Als Boris Pistorius zum zweiten Mal in seiner Amtszeit per Zug in der Ukraine eintrifft, sagt er gleich, was die Hauptbotschaft seiner Reise ist: "Ich bin wieder hier, um erstens weitere Unterstützung zuzusagen." Der Verteidigungsminister wolle aber auch "unsere Solidarität, unsere tiefe Verbundenheit und Bewunderung für den mutigen, tapferen und verlustreichen Kampf" ausdrücken. Wie groß diese weitere Unterstützung am Ende sein wird, das ist wegen der gewaltigen Haushaltsturbulenzen daheim in Deutschland aber eine offene Frage.
Pistorius ist an einem historischen Tag nach Kiew gereist. Vor genau zehn Jahren, am 21. November 2013, hatten die proeuropäischen Maidan-Proteste begonnen. "Mutige Menschen aller Altersgruppen sind auf die Straße gegangen, für Freiheit, für Annäherung an Europa, und haben dafür mit dem Leben bezahlt", sagt Pistorius. Er legt rote Rosen für die damals Getöteten nieder.
Am Montag war vor Pistorius bereits US-Verteidigungsminister Lloyd Austin in Kiew zu Gast - aber die US-Regierung hat mit dem gegenüber der Ukraine-Unterstützung zunehmend kritischen US-Kongress zu kämpfen; Austin konnte nur weitere Hilfen in Höhe von 100 Millionen Euro verkünden.
Bei seinem ersten Besuch im Februar hatte Pistorius die Lieferung von mehr als 100 Kampfpanzern des älteren Typs Leopard 1A5 versprechen können, dieses Mal kündigt er erneut neue Hilfen an, im Volumen von 1,3 Milliarden Euro - darunter vor allem vier weitere Luftverteidigungssysteme vom Typ Iris-T SLM und neue Artilleriemunition. Aber über allem, was künftig noch kommen soll, hängt nun auch erst einmal der Haushaltsvorbehalt in Berlin.
Außenpolitisch sei das ein schwieriges Bild, das man da abgebe
Eigentlich sollen die Ukraine-Hilfen auf Wunsch des Verteidigungsministeriums von vier auf acht Milliarden Euro im kommenden Jahr verdoppelt werden. Nun hat aber das Bundesverfassungsgericht das Umwidmen von 60 Milliarden Euro an nicht verbrauchten Corona-Geldern in einen Klima- und Transformationsfonds für nichtig erklärt. Deshalb wackeln auch die weiteren Ukraine-Pläne von Pistorius. "Er kann die acht Milliarden noch nicht ankündigen", heißt es in Koalitionskreisen zum Besuch des Ministers in der Ukraine. Denn der neue Bundeshaushalt 2024 stehe bislang nicht - und die Unsicherheiten nehmen täglich zu.
Bundesfinanzminister Christian Lindner (FDP) hat eine Sperre für weitere Verpflichtungsermächtigungen aus dem Haushalt 2023 verhängt. Für 2024 hat diese Sperre nach Einschätzung von Haushaltspolitikern zunächst keine Auswirkungen. Aber es gibt auch noch keinen Haushalt. "Solang es keinen Haushalt gibt, ist alles mit Fragezeichen versehen", heißt es mit Blick auf die acht Milliarden, wenngleich man in Ampelkreisen betont, dass diese weiter das Ziel seien. Eingestellt werden sollen die zusätzlichen Ausgaben nicht im Verteidigungsetat, sondern im sogenannten Einzelplan 60. Er umfasst allgemeine Einnahmen und Ausgaben. Auch dieser ist von der vorläufigen Sperre betroffen. Außenpolitisch sei das alles ein schwieriges Bild, das man da abgebe. Es sei wichtig, nicht die Handlungsmöglichkeiten zu verlieren.
"Putin und Konsorten freuen sich, die westliche Welt knickt langsam ein."
Mit Sorge wird gesehen, dass die westliche Unterstützung für die Ukraine insgesamt schwächeln könnte - gerade nach der US-Wahl im kommenden Jahr und einer möglichen Rückkehr Donald Trumps ins Weiße Haus. "Putin und Konsorten freuen sich, die westliche Welt knickt langsam ein", bringt es ein frustrierter Koalitionär auf den Punkt.
Kompliziert könnte das Ganze aber für Pistorius auch mit Blick auf das 100 Milliarden Euro umfassende Sondervermögen der Bundeswehr werden. Das Verteidigungsministerium wäre besonders betroffen von einer längeren Sperre der Verpflichtungsermächtigungen, es könnte auch geplante Finanzzusagen für neue Beschaffungsprojekte betreffen, betonen Haushaltspolitiker der Ampelkoalition.
Aus der Rüstungsindustrie ist zudem zu hören, dass der Nachschub für die Ukraine - von der Finanzierung abgesehen - ein großes Problem werde. "Die Lager sind leer", heißt es hier. Es fehle schon an den Rohstoffen, um mehr Munition zu produzieren. Pistorius betonte zuletzt bei einem EU-Verteidigungsministertreffen, er erwarte ein Scheitern der EU-Pläne für die Lieferung von einer Million Artilleriegeschossen bis zum Frühjahr 2024. Deutschland habe mit dem Abschluss von Rahmenverträgen einen großen Teil dazu beigetragen, dass die Kapazitäten vergrößert werden können. Die Produktionsprozesse seien aber, "wie sie sind".
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Zugleich hat die Ukraine nach den vielen eigenen Opfern nach Einschätzung von Experten zunehmend Probleme, genug Soldaten für den Verteidigungskrieg gegen Russland zu finden. Daher wird befürchtet, dass sich für die Ukraine im kommenden Jahr die Aussichten verdüstern könnten. Auch Pistorius ist vorsichtiger geworden: Hatte er anfangs gesagt, die Ukraine müsse den Krieg gewinnen, betonte er zuletzt bei einer Baltikum-Reise analog zu Kanzler Olaf Scholz (SPD): "Putin darf keinen Erfolg haben."