Polen:Abhörskandal bringt PiS in Bedrängnis

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Permierminister Donald Tusk hatte vor der Wahl angekündigt, alle Verstöße aus der Zeit der PiS-Regierung untersuchen zu wollen. (Foto: SERGEI GAPON/AFP)

Die alte Regierung hat wohl politische Gegner und eigene Leute systematisch abgehört. Nun wird der Fall untersucht - und könnte die Partei zerreißen.

Von Viktoria Großmann, Warschau

Die Liste der Abgehörten sei "sehr, sehr lang", teilte der polnische Premier Donald Tusk vor einer Woche Präsident Andrzej Duda mit. Der Justizminister werde eine Reihe von Dokumenten vorlegen, die nicht nur den Kauf der Spionage-Software Pegasus belegen, sondern auch den legalen und illegalen Einsatz zu 100 Prozent nachvollziehbar machen. Der Fall Pegasus könnte entscheidend werden im Ringen der neuen Regierung darum, das Vermächtnis der alten aufzuarbeiten und sich davon zu befreien. Er hat sogar das Potenzial, die PiS-Partei stark zu erschüttern.

An diesem Montag kam der Pegasus-Untersuchungsausschuss des polnischen Abgeordnetenhauses Sejm zur ersten inhaltlichen Sitzung zusammen. Die neuen Regierungsparteien hatten vor der Wahl versprochen, alle Regelbrüche und Gesetzesverstöße aus acht Jahren PiS-Regierung zu untersuchen und Verantwortliche zur Rechenschaft zu ziehen. Untersucht wird etwa die Visa-Affäre, bei der ohne größere Überprüfungen möglicherweise Tausende Arbeitsvisa ausgegeben worden sein sollen - die Einwanderern teils dazu dienten, innerhalb Europas aber auch bis in die USA weiterzureisen.

Es gibt zahlreiche Vorwürfe der Verschwendung staatlicher Mittel

Ebenfalls untersucht wird die Briefwahl-Affäre aus dem Jahr der Präsidentschaftswahl 2020, dabei geht es um Verstöße gegen das Wahlrecht und den Datenschutz. Vor allem aber wurde in der Vorbereitung der Briefwahl, die dann nicht stattfand, sehr viel Steuergeld in den Sand gesetzt. Doch die Pegasus-Affäre könnte die größte Sprengkraft haben, sie könnte die PiS-Partei selbst zerreißen. Denn wie es aussieht, hat die Partei im Stile von Diktatoren nicht nur den Gegner, sondern auch die eigenen Leute abgehört. Selbst der frühere Ministerpräsident Mateusz Morawiecki soll auf der Liste stehen. Er wird voraussichtlich aber auch zu den Zeugen gehören, die von der Untersuchungskommission einbestellt werden. Ebenso seine Vorgängerin, die frühere Ministerpräsidentin Beata Szydło und möglicherweise auch der Parteivorsitzende Jarosław Kaczyński.

Dass Gegner ausspioniert wurden, ist schon länger bekannt. Bereits vor zwei Jahren, als PiS noch regierte, forderte Donald Tusk einen Untersuchungsausschuss. Der Oberste Rechnungshof hatte damals öffentlich gemacht, dass das Programm im September 2017 angeschafft worden war. Die Regierung hatte offenbar den Kauf vor den eigenen Behörden verschleiert. Mit der Abhöraktion hatte PiS anscheinend versucht, sich Vorteile im Wahlkampf 2019 zu verschaffen. So wurde unter anderem Krzysztof Brejza abgehört, der Kampagnenleiter der von Donald Tusk geführten Partei Bürgerplattform. Außerdem eine Staatsanwältin, die wiederholt den Justizumbau kritisiert und aktiv dagegen gearbeitet hatte. Auch Journalisten sollen ausspioniert worden sein.

Doch es musste tatsächlich erst ein Machtwechsel kommen, damit die Vorwürfe nun geklärt werden. Der elfköpfigen Kommission gehören auch vier Abgeordnete der PiS-Partei an. Sie stellt im Sejm die größte Fraktion. Außerdem befasst sich die Staatsanwaltschaft mit dem Fall. Premier Donald Tusk betonte am Montag bei einer Pressekonferenz die Unabhängigkeit der Ermittler und des Untersuchungsausschusses. Er werde keine Erwartungen bezüglich des Ergebnisses formulieren und den Fall auch nicht für politische Kämpfe nutzen. "Alles, was offengelegt werden kann, wird auch offengelegt werden", sagte Tusk. Er stelle dem Präsidenten gern alle Informationen und Unterlagen zur Verfügung. Duda hat sich bislang nicht zu Pegasus geäußert.

"Sie haben versucht, das Leben von Menschen zu zerstören."

Die Vorsitzende des parlamentarischen Untersuchungsausschusses, Magdalena Sroka, gehört einer der neuen Regierungsparteien an. Sie hat nicht vor, die PiS-Partei zu schonen, ließ sie die polnischen Medien wissen. Sroka hatte früher selbst mit PiS zusammengearbeitet. Sie gehörte einer kleinen Partei an, die 2021 die Regierungskoalition mit PiS verließ. Voran gegangen war unter anderem ein Streit um den Ablauf der Präsidentschaftswahlen. Sroka erscheint es völlig einleuchtend, dass PiS auch die eigenen Leute oder Verbündete abhörte, um die Kontrolle zu behalten. So sagt sie es in einem Interview mit Gazeta Wyborcza.

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Die Sitzung des Untersuchungsausschusses am Montag konnte live im Internet verfolgt werden. Sroka sagte Gazeta Wyborcza, sie wolle so transparent wie möglich arbeiten und viele Informationen zugänglich machen. Das sei im Interesse der Öffentlichkeit. "Sie haben versucht, das Leben von Menschen zu zerstören." Der Fall von Krzysztof Brejza, jenem Wahlkampfleiter der Bürgerplattform von 2019, zeige das deutlich.

PiS spricht nun von ungeschickten Versuchen der Regierung, die Partei zu zerstören. Dass die Spionage-Software benutzt wurde, streiten aber auch PiS-Leute nicht ab. Wie der oberste Rechnungshof nachweist, hat die Regierung damals 25 Millionen Złoty für das Programm ausgegeben, umgerechnet knapp sechs Millionen Euro. Der Skandal könne, so heißt es in der Tageszeitung Rzeczpospolita, die "schwächelnde PiS spalten", so stark, dass selbst Kaczyński sie nicht mehr zusammenhalten könne.

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