Dass etwas in der Luft lag bei den Linken, nämlich ein Personalwechsel an der Spitze der Bundestagsfraktion, das hatte sich schon an einem Dienstag im Juni angedeutet. Fraktionschef Dietmar Bartsch stand wie üblich vor der roten Pressewand im Reichstagsgebäude, um über aktuelle Themen zu informieren. Als er seinen Vortrag beendet hatte, schauten sich die Berichterstatter leicht ungläubig an: Bartsch hatte tatsächlich seinen Parteivorsitzenden zugestimmt.
Bei den Linken streiten sie so viel, dass eine Solidaritätsbekundung manchmal fast interessanter ist. Der von Janine Wissler und Martin Schirdewan angeführte Parteivorstand hatte kurz zuvor einstimmig beschlossen, dass die Zukunft der Linken eine Zukunft ohne Sahra Wagenknecht sein werde. Und Bartsch sprach von einer "notwendigen Maßnahme". Höchst bemerkenswert war das auch deshalb, weil seine Co-Fraktionsvorsitzende Amira Mohamed Ali den Beschluss zuvor massiv kritisiert hatte.
Das war der Moment, in dem sich die Kräfteverhältnisse bei den Linken verschoben haben. Über Jahre verlief die Konfliktlinie verlässlich zwischen den beiden Partei- und den beiden Fraktionsvorsitzenden. Jetzt stand es plötzlich drei zu eins - gegen die Wagenknecht-Vertraute Mohamed Ali. Auch das erklärt, warum diese sich nun zurückzieht.
Die Episode ist aber charakteristisch für die Art, wie Dietmar Bartsch Politik macht. Man könnte das Machtinstinkt nennen, Kritiker sprechen von Opportunismus. Fest steht: Kaum einer versteht es besser, sich mit dem Wind zu drehen, als dieser 65-jährige Vollprofi aus Stralsund. Seit er 1977 in die Partei eintrat, hat diese sich von der abgewrackten SED in die unzähmbare PDS und dann in die Linke verwandelt. Bartsch war immer dabei, seit dem Mauerfall meist in wichtigen Ämtern: Schatzmeister, Bundesgeschäftsführer, seit 2015 Fraktionschef. Er und Wagenknecht waren lange ein gutes Team, obwohl sie sich politisch nicht sehr nahestehen. Sie schmiedeten ein Bündnis, um sich gegenseitig Einfluss zu sichern.
Von Wagenknecht hat er sich gerade noch rechtzeitig distanziert
Nun hat Wagenknecht mit dem vielleicht am längsten angekündigten Parteiaustritt der jüngeren Geschichte aber nahezu die gesamte Linke gegen sich aufgebracht. Und Bartsch hat sich wohl gerade noch rechtzeitig von ihr distanziert, um Fraktionsvorsitzender bleiben zu können. Dass er sich Anfang September noch einmal zur Wahl stellt, bezweifelt kaum mehr jemand, auch wenn er sich bislang dazu nicht geäußert hat. Es wäre Bartsch sicherlich recht, wenn er möglichst laut gerufen werden würde. Aber zur Not ruft er eben selbst noch ein bisschen mit.
Bartsch kann zu nahezu jedem Thema eine überzeugende Plenarsaalrede halten, sein schnippischer Witz ist da flexibel einsetzbar. Aber diese Flexibilität hat ihm, zumal in den eigenen Reihen, auch den Vorwurf der inhaltlichen Belanglosigkeit eingebracht. Spötter sagen, er habe sich gezielt ein Lieblingsthema (Kinderarmut) angeeignet, um diesen zu entkräften.
Die Kindergrundsicherung scheint ihm allerdings wirklich am Herzen zu liegen. Bartsch ist zudem fest davon überzeugt, dass sich die Linke nicht spalten darf. Er hat seine Partei über all die Jahre schon so oft beinahe untergehen sehen und stets für ihr Überleben gekämpft. Der Blick in die Geschichte zeige, "eine Spaltung der Linken hat immer nur Konservative und Rechte gestärkt", sagt Bartsch.
Er wird jetzt, gemäß der Parität, eine neue Co-Fraktionschefin für einen undankbaren Job brauchen. Denn es ist ein Job auf Abruf - bis Wagenknecht sich endlich entscheidet, ob sie die Fraktion verlässt und damit wohl liquidiert: Folgen ihr nur zwei Abgeordnete, wäre der Fraktionsstatus dahin. Falls sich keine Bewerberin aufdrängt, dann ist es Bartsch - und zwar nur ihm - sogar zuzutrauen, dass er auf die Idee kommt, er könnte diese Doppelspitze ganz alleine ausfüllen.