Steht die Partei vor einer Entscheidungsschlacht? Kann es nur eine Frau geben an der Spitze der Linken? Es ist Samstagmorgen im Kongresszentrum in der Leipziger Messe, der Parteitag geht in seinen zweiten Tag, und die Vorsitzende Katja Kipping kommt in ihrer Rede schnell zur Sache. Sie spricht den internen Streit an, mit dem sich die Linkspartei seit mehr als einem Jahr quält. Kipping nennt es: ein Ringen um Strategien. Es sei "oft als Konflikt zwischen zwei Frauen" dargestellt worden, sagt sie: "Ihr wisst, wovon ich spreche: zwischen Sahra und mir." Es wird einen Moment ruhig, der Parteitag horcht auf, und Kipping erzählt, dass eine Genossin sie kürzlich besorgt gefragt habe: "Muss ich mich jetzt gegen eine Seite entscheiden?"
Die eine Seite, das ist Kipping, seit 2012 Parteivorsitzende der Linken, sie stellt sich an diesem Samstag zur Wiederwahl. Es wird ein schwieriger Gang, am Ende mit einem unerwartet schwachen Ergebnis. Die andere ist Sahra Wagenknecht, Fraktionsvorsitzende der Linken im Bundestag. Die beiden Spitzenfrauen der Linken geben sich seit Monaten keine Mühe mehr, die tiefe Kluft zu verbergen, die sie persönlich wie politisch trennt.
Parteitag in Leipzig:Kipping und Riexinger als Linken-Parteichefs wiedergewählt
Die Zustimmungswerte insbesondere für Kipping fallen jedoch dürftig aus. Die Partei stritt zuletzt heftig um den Kurs in der Flüchtlingspolitik.
Wagenknecht hat im Frühjahr in einem Interview freimütig bekannt, dass sie die Parteispitze für eine Fehlbesetzung hält, also Kipping und ihren Ko-Vorsitzenden Bernd Riexinger. Sie hat sich beschwert, dass von diesen beiden gegen die Fraktionsspitze im Bundestag gearbeitet würde - also gegen sie und ihren Ko-Vorsitzenden Dietmar Bartsch. Gespräche zwischen den beiden Frauen gibt es dem Vernehmen nach kaum noch, Versuche der Klärung sowieso nicht.
Aus der Partei wird berichtet, dass Wagenknecht zu den in jeder Partei üblichen Runden mit der Spitze zuletzt nicht mehr erschienen sei. Der Streit lähmt die Parteispitze, er bestimmt ihr Bild in der Öffentlichkeit. Die Basis möchte, dass es damit ein Ende hat, das haben viele Reden in der Generaldebatte am Freitagabend gezeigt - auch wenn die einen eher Wagenknecht verteidigten, andere dagegen den Parteivorstand und Kipping.
Kein persönlicher Machtkampf, sondern eine inhaltliche Klärung
Aber soll eine gewinnen? Kipping sagt, dass es darum nicht hier gehen könne, was damit zu tun haben dürfte, dass sie weiß, dass sie den Streit mit der in und vor allem außerhalb der Partei so beliebten Sahra Wagenknecht nicht endgültig gewinnen könnte. Sie schlägt einen vermittelnden Ton an und ruft aus: "Hier muss sich niemand für oder gegen eine Seite entscheiden. Wir sind alle Teil der Linken." Das gefällt vielen an der Basis, die in der Linken wie die Mitglieder jeder Partei keinen Zoff an der Spitze will, viele Genossen applaudieren.
Kipping beharrt stets darauf, dass es hier nicht um einen persönlichen Machtkampf gehe, sondern um eine inhaltliche Klärung, die dringend nötig sei. Seit Monaten ringt die Linkspartei um ihre in der Flüchtlingspolitik - und dieser grundsätzliche Konflikt berührt das Selbstverständnis der Partei. Wagenknecht hat gemeinsam mit ihrem Mann Oskar Lafontaine die bisherige Linie hinterfragt, in der sich die Linke für offene Grenzen ausspricht. Sie warnen, dass es durch die Migration eine zunehmende Konkurrenz um Arbeitsplätze und auch Wohnungen geben werde. Der Zugang zum Arbeitsmarkt in Deutschland solle begrenzt werden. Der Streit wurde selten in der Partei geführt, mehr über Interviews. Er hat die Basis aufgewühlt, Wagenknecht ist ein nationalistischer Kurs vorgeworfen worden.
Kipping und der Mit-Vorsitzende Riexinger warben weiter für offene Grenzen. Für den Parteitag bereiteten sie im Parteivorstand einen entsprechenden Leitantrag vor - mit einem Bekenntnis zu offenen Grenzen. Der wird am Samstag in Leipzig mit großer Mehrheit beschlossen. Diese Entscheidung kann man als klare Absage an die Position von Lafontaine und Wagenknecht verstehen. Die Partei will keine restriktivere Migrationspolitik. Darauf wird der Vorstand nun immer verweisen können, wenn wieder jemand quer schießt.
Ein richtig großer Triumph für Kipping und Riexinger wäre es freilich, wenn der Streit ausgetragen worden wäre, auf offener Bühne. Aber eine Debatte in der Partei fand vorher nicht statt, und auch nicht hier auf dem Parteitag. Wagenknecht meldet sich nicht zu Wort. Lafontaine hatte vorher sogar angekündigt, sowieso nicht nach Leipzig zu kommen. Er werde sich das Geschehen am Bildschirm ansehen, hieß es.
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Da dürfte er nun gesehen haben, wie Kipping ihn in ihrer Rede direkt angeht, gar nicht mehr so verbindlich: "Ich möchte an dieser Stelle auch ganz persönlich Oskar Lafontaine ansprechen", sagt sie. "Nach diesem Parteitag muss doch Schluss damit sein, dass die demokratische Beschlusslage in der Flüchtlingspolitik dieser Partei ständig öffentlich in Frage gestellt wird." Das erfordere, so Kipping, der Respekt vor dem Parteitag. Es sind Sätze, die Lafontaines Unterstützer als Angriff werten, als einen Angriff, den die Parteichefin sich hätte sparen sollen. Kipping spricht Lafontaine an, aber es ist klar, dass auch die Rivalin Wagenknecht gemeint ist.
Als am Nachmittag die Wahl der Parteivorsitzenden ansteht, wird Kipping aus dem Saal heraus auf diese Mahnung an Lafontaine angesprochen. Das sei ja nun wahrlich nicht vermittelnd gewesen. Sie antwortet, dass Beschlüsse der Partei nach ihrer Auffassung eben respektiert werden sollten. Sie wolle aber keinen weiteren Streit: "Ich werde nicht persönlich nachtreten." Sie sei wild entschlossen zu sagen: "Das ist jetzt vorbei."
Miese Resultate für Kipping und Riexinger
Dennoch bekommt sie bei der Wahl die Missstimmung eines Teils der Basis zu spüren. Bei der Wahl gibt es für sie und Riexinger keine Gegenkandidaten. Freilich dürfte allen im Saal bekannt sein, dass Wagenknecht sich sehr gewünscht hätte, dass es welche gäbe. Sie hätte gern andere Vorsitzende. Kipping wird mit nur 64,4 Prozent der Stimmen im Amt bestätigt, 350 Delegierte stimmen für sie, 157 sprechen sich gegen die Chefin aus. Es sind rund zehn Prozentpunkte weniger als beim letzten Mal. Riexinger erhält 73,78 Prozent der Stimmen, auch deutlich weniger als zuletzt.
Das miese Resultat dürfte für beide kein besonders überraschendes Ergebnis sein, nachdem die Querelen der letzten Monate die Partei gespalten hatten. Aber mit diesen Resultaten ist im Führungsstreit erst mal gar nichts gelöst. Viel wird davon abhängen, wie sich Wagenknecht verhält, die den Parteitag zunächst ohne auch nur eine Wortmeldung begleitet. Die Rede der Fraktionsvorsitzenden ist für den Sonntagvormittag vorgesehen.