Präsidentin des Obersten Gerichts in Polen:"Ich werde die erste Präsidentin im Exil sein"

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  • In Karlsruhe präsentiert sich die Präsidentin des polnischen Obersten Gerichts als Kämpferin, die den Feinden des Rechtsstaats nicht das Feld überlassen will.
  • Jüngst war in Polen ein Gesetz verabschiedet worden, das die Altersgrenze für Richter von 70 auf 65 Jahre herabsetzt - Małgorzata Gersdorf droht damit die Zwangspensionierung.
  • Obwohl die Richterin erklärt, in der kommenden Woche wieder zur Arbeit antreten zu wollen, macht sie sich keine Illusionen darüber wie die Sache am Ende ausgehen wird.

Von Wolfgang Janisch, Karlsruhe

Eigentlich ist die Frau inzwischen ziemlich prominent - trotzdem gaben sich diplomatische Kreise große Mühe, damit dem Karlsruher Oberbürgermeister Frank Mentrup bei der Vorstellung kein Fehler unterläuft. Małgorzata Gersdorf, die am Freitagabend in der Hauptstadt des Rechts einen Vortrag zu halten hatte, sei beim Obersten Gericht Polens nur noch Präsidentin außer Dienst, hatte die polnische Botschaft an Mentrup geschrieben. Anders dagegen das Auswärtige Amt in Berlin: Es gebe keine Anzeichen, dass sie nicht mehr Präsidentin sei, ließ man den OB wissen.

Małgorzata Gersdorf ist Präsidentin des polnischen Obersten Gerichts in einer Umbruchphase, die man besser als Abwicklung rechtsstaatlicher Strukturen in Polen bezeichnet. Jüngst wurde ein Gesetz verabschiedet, das die Altersgrenze für Richter von 70 auf 65 Jahre herabsetzte. Der unabhängigen und deshalb von der regierenden PiS-Partei angefeindeten Richterin droht damit die Zwangspensionierung. Ein klarer Verstoß gegen die polnische Verfassung.

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"Im Obersten Gericht werden Säuberungen durchgeführt unter dem Vorwand der Absenkung des Rentenalters", kommentierte Gersdorf in Karlsruhe, just an dem Tag, an dem in Warschau ein weiteres Gesetz verabschiedet wurde, um die Umbesetzung ihres Gerichts noch zu beschleunigen. Am Montag werde sie wieder zur Arbeit gehen, kündigte sie an - den Schlüssel habe sie noch.

"Ich habe geschworen, die Verfassung zu verteidigen"

Nach Karlsruhe wurde sie auf Vermittlung von Bettina Limperg eingeladen, der Präsidentin des Bundesgerichtshofs - zu einer Vorlesung, die an den Rechtsanwalt und NS-Widerstandskämpfer Reinhold Frank erinnert. Dort präsentierte sie sich als Realistin, die sich keine Illusionen darüber macht, wie die Sache am Ende ausgehen wird: "Hier geht Macht vor Recht, daran kann ich nichts ändern. Ich werde die erste Präsidentin im Exil sein." Es sprach aber eben auch eine mutige Kämpferin, die weiß, dass es sehr wohl darauf ankommt, den Feinden des Rechtsstaats nicht freiwillig das Feld zu räumen. Sie wolle über die rechtsstaatliche Situation in Polen sprechen und damit zur Bevölkerung durchdringen. "Ich habe geschworen, die Verfassung zu verteidigen."

Ihre Analyse beginnt mit der Zeit nach dem Ende des Kalten Kriegs. Ein hoffnungsvoller Prozess der Transformation hatte begonnen, mit einer Verfassung, die Grundrechte schützen und in ihrem Artikel 2 den demokratischen Rechtsstaat gewährleisten sollte. Viele Gerichtsurteile seien seit jener Zeit gefällt worden - doch offenbar habe man es versäumt, den Menschen die Mechanismen der Justiz und den Wert ihrer Unabhängigkeit zu erklären. Eine Schwäche der Gesellschaft, die zynische Spieler zum Aufbau eines autokratischen Herrschaft missbrauchen konnten. Und die Gerichte seien eben immer die schwächste Gewalt im Staat.

Gersdorf, die sich mit ihren Mitstreitern der strategischen Demontage des Rechtsstaats in Polen durch die populistische Regierungspartei widersetzt, erfährt inzwischen viel Unterstützung im Ausland, durch Richterverbände beispielsweise und auch durch das Bundesverfassungsgericht. Verfassungsrichter Johannes Masing unterhält schon seit Langem enge Kontakte zu engagierten polnischen Kollegen. Inzwischen sei das dortige Verfassungsgericht - das erste Ziel der Demontage - faktisch abgewickelt: "Es wurde um seinen Kern und seine Identität gebracht", sagte Masing. Diese Entwicklung setze sich nun mit Gersdorfs Oberstem Gericht fort. "Es werden vollendete Tatsachen geschaffen, das bedrückt mich sehr."

So wechselte der Tonfall bei der Karlsruher Veranstaltung zwischen Kampfgeist und Resignation, auch bei den deutschen Juristen, die jede Unterstützung zusagen, sich aber letztlich hilflos fühlen. "Mich erfüllt mit Sorge, dass wir diese Entwicklung offenbar nicht aufhalten können", sagte BGH-Präsidentin Limperg. Gersdorf würdigte ausdrücklich das Engagement der EU, die Ende 2017 erstmals ein Rechtsstaatsverfahren auf den Weg gebracht hatte und nun gegen das Pensionierungsgesetz ein Vertragsverletzungsverfahren eingeleitet hat. Namentlich Frans Timmermans, Vize-Präsident der EU-Kommission, habe sich sehr für Polen eingesetzt. Aber sie zog zugleich ein bitteres Resümee: "Das Mandat der EU ist hier zu schwach."

Eine Prise Sarkasmus zum Ende

Warum stemmt sich die Juristin gleichwohl gegen ihre Abberufung, die sie nicht wird verhindern können? Warum kämpft sie einen Kampf, der sie - wie sie offen einräumt - viel Kraft kostet? Gersdorf ist sich der Rolle bewusst, die ihr zugefallen ist - ihre Rolle als Vorbild im Einsatz für einen Rechtsstaat, den es, nach dem Ende des PiS-Regimes, irgendwann wieder zu erkämpfen gilt. Da erlaubt sie sich schon eine wenig Pathos: "Der Rechtsstaat ist kein Zustand, den man erreicht, sondern ein Ideal, das stets angestrebt werden muss."

Dann, nach dem Ende ihres Vortrags, darf das Publikum im Karlsruher Bürgersaal Fragen stellen. Es meldet sich eine in Deutschland lebende Polin, der die Situation aus der Distanz noch viel bedrohlicher erscheint - sie fragt, ob womöglich ein Bürgerkrieg bevorstehe. "Sie waren lange nicht dort, oder?", fragt Gersdorf zurück. "Nein, einen Bürgerkrieg schließe ich aus." Und erlaubt sich eine Prise Sarkasmus: "Außerdem ist unser Militär nicht besonders gut aufgestellt."

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