Parteitag der Grünen:Auf dem Gipfel

Lesezeit: 3 min

"2011 wird spitze!": Mit erstaunlichen Umfragewerten im Rücken treffen sich die Grünen in Freiburg - und rätseln über die Konsequenzen des Erfolgs.

Michael Bauchmüller

Ob sich Erfolg beschließen lässt? Scheinbar schon. Wenn die Grünen am Sonntag ihren Parteitag überstanden haben, wenn sie ohne Blessuren übers Personal abgestimmt, sich über Energie, Gesundheit, kommunale Finanzen nicht zerstritten haben, dann bleibt nur noch Tagesordnungspunkt 13: "2011 wird spitze!" Nacheinander sollen dann die Spitzenkandidaten für die sechs Landtagswahlen im kommenden Jahr auflaufen. "Wir wollen uns nach einem intensiven Parteitag noch einmal ein gutes Gefühl gönnen, ehe wir nach Hause aufbrechen", sagt Steffi Lemke, die politische Geschäftsführerin der Partei. Man kann das auch anders sagen: 2011 soll endlich das Jahr der Ernte werden für die Grünen. Schon deshalb darf am Wochenende in Freiburg nichts schiefgehen.

An der Spitze der aufstrebenden grünen Partei (v.li.): Cem Özdemir, Claudia Roth, Renate Künast, Claudia Roth und der frühere Parteichef Reinhard Bütikofer (Foto: AP)

Geschlossenheit, Kontinuität, Seriosität sollen die Botschaften der Bundesdelegiertenkonferenz sein, wie ein Parteitag bei den Grünen offiziell heißt. Dabei hat schon das Motto der Zusammenkunft durchaus appellativen Charakter: "Auftrag: Grün". Andere in der Parteispitze hatten - in Anspielung auf den Slogan im Streit um Stuttgarts Tiefbahnhof - ursprünglich noch eine andere Idee: "Oben bleiben".

Auch das hätte als Motto durchaus gepasst. Denn Demoskopen bescheinigen den Grünen nach wie vor einen ungeahnten Zuspruch: In Baden-Württemberg liegen sie vier Monate vor der Landtagswahl knapp hinter der CDU und weit vor der SPD, in Berlin könnten sie sogar stärkste Partei werden - allerdings erst in einem Jahr. Gäbe es Wahlen im Bund, könnten die Grünen wahlweise mit 20 bis 23 Prozent rechnen, je nach Umfrage. Auf solche Sympathien trafen sie noch nie.

Auch die Mitgliederzahlen könnten in Kürze den bisherigen Rekord von 51.813 knacken. So viele grüne Parteibücher gab es in Deutschland zuletzt 1998, was allerdings zugleich ein Menetekel ist: Damals übernahm Rot-Grün die Macht im Bund - und viele Mitglieder traten aus.

Längst beschäftigen sich die Grünen mit ihrem Erfolg mindestens so sehr wie mit politischen Inhalten. Einerseits weiß niemand so richtig, woher der Zuspruch genau kommt und, wichtiger noch, wie lange er bleibt. Andererseits rätseln viele Grüne, welche Schlüsse sie denn ziehen sollen aus dem Erfolg. Weitere Öffnung? Oder knallhartes Profil? Die Kurssuche füllt in diesen Tagen viele Seiten Papier.

"Wir müssen keine Angst haben vor dem Anspruch, den man an eine Volkspartei stellt: politische Konzepte in allen wichtigen Politikfeldern vorzulegen und für alle Schichten der Gesellschaft wählbar zu sein", schrieb jüngst ein Grüppchen von Grünen-Parlamentariern aus dem Reformer-Flügel. Und eine Gruppe von Landespolitikern tritt dafür ein, "ehemals konservative Begrifflichkeiten wie Heimat, Wirtschaft oder Sicherheit zu besetzen und im Sinne eines neuen, modernen Mainstreams grün zu definieren". Dies solle helfen, ein "eigenständiges grünes Lager" herauszubilden.

30 Jahre Grüne
:Die Anti-Parteien-Partei

Sie waren ganz anders und außerdem gegen alles. Heute sind die Grünen und ihre Themen im Mainstream angekommen. Die Geschichte der Partei in Bildern.

Dagegen kommen vom linken Flügel Mahnungen, im Trubel der Umfragen nicht das Soziale zu vergessen. "Die strategische Antwort auf die Herausforderung einer 20-Prozent-Partei" sei die programmatische Schärfung, fordert ein Positionspapier überwiegend junger Grüner.

Dabei soll nichts in Freiburg den Eindruck erwecken, die Grünen beschäftigten sich nur mit sich und ihrem Erfolg. Vor allem wollen sie ihr Programm erweitern, etwa mit umfänglichen Anträgen zur Gesundheitspolitik und zur Finanzierung der Städte und Gemeinden. "Wir werden jedenfalls keine fliegenden Teppiche knüpfen", sagt Geschäftsführerin Lemke. "Und wir kommen auch nicht zusammen, um uns im Licht der Umfragen zu sonnen." Nein, ein Arbeitsparteitag soll es werden, ein Arbeitsparteitag der "Konzeptpartei", wie sich die Grünen neuerdings wieder gerne selber nennen.

Allein sechs Stunden lang werden sich etwa 800 Delegierte durch Antrittsreden und Kandidaturen kämpfen müssen, denn die komplette Führungsriege wird neu gewählt - oder besser: überwiegend bestätigt. Die beiden Parteichefs Cem Özdemir und Claudia Roth, seit 2008 das Führungsduo, werden erneut antreten, innerhalb der Partei sind sie unangefochten - und obendrein vertreten sie die beiden Lager der Grünen: Özdemir repräsentiert den Reformer-Flügel in der Spitze, Roth im nunmehr neunten Jahr den linken. Die beiden sind in den vergangenen zwei Jahren nicht beste Freunde geworden, kommen aber gut miteinander klar. Ein Führungswechsel? Das erscheint bei diesen Umfragewerten vielen Grünen zu riskant - so kurz vor dem Jahr der Ernte.

Auch um den 16-köpfigen Parteirat wird es wohl kaum Gerangel geben. Für das Gremium, gewissermaßen die Kreativ-Werkstatt der Grünen, haben sich genauso viel Männer und Frauen gemeldet, wie auch Plätze zur Wahl stehen. Änderungen soll es ohnehin nur auf zwei Positionen geben: Neben Max Löffler, bis vor kurzem noch Vorsitzender der Grünen Jugend, soll auch Tübingens Oberbürgermeister Boris Palmer einziehen, der derzeit viel Zeit mit der Verhinderung eines unterirdischen Bahnhofs in Stuttgart verbringt.

Bremens Umweltsenator Reinhard Loske und die Nachwuchshoffnung Arvid Bell scheiden aus - letzterer studiert derzeit an der Eliteuni Harvard. Einzig für die beiden Beisitzer des Bundesvorstandes gibt es Kampfkandidaturen - aber selbst hier haben die amtierenden Beisitzer, Astrid Rothe-Beinlich und Malte Spitz, vergleichsweise gute Chancen, im Amt zu bleiben.

So viel Eintracht - für die Grünen ist das ziemlich ungewöhnlich. "Schiefgehen kann so ein Parteitag immer", unkt schon einer in der Parteispitze, Erfahrungen mit unseligen Debatten haben die Grünen zuhauf. Aber nie konnten sie damit so viel riskieren. Und nie haben andere Parteien so darauf gewartet, dass die Grünen endlich einen Fehler begehen.

© SZ vom 19.11.2010 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: