Polen:Visa-Affäre wird der PiS gefährlich

Lesezeit: 3 min

Die Regierung ließ einen 185 Kilometer langen Stahlzaun bauen, um die illegale Einwanderung über Belarus in den Griff zu bekommen. (Foto: Wojtek Radwanski/AFP)

Mitarbeiter des polnischen Außenministeriums sollen Hunderttausende Schengen-Visa verkauft haben. Einen Monat vor der Parlamentswahl bringt das die Regierungspartei in Bedrängnis.

Von Viktoria Großmann, Warschau

Die polnische Opposition wittert bereits den Wendepunkt im Wahlkampf. Am 15. Oktober will die rechtsnationale PiS-Partei erneut die Parlamentswahlen gewinnen, doch nun erheben Opposition und regierungskritische Medien schwere Vorwürfe gegen die Partei von Jarosław Kaczyński. Mitarbeiter des Außenministeriums sollen mit polnischen Visa gehandelt haben. Sie wurden angeblich zu Hunderttausenden an Menschen aus dem Nahen und Mittleren Osten sowie aus Afrika verkauft.

Gegen Menschen aus diesen Weltgegenden hetzt die PiS-Regierung seit Jahren, mit diesem Thema gewann sie 2015 die Wahlen. Um die illegale Einwanderung über Belarus in den Griff zu bekommen, baute die Regierung auf 185 Kilometern im geschützten Urwald an der Grenze einen 5,5 Meter hohen Stahlzaun. Am Wahltag soll auch ein Referendum stattfinden, bei dem die Regierung nachträglich die Unterstützung für diesen Zaun abfragt und wissen will, ob die Polinnen und Polen mit der Umverteilung von Flüchtlingen innerhalb der EU einverstanden sind.

Die Geschichte wurde erst öffentlich, als ein Vize-Minister entlassen wurde

Und nun sollen laut der Tageszeitung Gazeta Wyborcza bis zu 600 000 Visa verkauft worden sein - und zwar, wie die Zeitung schreibt, an nicht überprüfte Personen. Die Opposition spricht von 250 000 Visa. Im ostafrikanischen Land Uganda berichtete das Portal Uganda Watchdog im Mai über Fälle, bei denen Menschen in Kenia mehrere Tausend Dollar verloren, als sie versuchten, ein polnisches Arbeitsvisum zu bekommen. Kenianische Webseiten, die polnische Schengen-Visa vermitteln, finden sich im Internet zuhauf.

Die nationale Staatsanwaltschaft und die Behörde für Korruptionsbekämpfung, CBA, haben Ermittlungen aufgenommen. Am Donnerstag erklärten sie bei einer Pressekonferenz, sieben Personen seien angeklagt, drei festgenommen worden. Die Staatsanwaltschaft spricht allerdings von "mehreren Hundert Visa", die im Verlauf von anderthalb Jahren ausgestellt worden seien. Die Ermittlungen liefen bereits seit Juli 2022.

Ins Rollen kam die Geschichte, als die PiS-Regierung am 1. September erst auf Medienanfragen mitteilte, dass ein stellvertretender Außenminister entlassen worden war. Man sei nicht zufrieden mit ihm, war die lapidare Erklärung von Premierminister Mateusz Morawiecki. Kurz darauf brachte die Gazeta Wyborcza die ersten Berichte über die Visa-Affäre. Am Freitag wurde ein weiterer Mitarbeiter des Außenministeriums entlassen. Die Regierung erklärte, es würden nun alle Konsularabteilungen weltweit kontrolliert.

Das Internetportal Onet.pl hatte zuvor berichtet, dass der entlassene stellvertretende Außenminister persönlich Namenslisten an Konsularabteilungen in polnischen Auslandsvertretungen verschickt habe. Mehrere Gruppen von Menschen aus Indien habe man als Filmcrew für Bollywood-Produktionen ausgegeben, hieß es in dem Bericht. Demnach hätten die Menschen bis zu 40 000 Dollar für ein Visum bezahlt. Viele seien weiter in die USA gereist, dort seien die Visa aufgefallen und US-amerikanische Behörden hätten die polnischen alarmiert.

Die Opposition lässt ein reißerisches Video auf die PiS los

Die größte polnische Oppositionspartei Bürgerplattform (PO), angeführt von Donald Tusk, nahm die Affäre umgehend in ihren Wahlkampf auf, ließ einen neuen Spot drehen, indem sie die PiS der Lüge und Heuchelei bezichtigt. Das reißerisch aufgemachte Video mit seiner bedrohlichen Musik und der mit Vorwürfen überladenen Sprache zeigt allerdings auch, wie nahe sich die beiden größten konkurrierenden Lager mittlerweile in Wortwahl und Auftreten sind.

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Donald Tusk selbst, der sich selten auf dem Dienst X zu Wort meldet, warf der PiS dort vor, "eine Hysterie gegen Migranten" entfesselt und gleichzeitig "Millionen mit Visa" verdient zu haben. "Gegen sie ist Lukaschenko ein Amateur." Der belarussische Diktator Alexander Lukaschenko hatte vor allem im Jahr 2021 Zehntausende Menschen mit falschen Versprechungen nach Belarus gelockt und weiter an die EU-Außengrenzen geschickt.

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Die Regierung versucht nun, der Tusk-Partei PO die Verantwortung zuzuschieben. Unter Donald Tusk, der von 2007 bis 2014 Ministerpräsident Polens war, seien Konsularabteilungen geschlossen und dafür private Auftragnehmer angeheuert worden. Diese sollen für die Vorfälle verantwortlich sein. Eine Erzählung, die der staatliche Fernsehsender TVP bereits übernimmt. Die Gazeta Wyborcza schreibt am Freitag, die Visa-Affäre könne die PiS-Regierung stürzen, aber nur, "wenn die Menschen davon erfahren".

Nach der jüngsten Wahl-Umfrage des Meinungsforschungsinstituts Ibris würden sich 33,3 Prozent der Befragten für die Partei Recht und Gerechtigkeit, kurz PiS, und ihre Listenpartner entscheiden und 26,4 Prozent für die von Donald Tusk angeführte Mehrparteienliste Bürgerkoalition (KO).

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