Justizreform:Kampf um die Rechtsstaatlichkeit

Polens Oberste Richterin Malgorzata Gersdorf 2018 in Warschau

Die Präsidentin des Obersten Gerichtshofes in Polen vor dem Eingang des Gerichtsgebäudes in Warschau.

(Foto: REUTERS)
  • Im Streit um eine umstrittene Reform des Justizsystems in Polen ist die oberste Richterin zur Arbeit erschienen, obwohl sie nach einem neuen Gesetz eigentlich in den Ruhestand gehen müsste.
  • Sie bezeichnete die Regelung als "politische Säuberung".
  • Die EU-Kommission leitete am Montag ein neues Vertragsverletzungsverfahren gegen Polen ein, eine Sanktionierung ist jedoch unwahrscheinlich.

Im Streit um die von Polens Regierung vorangetriebene Justizreform widersetzt sich die Oberste Richterin des Landes der angeordneten Zwangspensionierung. Malgorzata Gersdorf erschien am Mittwoch gegen 8:15 Uhr zur Arbeit, obwohl sie seit Mitternacht formell im Ruhestand sein müsste. Demonstranten stärkten ihr dabei den Rücken. Sie riefen "Richter sind nicht absetzbar!" und "Verfassung!", als Gersdorf zum Dienst erschien.

Sie ist wie 27 weitere der höchsten Richter von einem Gesetz der nationalkonservativen Regierung betroffen, nach dem alle Obersten Richter in den Ruhestand treten sollen, die 65 Jahre oder älter sind. Dadurch werden zahlreiche Richterstellen für eine Neubesetzung im Sinne der regierenden Partei Recht und Gerechtigkeit (PiS) frei. Insgesamt betrifft das Gesetz 27 von 73 Richtern. Gersdorf dankte am Mittwoch den Demonstranten für ihre Unterstützung und erklärte, laut Verfassung laufe ihre Amtszeit bis 2020.

Polens Ministerpräsident verteidigt die Reformen

Am Dienstag hatte Gersdorf in einer Vorlesung für Jurastudenten gesagt, ihre Amtszeit als Oberste Richterin werde unterbrochen, obwohl sie in der Verfassung festgelegt sei. "Wir können von einer Krise der Rechtsstaatlichkeit sprechen, von fehlendem Respekt für unsere Verfassung", fügte Gersdorf hinzu. Zudem nannte sie das Pensionierungsgesetz eine "politische Säuberung".

Der polnische Ministerpräsident Mateusz Morawiecki verteidigte die umstrittenen Justizreformen seiner Regierung. "Jedes Land hat ein Recht, sein Rechtssystem gemäß seiner eigenen Traditionen zu errichten", sagte Morawiecki am Mittwoch im Europaparlament in Straßburg. Die nationalkonservative Regierung Polens begründet die Reform damit, dass dadurch Richter aus dem Amt entfernt werden könnten, die noch zu kommunistischen Zeiten ernannt worden seien.

Sanktionen gegen Polen sind unwahrscheinlich

Die EU-Kommission kritisiert, die Reformen würden die Unabhängigkeit der Justiz beschneiden und die Gewaltenteilung untergraben. Sie hatte am Montag ein neues Vertragsverletzungsverfahren gegen Polen eingeleitet. Es gehe darum, die "Unabhängigkeit des Obersten Gerichts zu schützen", sagte Kommissionssprecher Margaritis Schinas. Das Vertragsverletzungsverfahren kann theoretisch bis zum Entzug von Stimmrechten auf EU-Ebene führen. Das Votum darüber muss allerdings einstimmig fallen. Das ebenfalls rechtskonservativ regierte Ungarn hat bereits angekündigt, Sanktionen gegen Warschau nicht mitzutragen.

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