Polen:"Ich bin ein Verfechter der Todesstrafe"

Lesezeit: 3 min

Premier Mateusz Morawiecki im Dezember in Brüssel. Die EU-Kommission zweifelt an Warschaus Bekenntnissen zur Rechtsstaatlichkeit. (Foto: Nicolas Economou/imago)

Für Polen und die EU wird 2023 ein entscheidendes Jahr. Im Herbst bestimmen die Wähler, ob es mit der PiS-Regierung weitergeht. Premier Morawiecki beginnt den Wahlkampf mit einer Provokation.

Von Viktoria Großmann

Möchte er in Polen die Todesstrafe wieder einführen? Der polnische Premierminister Mateusz Morawiecki hatte in einer Bürgerbefragung, die online am Montagabend stattfand, gesagt: "Ich bin ein Verfechter der Todesstrafe." Er wisse, dass das auch mit der christlichen Weltanschauung nicht vereinbar sei, dennoch halte er sie bei besonders schweren Straftaten für angebracht. Regierungssprecher Piotr Müller musste nachher aufräumen und erklärte, das sei alles nur theoretisch und etwa im Falle von Kriegsverbrechen gemeint. Natürlich wisse man, dass in der EU die Todesstrafe nicht akzeptiert werde.

Was Morawieckis wohl gezielte Provokation also vor allem bedeutet: Das Wahlkampfjahr 2023 ist eröffnet. Entweder im Oktober oder Anfang November werden die Polinnen und Polen ein neues Abgeordnetenhaus (Sejm) und einen neuen Senat wählen, spätestens im Sommer muss der genaue Termin bekannt gegeben werden. Der amtierende Sejm hatte am 12. November 2019 seine Arbeit aufgenommen.

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Die EU hat Milliarden Euro für Polen gesperrt

Entscheidend wird diese Wahl nicht nur für Polen, sondern für die gesamte EU sein. Unter einer Regierung der heutigen Opposition wäre eine Rückkehr zur Rechtsstaatlichkeit wie zu den Werten und Grundsätzen der EU zu erwarten. Die jetzige Regierung hingegen entfernt sich immer mehr von Brüssel. Die EU beziehungsweise das von ihr zu erwartende Geld ist auch eines der wichtigsten Wahlkampfthemen, noch sind die Corona-Hilfen in Höhe von 22,5 Milliarden Euro für Polen gesperrt.

Wahlkampf ist eigentlich schon längst. Regelmäßig trifft sich Oppositionsführer Donald Tusk von der christlich-konservativen Partei Platforma Obywatelska (PO) mit potenziellen Wählern im ganzen Land. Auch der Vorsitzende der PiS-Partei Jarosław Kaczyński reist seit Monaten durch Polen und erregt immer wieder Aufsehen. Etwa mit seinen Vorwürfen an die Frauen, die keine Kinder zur Welt bringen wollten oder nicht könnten, weil sie zu viel Alkohol tränken. Männer vertrügen einfach viel mehr, dozierte er.

Oppositionsführer Donald Tusk, hier bei einer pro-europäischen Demonstration in Warschau im vergangenen Oktober. (Foto: Magdalena Chodownik/Getty Images)

Tusk, Vorgänger von Charles Michel als Präsident des Europäischen Rates, wird wahlweise als Freund der Deutschen oder der Russen verunglimpft, kein Vorwurf erscheint der Regierungspartei zu absurd. Auch regierungskritische Kommentatoren in Medien und Politik greifen gern zum großen Besteck und vergleichen die PiS-Regierung mit dem Kreml.

Bisher aber bietet die oppositionelle PO wenige Inhalte, konzentriert sich hauptsächlich auf Vorwürfe gegen die PiS, rechnet regelmäßig vor, wie viele Milliarden Euro EU-Gelder die Regierung und ihre Politik das Land und seine Bewohner kosten. Die PiS ihrerseits spricht lieber über Reparationsforderungen an Deutschland, denen die Bundesregierung nun in einer diplomatischen Note die erwartete Absage erteilte. Die Ablehnung von Verhandlungen über die von seiner Regierung geforderten Zahlungen zeige eine absolut respektlose Einstellung gegenüber Polen und dem polnischen Volk, sagte daraufhin Arkadiusz Mularczyk, polnischer Vize-Außenminister.

Wichtigste Wahl seit 1989?

Mit einer hohen Wahlbeteiligung von mindestens 67 Prozent wird schon jetzt gerechnet, in einer Umfrage der Zeitschrift Polityka erklärte ein Drittel der Befragten, die anstehende Wahl sei wichtiger als die im Juni 1989, der ersten zumindest teilweise freien Wahl seit dem Zweiten Weltkrieg, bei der am Ende die Solidarność gewann.

Bis zum Herbst ist es noch ein langer Weg. Umfragen sehen mal Tusks Lager vorn, dessen PO zusammen mit zwei kleineren Parteien die Koalicja Obywatelska bildet, mal die Vereinte Rechte, also die PiS mit ihrem rechtsextremen Regierungspartner Solidarna Polska. Beide Lager liegen stets bei um die 30 Prozent.

Regierungsgegner hatten schon bei der Präsidentschaftswahl im Sommer 2020 vorhergesagt, dass es bis zu den Parlamentswahlen 2023 einen nachhaltigen Meinungsumschwung geben werde. Damals hatte Präsident Andrzej Duda seine Position eher knapp gegen den Warschauer Bürgermeister Rafał Trzaskowski, auch er PO-Mitglied, verteidigen können.

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Soziologen wie etwa Jacek Kucharczyk vom Institute of Public Affairs in Warschau sind der Ansicht, dass die polnische Gesellschaft in ihren liberalen Ansichten der engstirnigen Regierungspolitik bereits weit voraus ist. Viel Hoffnung setzen liberale Kräfte in die jungen Wähler, die mit der nationalen, feindseligen Abschottungspolitik der Vereinten Rechten wenig anfangen könnten.

Auch Polens Zivilgesellschaft gibt ihnen Anlass zur Hoffnung. Da sind diejenigen, die jeden Abend aufs Neue im Zentrum Warschaus vor dem Sitz des staatlichen Fernsehsenders TVP für eine freie Medienlandschaft demonstrieren. Die Frauen und auch Männer, die für ein Recht auf Abtreibung eintreten, die in Polen de facto verboten ist. Und die vielen Freiwilligen, die humanitäre Hilfe für Flüchtlinge organisieren, die im Osten Polens durch die Wälder und Moore aus Belarus kommen. Auch die Hilfe für die Millionen Frauen und Kinder, die aus dem Krieg in der Ukraine nach Polen flohen, war größtenteils von Freiwilligen und NGOs organisiert.

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