Präsidentenwahl:Dudas Sieg spiegelt die Zerrissenheit Polens wider

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Amtsinhaber Andrzej Duda, hier mit Familie, beanspruchte noch vor Auszählung der Stimmen am Sonntagabend den Sieg für sich. (Foto: JANEK SKARZYNSKI/AFP)

Viele schätzen die dominierende PiS für eingelöste Versprechen und höhere Sozialleistungen. Andere hingegen sehen das Land auf demselben Weg wie Ungarn oder Weißrussland.

Von Viktoria Großmann

Wir werden Widerstand leisten", schreibt Jakub Kocjan am Morgen nach der Wahl per Whatsapp. Am Freitag, als man sich vor einem plötzlichen Gewitterregen in den nächsten U-Bahn-Eingang flüchten musste, hatte der 21-jährige Jurastudent noch gesagt, er habe "30 Prozent Hoffnung", dass Rafał Trzaskowski die Wahl gewinne und damit als Präsident Polens die Regierungspartei Recht und Gerechtigkeit, kurz PiS, bremsen könne in ihrem Bestreben, die Justiz zu kontrollieren und die Medienfreiheit noch weiter einzuschränken.

Kocjan engagiert sich für "Akcja Demokracja", eine Gruppe von Aktivisten, die schon 2017 mit Lichterketten gegen die Justizreformen protestierte. Unter der PiS, die 2015 in die Regierung kam und im vergangenen Herbst wiedergewählt wurde, habe sich sein Land verändert, sagt Kocjan. Die Ablehnung von Minderheiten, die hasserfüllte Sprache, mit der die PiS unterstützt von der Kirche auftrete, zeige Wirkung. Er berichtet von tätlichen Angriffen auf homo- und transsexuelle Menschen; auf Demonstrationen würden Frauen angegriffen und belästigt, die Polizei greife immer härter durch. "Es wird blutig werden", sagt er.

Und nun hat der nationalpopulistische Andrzej Duda wieder gewonnen, nur knapp mit 51 Prozent und zwei Prozentpunkten Vorsprung vor dem liberal-konservativen Rafał Trzaskowski. Für den jungen Aktivisten Kocjan heißt das: "Wir gehen jetzt denselben Weg wie Ungarn oder sogar Weißrussland." In weniger als einem Jahr werde die unabhängige Presse zerstört sein, viele seiner Freunde hätten angekündigt, sie wollten das Land verlassen. "Ich möchte meine Regenbogen-Freunde nicht verlieren", sagt er. Seine Hoffnung und die seiner Mitstreiter sei die EU.

Der Warschauer Bürgermeister Rafał Trzaskowski musste sich nur knapp geschlagen geben, obwohl er lediglich einen kurzen Wahlkampf führen konnte. (Foto: Omar Marques/Getty Images)

Fast 70 Prozent der Wahlberechtigten haben am Sonntag ihre Stimme abgegeben - es war die höchste Wahlbeteiligung seit 1989. Wieder wurde deutlich: Andrzej Duda gewinnt im Osten und Südosten des Landes vor allem in den Dörfern und Kleinstädten. In den Großstädten und Ballungsräumen mit mehr als einer halben Million Einwohnern lag Trzaskowski klar vorn. Die Erklärung lautet: Die PiS hat mit ihren Sozialleistungen vielen Menschen ein würdiges Auskommen beschert. Die polnisch-amerikanische Künstlerin Paulina Ołowska lebt und arbeitet zurzeit südlich von Krakau auf dem Land. "Die Menschen sind glücklicher hier, seit die PiS regiert", sagt sie. "Ihre Straßen sind in Ordnung, die Renten sicher."

Ołowska aber hätte sich für ihr Land einen ganz anderen Präsidenten gewünscht. Sie hat im ersten Wahlgang für Robert Biedroń gestimmt, Gründer der Partei Wiosna (Frühling). Er bekennt sich offen zu seiner Homosexualität. Für Ołowska wäre er ein überzeugender Kandidat für Offenheit und Miteinander gewesen. Noch lieber wäre es ihr gewesen, wenn auch eine Frau angetreten wäre. Das ultrakonservative Weltbild der PiS, so sagt Ołowska, gehe zulasten aller Errungenschaften der Frauen. Sie würden an den Rand gedrängt, zurück ins Heim, hinaus aus der Öffentlichkeit.

Sichtbarer Ausdruck dessen war die Debatte um eine weitere Verschärfung des Abtreibungsrechts. Schwangerschaftsabbrüche sind jetzt schon illegal, werden jedoch kaum geahndet. Die Proteste polnischer Frauen brachten ihnen zumindest vorerst einen Erfolg, das Vorhaben wurde bislang nicht weiter verfolgt. Rafał Trzaskowski hatte sich klar gegen die Verschärfung ausgesprochen. "Viele Frauen sind eher für Trzaskowski", sagt auch der Student Kocjan. Während auch jüngere Männer in seinem Umfeld Sympathien für Präsident Duda hätten. "Die Frauen sind viel stärker von der PiS-Politik betroffen", sagt Kocjan.

Der Anwalt Marcin Matczak, der sich mit der Batory-Stiftung für Bürgerrechte engagiert, setzt seine Hoffnung in die Frauen und die junge Generation zwischen 18 und 29 Jahren. "Vielleicht geht es in drei Jahren bei der Parlamentswahl schon anders aus", sagt er. Wichtig sei für Polen zudem der Ausgang der US-Wahlen im Herbst. Noch kurz vor dem ersten Wahlgang am 28. Juni hatte Andrzej Duda Präsident Donald Trump in Washington besucht. "Wenn wir in Europa keine Freunde mehr haben, dann brauchen wir einen Freund in den USA", sagt Matczak. "Aber was, wenn Joe Biden gewinnt und unsere Regierung auch kritisiert?"

Trzaskowski war nur Kompromisskandidat

Bis dahin allerdings, befürchtet Matczak, wird die PiS, angeführt von dem 71 Jahre alten Jarosław Kaczyński, ihr Programm weiter durchziehen. "Kaczyński will Macht, warum auch immer. Und dafür will er alle Hindernisse beseitigen." Unabhängige Gerichte, freie Presse, private Universitäten und Forschungseinrichtungen. Ohne die EU, sagt Matczak, hätte Polen den Kampf um unabhängige Gerichte längst verloren. Dass die EU bisher gegen die Einschränkung der Pressefreiheit nicht vorgegangen ist, kann der Jurist verstehen. "Sie können nicht an allen Fronten gleichzeitig kämpfen." Die Justiz als Grundlage für alles andere sei zunächst wichtiger gewesen.

Trzaskowski, der in der kurzen Zeit des Wahlkampfs von Anfang Juni bis Mitte Juli so viel erreicht und die PiS in eine Verteidigungsposition gebracht hat, war dennoch für einige nur ein Kompromisskandidat. Für Kocjan und Ołowska etwa, die sich einen noch progressiveren Kandidaten gewünscht hätten. Und auch für den Musiker und DJ Maciek Sienkiewicz, der mit Frau und Kindern im Städtchen Łobez in Nordwestpolen lebt.

Er hat Andrzej Duda gewählt. "Nicht weil ich sein Fan bin, aber er ist weniger schlimm", sagt der 50-Jährige. Viele Jahre sei er strikt auf der linken und liberalen Seite gewesen. Heute sei er enttäuscht, besonders von der Bürgerplattform PO, der Partei Rafał Trzaskowskis. Die Statistik zeige, dass die PO nie irgendwelche Wahlversprechen eingehalten habe, die PiS immerhin ein paar. Was Polen aber eigentlich brauche, sagt Sienkiewicz, der zusammen mit seiner Frau in seiner Heimatstadt auch ein jährliches Kulturfestival organisiert, sei eine "starke linke Partei". Es gebe nur zwei Optionen, PO oder PiS. "Und das ist das eigentliche Problem." Sienkiewicz ist in Sorge, dass im Schatten dieser beiden die rechtsextreme Partei Konfederacja gewinnt. Das tue sie schon, besonders bei jungen Menschen in ländlichen Gebieten.

Am Wahlabend trat in Pułtusk nach ihrem Vater Andrzej Duda die 25-jährige Kinga Duda ans Mikrofon: "Die Wahl einer Partei ist kein Grund für Hass." In wenigen, klaren Sätzen rief sie zu Versöhnung und Toleranz auf. Sätze, die eigentlich ein Präsident sprechen sollte. Den Studenten Jakub Kocjan jedoch konnten sie nicht beruhigen. "Heuchelei", sagt er. Man könne ihr nicht trauen. Bei aller Zerrissenheit scheint dies das einende Gefühl zu sein am Tag nach der Wahl: Misstrauen.

© SZ vom 14.07.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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