Polens neue Regierung:Frühlingsgefühle im Dezember

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Polens Präsident Andrzej Duda und der neue Ministerpräsident Donald Tusk nach der Vereidigung. Das Lächeln des Präsidenten dürfte nicht wirklich von Herzen kommen. (Foto: Aleksandra Szmigiel/Reuters)

Mehr als acht Wochen nach der Wahl ist Donald Tusk als neuer Ministerpräsident vereidigt. In seiner Rede erinnert er an die Ausrufung des Kriegsrechts vor genau 42 Jahren: Schon damals kämpfte er für die Demokratie. Im Parlament kommt es zu einem antisemitischen Zwischenfall.

Von Viktoria Großmann, Warschau

Donald Tusk ist vielleicht mit einem Liedchen auf den Lippen am Mittwochmorgen zum Präsidentenpalast gefahren. Jedenfalls zitierte er auf seinem X-Account das Lied "Trzynastego", der Dreizehnte, ein fröhlicher Klassiker aus den Siebzigern, den viele in Polen mitsingen können. Es beginnt mit der Zeile: "Sogar im Dezember ist Frühling."

Frühlingsgefühle und Aufbruchstimmung verspüren Tusk und seine neuen Minister, sowie jene, die sie gewählt haben, an diesem kalten Tag sicherlich. Mit der Regierung Tusk verbinden deren Anhänger das Gefühl wiedererlangter Freiheit - einmal mehr in der polnischen Geschichte. Passend dazu verschwindet an diesem Tag der Kulturpalast aus dem Stadtbild. Das Geschenk Stalins im Zentrum Warschaus ist auch ein Symbol der Unterdrückung - und am Morgen völlig vom Nebel verhüllt.

Zwei Demonstranten meinen: "Tusk ist ein Agent Merkels und Putins."

An diesem 13. Dezember, kurz nach neun Uhr vormittags, wurde Donald Tusk von Präsident Andrzej Duda zum neuen Ministerpräsidenten Polens vereidigt. Er hat dieses Amt nach 2007 und 2011 nun zum dritten Mal inne. Zwischen 2015 und 2023 regierte die rechtsnationalistische PiS-Partei. Ein paar Tusk-Anhänger vollführen draußen vor dem Schloss in der Kälte Freudentänzchen. Mit einem großen Lautsprecher und einem Handy übertragen sie das Geschehen im Schloss nach draußen auf die weihnachtlich geschmückte Straße. "Es ist Zeit für ein glückliches Polen", steht unter anderem auf ihren Plakaten.

Drinnen sagt Donald Tusk, er sei gerührt: "Wir haben in den vergangenen Tagen erlebt, wie die Herzen der Polen bewegt wurden." Draußen jubeln die etwa dreißig Leute, zumeist im Rentenalter. Sie kommen vom Verein Polskie Babcie, Polnische Großmütter, es sind aber auch Großväter dabei. "Freiheit - Gleichheit - Demokratie" skandieren sie und schwenken ihre EU-Flaggen. Nur zwei alte Männer haben sich mit Abstand als Gegenprotest postiert, "Tusk ist ein Agent Merkels und Putins" steht auf einem Plakat.

Gleich nach der Vereidigung wird Andrzej Duda am Mittag an die Ausrufung des Kriegsrechts am 13. Dezember 1981 erinnern, mit der die freiheitliche Solidarność-Bewegung blutig unterdrückt wurde. Historische Daten haben in Polen größte Bedeutung - daher war es eher kein Zufall, dass die Vereidigung an diesem 13. stattfand. Für die PiS, aus deren Reihen Duda stammt, ist es erneut ein schwarzer Tag. Sie spricht von der "Koalition des 13. Dezembers", das klingt für sie wohl bedeutungsschwer genug.

Der Präsident, ein Gegner des Regierungschefs, gibt sich kompromissbereit

Tusk setzte dieser Idee nicht nur mit seinem fröhlichen Lied, das als polnisches Kulturgut gelten darf, eine andere Erzählung entgegen. In seiner Rede nach dem Schwur sagte er, es sei eine Ehre, an diesem Tag vereidigt zu werden. Nie werde er vergessen, wie er auf den Tag genau 42 Jahre zuvor mit ein paar jungen Leuten zur Danziger Werft gelaufen sei. "Wir hatten die naive Vorstellung, wir könnten die Werft verteidigen." Tusk war damals 24 Jahre alt, er stammt aus Danzig. Dort wird an diesem Tag mittels eines sogenannten Reenactments mit Soldaten und Militärfahrzeugen die Durchsetzung des Kriegsrechts nachgestellt.

Präsident Andrzej Duda, von dem polnische Medien stets berichten, dass er eine tiefe persönliche Abneigung gegen Tusk empfinde, gab sich in seiner Ansprache zugewandt und kompromisswillig. Auch Tusk beschwor erneut den gesellschaftlichen Zusammenhalt.

Beide wissen wohl, dass es mit dem Frieden zwischen den Parteien und auch innerhalb der Gesellschaft nicht weit her ist. Der Chef der Woiwodschaft Masowien, zu der die Hauptstadt Warschau gehört, reichte seinen Rücktritt ein - er wolle mit der Tusk-Regierung nicht zusammenarbeiten, sie sei eine "Schande". Er rief Tusk auch gleich zum Rücktritt auf.

Ein rechtsextremer Abgeordneter geht mit einem Feuerlöscher auf einen Chanukka-Leuchter los

Noch viel deutlicher aber zeigte sich am Dienstagabend im Sejm, wie aggressiv die Stimmung ist. Grzegorz Braun, Abgeordneter der rechtsextremen Partei Konfederacja, löschte eine soeben aus Anlass des jüdischen Chanukka-Fests entzündeten Leuchter mit einem Feuerlöscher. Dabei verletzte er absichtlich eine Ärztin, die sich ihm in den Weg stellte. So berichtet die Tageszeitung Gazeta Wyborcza. Demnach habe Braun der Frau mit dem Feuerlöscher ins Gesicht gesprüht und sie frauenfeindlich beschimpft. Anschließend ging er zunächst ungehindert wieder in den Sitzungssaal.

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Nun ermittelt die Staatsanwaltschaft gegen Braun, der sich schon oft judenfeindlich geäußert hat. Im Sommer hatte Braun eine Veranstaltung des Deutschen Historischen Instituts gestört, diese wurde schließlich abgebrochen. Er beschimpfte den Leiter der Einrichtung mit deutschfeindlichen Parolen. Miloš Řezník ist allerdings Tscheche. Zudem soll Braun am Sturm auf das Reichstagsgebäude in Berlin im August 2020 beteiligt gewesen sein.

Parlamentspräsident Szymon Hołownia forderte die Partei Konfederacja, die mit 18 Abgeordneten im Sejm vertreten ist, auf, Braun aus der Partei auszuschließen. Sie könne sonst keinen Vizemarschall, also keinen stellvertretenden Parlamentspräsidenten mehr stellen. Das Präsidium des Sejms beschloss bereits, dem Rechtsextremen für sechs Monate seine Parlamentszulagen und die Hälfte seiner Bezüge zu kürzen. Man werde nun alle rechtlichen Schritte gehen, um zu erreichen, dass Braun sein Mandat verliere, sagte ein Abgeordneter der Tusk-Partei Bürgerplattform.

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