Polen und Deutschland:Das lässt sich der Kanzler nicht gefallen

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Kanzler Olaf Scholz kann, wenn er will, auch mal sehr deutlich werden und ein Machtwort sprechen. (Foto: Imago/Imago/Political-Moments)

Mit Kritik am Nachbarn Polen hält Olaf Scholz sich meist zurück. Die Visa-Affäre der Regierung in Warschau und ihre übrige Haltung zu Migranten scheinen seine Geduld nun doch arg zu strapazieren.

Von Daniel Brössler, Berlin

Wenn es um Polen geht, erzählt Olaf Scholz gern eine Anekdote aus seinem Winterurlaub auf Lanzarote. Da habe ihn ein polnischer Jogger um ein Selfie gebeten und ihm bei der Gelegenheit gedankt für seine "Geduld mit unserer Regierung". Allerdings ist die Geduld des Kanzlers offenbar erschöpft.

Ungewöhnlich offen beschwert sich Scholz über die Haltung der polnischen Führung in der Migrationskrise. "Ich möchte nicht, dass aus Polen einfach durchgewinkt wird und wir dann hinterher die Diskussion führen über unsere Asylpolitik", hatte er am Wochenende auf einer SPD-Wahlkampfveranstaltung in Nürnberg gesagt. Es müsse so sein, "dass wer in Polen ankommt, dort registriert wird und dort ein Asylverfahren macht" - und nicht Visa, die irgendwie für Geld verteilt worden seien, das Problem noch vergrößerten. In der Sitzung der SPD-Bundestagsfraktion ist Scholz nach Informationen der Süddeutschen Zeitung am Dienstag noch deutlicher geworden. Es passierten da Dinge, die man sich "nicht gefallen lassen muss".

Die antideutschen Töne aus Warschau werden schärfer. Es ist Wahlkampf

Konkret geht es sowohl um gegen Schmiergeld verscherbelte polnische Arbeitsvisa als auch die stark gestiegenen Zahlen von über Polen einreisenden Migranten. Aber der Frust des Kanzlers geht tiefer. Von kaum einer anderen Regierung in der Europäischen Union ist Scholz so oft und so scharf attackiert worden wie von der polnischen. Die in Warschau regierenden Nationalisten der Partei Recht und Gerechtigkeit (PiS) haben dem Bundeskanzler wiederholt eine mangelnde Bereitschaft unterstellt, die von Russland überfallene Ukraine mit Waffen zu unterstützen. Auch die Bereitstellung deutscher Patriot-Flugabwehrsysteme für Polen verbesserte das Klima nicht.

Im Gegenteil: PiS-Chef Jarosław Kaczyński, der aus seiner Abneigung gegen Deutschland kein Hehl macht, soll sich ursprünglich sogar gegen die Stationierung gewandt haben. Hinzu kommen Reparationsforderungen für während des Zweiten Weltkriegs von Nazi-Deutschland angerichtete Schäden, die von der Regierung in Warschau auf 1,3 Billionen Euro beziffert werden. Wie schon in der Vergangenheit lehnt die Bundesregierung derartige Forderungen ab.

Über die polnische Grenze kommen immer mehr Migranten illegal: Polizisten kontrollieren einen von ihnen in der Nähe von Forst in Brandenburg. (Foto: Lisi Niesner/Reuters)

Öffentlich hielt sich Scholz mit Kritik an Polen bislang meist zurück. Auch Mahnungen wegen des Abbaus des Rechtsstaates im Nachbarland überließ die Bundesregierung lieber der EU-Kommission, um antideutsche Ressentiments in Polen nicht noch zu befeuern. Zuletzt waren die Töne aus Warschau aber eher noch schärfer geworden. In der Kampagne vor der Parlamentswahl Mitte Oktober zieht die PiS wie schon in vergangenen Wahlkämpfen die antideutsche Karte und versucht, den bürgerlichen Herausforderer Donald Tusk als Agenten deutscher Interessen zu verunglimpfen.

Aus Sicht von Scholz scheint das Fass nun aber übergelaufen zu sein. In der SPD-Fraktion kritisierte er unverblümt die Doppelzüngigkeit der polnischen Führung, die einerseits gegen Migranten hetze und anderseits diesen Migranten gegen Geld Visa erteile. Das sei etwas, wozu man nicht schweigen könne, sagte Scholz. Ein Netzwerk soll über mehrere polnische Konsulate gegen Schmiergeldzahlungen von jeweils 5000 Dollar Visa vermittelt haben. Die polnische Regierung bestätigte bisher 268 Fälle. Die Zahl von Polen erteilter Arbeitsvisa gilt als auffällig hoch.

Helfen sollen "flexible Schwerpunktkontrollen"

Ein akut größeres Problem ist allerdings die hohe Zahl der Flüchtlinge, die über Polen nach Deutschland kommen. Eine Route führt über Russland und Belarus, eine andere über den Balkan und die Slowakei. Innenministerin Nancy Faeser (SPD) kündigte am Mittwoch "flexible Schwerpunktkontrollen" an den Grenzen zu Polen und Tschechien an. Sie sollen nach Angaben ihres Ministeriums "abhängig von der jeweiligen aktuellen Lage räumlich und zeitlich flexibel sowie wechselnd entlang der Schleusungsrouten vorgenommen" werden.

Wirft dem Bundeskanzler vor, sich in den polnischen Wahlkampf einzumischen: Justizminister Zbigniew Ziobro. (Foto: Hubert Mathis/Imago)

Kanzler Scholz droht Polen allerdings auch mit der Wiedereinführung regulärer Grenzkontrollen, was der Regierung in Warschau wegen der Folgen für Reisende und für den Handel kaum recht sein kann. Postwendend warf Außenminister Zbigniew Rau Scholz vor, sich in "innere Angelegenheiten des polnischen Staates und den laufenden Wahlkampf in Polen einzumischen". Justizminister Zbigniew Ziobro unterstellte dem deutschen Kanzler Parteinahme für Donald Tusk.

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Arkadiusz Mularczyk, Staatsekretär im Warschauer Außenministerium und lautstarker Verfechter der Reparationsforderungen, warf Scholz wegen dessen Kritik an der Visa-Affäre und der Drohung mit Grenzkontrollen eine "Überreaktion" vor. Er solle lieber erklären, wieso deutsches Steuergeld für Hilfsorganisationen ausgegeben werde, die Tausende "illegale Migranten" nach Europa brächten, twitterte er. "Wird er auch über Grenzkontrollen zwischen Deutschland und Italien sprechen?", fragte er. Etliche Nutzer von X, vormals Twitter, machten den Staatsekretär daraufhin aufmerksam, dass er in seinem Zorn etwas übersehen hatte - Österreich.

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