Parteien:Zorn auf Migrationspolitik: CDU-Fraktion will Wende

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Sascha Binder, innenpolitischer Sprecher der SPD-Fraktion im Landtag von Baden-Württemberg. (Foto: Bernd Weißbrod/dpa/Archivbild)

Es rumort allerorten angesichts der Migrationspolitik. Auch im Südwesten wird Kritik manifest. Die CDU-Fraktion hält in zwölf Thesen fest, was anders laufen müsste und bringt eine Bundesratsinitiative ins Spiel. Das fände zum Beispiel auch der Gemeindetag gut.

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Stuttgart (dpa/lsw) - Überforderte Kommunen, überlastete Jugendämter, protestierende und genervte Bürger - angesichts der steigenden Zahl von Geflüchteten werden auch im Südwesten die Rufe nach einem Umdenken bei der Migrationspolitik immer lauter. In zwölf Thesen formuliert die baden-württembergische CDU-Landtagsfraktion Forderungen vor allem in Richtung Bund, um das Steuer herumzureißen. „Wir brauchen eine 180-Grad-Wende in der deutschen Migrationspolitik“, sagte CDU-Fraktionschef Manuel Hagel nach Worten eines Fraktionssprechers vom Mittwoch und brachte einen Bundesratsinitiative ins Spiel. Man wolle den grünen Koalitionspartner ins Boot holen, um eine solche Initiative der Landesregierung auf den Weg zu bringen.

Die für Migration zuständige Ministerin Marion Gentges (CDU) begrüßte den Vorstoß. „Seit über einem Jahr weisen wir auf die Entwicklung hin, die zu dem Punkt geführt hat, an dem wir jetzt stehen“, sagte sie der Deutschen Presse-Agentur. „Wir brauchen umsetzbare Maßnahmen, die die Zugangszahlen endlich wirkungsvoll begrenzen.“

Auch der Gemeindetag begrüßte den Vorstoß. „Baden-Württemberg muss beim Bund für Sofortmaßnahmen werben“, sagte der Chef des Gremiums, Steffen Jäger. „Es geht jetzt darum, das Vertrauen der Menschen zurückzugewinnen und die Akzeptanz für die Flüchtlingspolitik zu stabilisieren.“ Auch der FDP-Fraktionsvorsitzende Hans-Ulrich Rülke sicherte der CDU Unterstützung zu, sollten entsprechende Initiativen in den Landtag eingebracht werden. Kritik kam unter anderem von der SPD im Landtag und dem Flüchtlingsrat.

Die CDU kritisiert in dem Zwölf-Punkte-Papier etwa die Diskussionen rund um sichere Herkunftsstaaten. So müsse die Ampel-Bundesregierung endlich feststellen, dass es sich bei den Maghreb-Staaten Algerien, Marokko und Tunesien um asylrechtlich sichere Herkunftsländer handele. Grenzkontrollen müssten je nach Lage zeitweise wieder eingeführt werden. Über das Thesenpapier hatte zuvor der SWR berichtet.

„Wir müssen stets wissen, wer ins Land kommt und sich hier aufhält“, heißt es in dem Papier. Das betreffe mit Blick auf Baden-Württemberg vor allem die EU-Außengrenze zur Schweiz, aber auch innereuropäische Grenzkontrollen. Einmal abgeschobene Straftäter dürften nicht wieder einreisen. Außerdem sei es „ein unhaltbarer Zustand“, dass eine Abschiebung „ohne Weiteres“ verhindert werden könne durch einen Asylfolgeantrag mit aufschiebender Wirkung.

Reine Geldleistungen müssten gerade bei ausreisepflichtigen Personen und Folgeantragstellern vorrangig durch Sachleistungen in Höhe des absoluten Mindestbedarfs ersetzt werden. Dies könnte zum Beispiel teils mit Chipkarten gelingen, mit denen Lebensmittel und Dinge des täglichen Bedarfs gekauft werden könnten.

Auch der Zuzug aus der Ukraine sollte gebremst werden, ginge es nach der CDU. Ukrainischen Flüchtlinge sollten ab einem Stichtag nicht mehr direkt ins Bürgergeldsystem aufgenommen werden. „Wir müssen weitere Pull-Faktoren nach Deutschland unbedingt vermeiden“, formuliert es die Fraktion. Sie warnte die Ampel-Bundesregierung aus SPD, FDP und Grünen auch davor, andere Asylbewerber in den Genuss so hoher Sozialleistungen kommen zu lassen. „Außer der Bundesregierung merkt es doch jeder in unserem Land: Unser Land wird den aktuellen Zustrom nicht länger verkraften“, sagte Hagel. „Die Menschen wollen und können nicht mehr!“, betonte er.

„Die Menschen wollen keine weitere Migration mehr - das erkennt Manuel Hagel jetzt!“, spottete AfD-Fraktionschef Anton Baron. Allen voran die CDU habe die jetzige Situation verursacht. Die SPD-Fraktion nannte den Vorstoß ein reines Ablenkungsmanöver. Wer so tue, als könne sich Politik über Recht und Gesetz hinwegsetzen, in Terrorstaaten abschieben und Rechtsschutz übergehen und wer sich nicht um Zuständigkeiten von Bund und EU schere, zeige ein merkwürdiges Verständnis des Rechtsstaats.

Rufe nach einer schärferen Abschiebungspraxis waren zuletzt nach Ausschreitungen am Rande einer Eritrea-Veranstaltung in Stuttgart am vergangenen Samstag laut geworden. Dabei waren mindestens 31 Polizisten sowie mehrere Teilnehmer und Demonstranten verletzt worden. 228 mutmaßliche Krawallmacher waren zeitweise festgenommen worden, einer von ihnen wurde verhaftet. „Ich habe für alle Menschen, die drakonische Maßnahmen fordern, Verständnis“, hatte Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne) am Vortag gesagt. Aber man operiere nach Recht und Gesetz. Eine Verschärfung des Aufenthaltsrechts etwa hätte keine Konsequenzen, wenn man nicht in ein Land wie Eritrea abschieben könne.

Der Präsident des Landkreistags, Joachim Walter, forderte einen Richtungswechsel in der Migrationspolitik. „Denn die Landkreise, Städte und Gemeinden hierzulande sind mit ihren Aufnahme- und Integrationskapazitäten am Ende.“ Der Bundeskanzler müsse sich endlich für eine gerechtere Verteilung der Geflüchteten in der Europäischen Union einsetzen und dürfe nicht länger darauf vertrauen, dass sich die europäische Solidarität von selbst ergibt. Auch muss die Liste der sicheren Herkunftsstaaten rasch erweitert werden, etwa um die Maghreb-Staaten und auch um die Türkei.

Der Flüchtlingsrat Baden-Württemberg warf der CDU vor, die wirklichen Gründe für Flucht und Migration zu verkennen und Stimmung gegen geflüchtete Menschen zu schüren. „Die Vorschläge der CDU zeugen davon, dass sie offensichtlich immer noch dem Irrglauben aufsitzt, dass weniger geflüchtete Menschen nach Deutschland kommen, wenn die Aufnahmebedingungen nur abschreckend genug gestaltet würden“, sagte die Co-Geschäftsführerin des Vereins, Anja Bartel, der dpa.

Dagegen begrüßte die Deutsche Polizeigewerkschaft vor allem die Forderung nach Grenzkontrollen: „Wenn wir nicht ein System finden, dass die illegale Einreise verhindert, führt das zu einem ungewollten Rechtsruck in Deutschenland“, warnte deren Landesvorsitzender Ralf Kusterer. Selbst der dringend notwendige Schutz von Schutzsuchenden schwinde in der Bevölkerung, wenn die illegale Einreise nicht begrenzt werde. Der FDP-Fraktionsvorsitzende Hans-Ulrich Rülke sicherte der CDU die Unterstützung zu, sollten entsprechende Initiativen in den Landtag eingebracht werden.

© dpa-infocom, dpa:230920-99-268453/3

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