Burgfrieden besonders: Nicolas Sarkozy. Der Chef der liberalkonservativen UMP-Partei kehrte am Donnerstag erstmals seit dem Mai 2012 in den Élysée zurück. Damals musste er den Präsidentenpalast für seinen sozialistischen Rivalen François Hollande räumen. Nun rief ihn Hollande zu sich, um über die Lage nach dem Terror-Anschlag zu beraten. Danach sagte Sarkozy im Vorhof der Macht: "Die zivilisierten Menschen müssen sich zusammenschließen, um der Barbarei zu antworten." Sarkozy erklärte sich auch grundsätzlich dazu bereit, an einer republikanischen Großdemonstration am Sonntag in Paris teilzunehmen, zu dem die Regierung aufgerufen hat.

Selbst Marine Le Pen, die Vorsitzende des ganz weit rechts angesiedelten Front National, die sonst kein gutes Wort für andere Parteien übrig hat, möchte jetzt nicht abseits stehen. Sie richtete sich nach dem Anschlag in einer Videobotschaft an die Franzosen. Darin trat die Frau, die 2017 zur Präsidentin gewählt werden möchte, ziemlich präsentabel auf. Auch Marine Le Pen bekannte sich zur Einheit, und auch sie warnte davor, den Islam mit dem islamistischen Terrorismus zu vermischen. Ausdrücklich erwähnte sie die vielen "muslimischen Mitbürger, die sich zu unserer Nation und unseren Werten bekennen". Die Front-National-Chefin wollte offensichtlich den Eindruck vermeiden, sie nutze den Terroranschlag für ihre parteipolitischen Zwecke aus.

Wer genau hinsieht, der kann allerdings bereits Risse in der unité nationale wahrnehmen. So sagte Le Pen, sie warne seit Jahren vor den Gefahren des Fundamentalismus. Nun müssten die Franzosen dafür bezahlen, dass die Regierungen den Geheimdiensten das Geld gekürzt hätten. Ihr Stellvertreter Louis Aliot warf der Regierung unter Hollande vor, die Bedrohungslage bei jeder Gelegenheit zu verharmlosen. Der Front National fordert nun, die allgemeinen Kontrollen an Frankreichs Grenzen wieder einzuführen, islamistischen Straftätern die Staatsangehörigkeit zu entziehen und die Polizei besser auszustatten. Marine Le Pen kündigte außerdem an, falls sie Präsidentin werde, setze sie ein Referendum über die Wiedereinführung der Todesstrafe an. Sie selbst sei dafür.

Wirtschaftskrise und Bedrohung durch den Terror kommen den Rechten ganz gelegen

Auch aus der konservativen Opposition sind am Tag nach dem Anschlag erste Stimmen zu hören, die der Regierung vorwerfen, sie sei in Sicherheitsfragen zu lax gewesen und habe das Dschihadisten-Problem unterschätzt. Sarkozy forderte die Regierung auf, "starke Maßnahmen gegen den Terrorismus" zu ergreifen. Der UMP-Abgeordnete Eric Ciotti schlug vor, islamistische Kämpfer, die aus Syrien und dem Irak zurückkehren, in Lagerhaft zu nehmen.

Man ahnt es: Sobald der erste Schock über die Morde vom Mittwoch vorbei ist, wird auch die nationale Einheit zerbrechen. Sowohl der konservative Sarkozy als auch die rechtsnationale Le Pen bereiten sich darauf vor, Hollande aus dem Élysée zu vertreiben. Die Themen Terrorismus, innere Sicherheit, Einwanderung und nationale Identität stehen oben auf den Wahlkampfagenden der Opposition. Sarkozy hat schon in der Vergangenheit gezeigt, dass er bereit ist, seine UMP weit nach rechts zu rücken, um dem Front National Stimmen abzuwerben. Allerdings gibt es auch etliche UMP-Politiker, die zur Mitte hin tendieren und es ablehnen, dem Front hinterherzulaufen.

Die hartnäckige Wirtschaftskrise und die Bedrohung durch den Terror sind jedenfalls Themen, die dem Front National mit seinen radikalen Konzepten gelegen kommen. Er wird wohl versuchen, die anderen Parteien in einen sicherheitspolitischen Überbietungswettbewerb zu treiben. Genau davor warnt der frühere Justizminister Robert Badinter, unter dem 1981 in Frankreich die Todesstrafe abgeschafft wurde. "Eine Demokratie, die gegen Terroristen die Todesstrafe verhängt, macht sich die Werte letzterer zu eigen", sagte Badinter damals vor der Nationalversammlung. Heute warnt er, die Geschichte lehre, dass Ausnahmegesetze eine Falle seien. "Diejenigen, die hineingefallen sind, haben nichts an wirkungsvoller Repression gewonnen aber viel an Freiheit und manchmal auch an Ehre verloren."

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