Reaktionen auf Wahl in Polen:Leise Seufzer der Erleichterung

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Allianz der Quälgeister: Die Premierminister von Polen und Ungarn, Mateusz Morawiecki (links) und Viktor Orbán, stellten sich oft gegen die übrigen EU-Regierungschefs. (Foto: Darko Bandic/AP)

Auch wenn es laut keiner sagt - in Brüssel hoffen die allermeisten in Kommission und Parlament, dass Donald Tusk als Regierungschef zurückkehrt und der Dauerkrach mit Warschau ein Ende haben könnte.

Von Jan Diesteldorf und Robert Roßmann

Es gehört zu den Schattenseiten der EU, dass man sich seine Partner nicht aussuchen kann. Im Fall von Polen bedeutete das, irgendwie gemeinsam mit Mateusz Morawiecki Politik machen zu müssen. Dessen rechtsgerichtete Regierung verbündete sich allzu gern mit Ungarns Viktor Orbán gegen die anderen und testete das erpresserische Potenzial ihrer Vetomacht im Europäischen Rat reichlich aus. In acht Jahren PiS-Mehrheit ist Polen neben Ungarn damit zum zweiten Enfant terrible der europäischen Politik geworden, auf bestem Weg, aus dem Klub der freiheitlichen Demokratien auszuscheiden. Jetzt sind die Aussichten auf eine Trendumkehr gut, und entsprechend groß ist in Brüssel die - noch vorsichtig geäußerte - Erleichterung.

Denn Donald Tusk ist ja nicht nur ein Oppositionspolitiker, der als früherer Ministerpräsident des fünftgrößten EU-Landes zurück an die Macht strebt. Er ist auch ehemaliger Präsident des Europäischen Rates, an den sich Zeitgenossen in Brüssel wohlwollend erinnern. So einer als neuer alter Regierungschef Polens, das könnte einen kräftigen Schub auslösen, hoffen viele: Schluss mit Rechtsstaatsverfahren, Orbán-Schulterschluss und Anti-Haltung in der Migrationspolitik.

"Wir sollten uns nicht zu früh freuen", sagt ein EU-Diplomat, der Tusk noch aus dessen Zeit als Ratspräsident kennt. "Aber wenn er es schafft, eine Regierung zu bilden, wäre das gut für die gesamte EU." Denn Tusk wisse, was von ihm erwartet wird. Schon bald seien wieder Koalitionen mit Polen möglich, so die Hoffnung.

Die hegt auch Manfred Weber (CSU), Partei- und Fraktionschef der konservativen EVP im Europäischen Parlament. Er freute sich am Montagmorgen über "sehr gute Nachrichten" aus Polen. Das polnische Volk habe sich "massiv dafür eingesetzt, eine neue Ära für das Land einzuleiten", schrieb er auf X. "Niemand stellt sich Polen und seiner europäischen Zukunft in den Weg!" Der FDP-Europaabgeordnete Moritz Körner sagte, das Wahlergebnis sei ein "Votum für mehr Rechtsstaat und mehr Europa". Er hatte gemeinsam mit seinem Kollegen Daniel Freund von den Grünen und weiteren Parlamentariern einst erfolgreich darauf gedrängt, Polen wegen der umstrittenen Justizreformen EU-Gelder vorzuenthalten. Bis heute sperrt die Kommission mehr als 100 Milliarden Euro, die dem Land eigentlich zustünden. "Mit der prognostizierten Abwahl des Möchtegern-Autokraten Kaczyński ist davon auszugehen, dass die Zerschlagung des polnischen Justizsystems zügig rückgängig gemacht wird", sagt Körner. Sobald das sichergestellt sei, sollten die EU-Mittel an Polen regelkonform fließen.

Polens einstige Ministerpräsidentin Ewa Kopacz, die Ende 2014 für 14 Monate auf den nach Brüssel umgezogenen Tusk folgte und heute Vizepräsidentin des EU-Parlaments ist, sieht es als "ein Licht im Tunnel" für die Parteienlandschaft in Europa, sollten die offiziellen Ergebnisse die Vorhersagen bestätigen. Andere Länder mit Populismus-Problemen würden "sich ein Beispiel an Polen nehmen" und sehen, "dass es möglich ist, auf den Weg der Demokratie und der Partnerschaft mit der EU zurückzukehren".

Zu den Verlierern der Wahl in Polen gehören neben Orbáns Fidesz-Regierung in Budapest deshalb auch die Fratelli d'Italia von Regierungschefin Giorgia Meloni in Rom. Beide demonstrierten häufig ihre Verbundenheit mit Morawiecki, auf den sie jetzt wohl nicht mehr werden zählen können. Die rechts von der christdemokratischen EVP stehende Parteienfamilie der Europäischen Konservativen und Reformer, denen PiS und Fratelli d'Italia angehören, ist nach dieser Wahl einstweilen empfindlich geschwächt. Seit dem Ausscheiden aus der EVP vor einigen Jahren gehört die Fidesz keiner Fraktion mehr an.

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Die Regierung in Berlin will das Ergebnis noch nicht kommentieren - aber klar ist, wo sie steht

Auch in Berlin ruhen viele Hoffnungen auf Tusk. Offen will das die Bundesregierung am Montag aber nicht erklären. Die Wahl in Polen sei "noch gar nicht formal ausgezählt", bisher lägen lediglich Nachwahlbefragungen vor, sagt der stellvertretende Regierungssprecher Wolfgang Büchner am Mittag. Er könne den Wahlausgang deshalb "nicht kommentieren". Außerdem könne es nach der Feststellung des Wahlergebnisses "ja auch noch eine Weile dauern", bis es in Warschau zu einer Regierungsbildung komme. Büchner sagt aber auch: "Unabhängig davon, wie diese Wahl ausgeht, bleibt es natürlich so, dass wir uns mit Polen ein partnerschaftliches, freundschaftliches Verhältnis wünschen." Und klar ist, dass man sich das in der Bundesregierung mit Tusk deutlich leichter vorstellen kann als mit der bisherigen polnischen Regierung.

Die Ampelfraktionen müssen nicht so zurückhaltend agieren wie eine Regierung. Sie äußern sich am Montag deshalb schon etwas weitgehender. "Sollten sich die Prognosen der Nachwahlbefragungen bestätigen, so wäre das zweifelsohne ein großer Erfolg für die polnische Demokratie und eine Abwahl der rechtsnational-populistischen PiS-Partei", sagt SPD-Fraktionsvize Achim Post. Nun sollten "die konstruktiven Oppositionsparteien zusammenfinden und die Chance zur Bildung eines pro-europäischen Bündnisses für Rechtsstaatlichkeit, Demokratie und Fortschritt nutzen". Das wäre "ein starkes Signal für die Demokratie in Polen, die bilateralen Beziehungen zu Deutschland und die Rolle Polens in der Europäischen Union". Auch wenn die PiS das stärkste Ergebnis hole und die Spaltung des Landes fortbestehen dürfte, hätten sich bei dieser Wahl in Polen doch "politische Vernunft, Ernsthaftigkeit und Anstand gegen rechtspopulistische Parolen durchgesetzt".

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Falls sich die bisher vorliegenden Zahlen zum Wahlausgang in Polen bestätigen würden, wäre "dies eine große Chance, Europa institutionell zu reformieren, wirtschaftlich zu stärken und das festgefahrene Weimarer Dreieck gemeinsam mit Polen und Frankreich mit neuem Leben zu füllen", sagt FDP-Fraktionsvize Michael Link. Es wäre außerdem "ein Sieg für die Rechtsstaatlichkeit und für die Demokratie in Polen, aber auch für die Handlungsfähigkeit der EU".

Anmerkung: In einer früheren Version dieses Artikels hieß es, "alle drei Parteien" - die PiS, Fratelli d'Italia und Fidesz aus Ungarn - gehörten der Fraktion der Europäischen Konservativen und Reformer an. Das ist im Fall von Fidesz nicht korrekt: Die Partei ist nicht Teil einer Fraktion im EU-Parlament.

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