Oskar Lafontaine:Die Dampfmaschine

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Er ätzt, spuckt, lacht, beißt, keckert und beleidigt: Als gelernter Physiker weiß Oskar Lafontaine großen Druck aufzubauen - mit hohem Wirkungsgrad. Nach dem fulminanten Erfolg im Saarland stellt sich die Frage, ob er wieder ein tragfähiges Verhältnis zu den Sozialdemokraten herstellen kann.

Heribert Prantl

In Amerika sind Charismatiker jung und glatt und schön. In Deutschland sind sie schon älter, sie sind angefressen vom Zahn der Zeit, und sie kriegen beim Reden einen roten Kopf. Aber darauf kommt es nicht an, es kommt darauf an, wie einer redet und wie er die Leute packt. Oskar Lafontaine bannt sein Publikum, er lässt es lachen, stöhnen, applaudieren. Er redet sich in null Komma nichts von null auf hundert. Er verteidigt den Sozialstaat, beschwört die soziale Gerechtigkeit, attackiert den Finanzkapitalismus, redet Sinn und Unsinn.

"Die Linke etablieren und stabilisieren": Dieses Vorhaben erfordert eine beharrliche strategische Arbeitsweise, die man Oskar Lafontaine bisher nicht unbedingt zugetraut hat. (Foto: Foto: AP)

So gewann er einst seine Wähler als Chef der SPD, so gewinnt er sie als Chef der Linken, so gewann er aus dem Stand fast 22 Prozent im Saarland. Er ätzt, spuckt, lacht, beißt, keckert und beleidigt die Politiker seiner Generation, von denen er jetzt bald der letzte ist im Ring. Fast alle, die mit ihm einst in die Politik gegangen sind, sind schon abgetreten oder tun es gerade - die Strucks und Schröders, die Eichels, Wieczorek-Zeuls und die Clements.

Es ist die Generation, die einst von Willy Brandt erweckt, von Helmut Schmidt gebeutelt, von Hans-Jochen Vogel belehrt und von Johannes Rau vergeblich befriedet worden ist. Oskar Lafontaine ist übriggeblieben, im Exil der Linkspartei. Und er macht weiter - nicht nur, weil das Aufhören so schwer ist, nicht nur , weil er nicht mehr hören will, was er "früher" schon alles gewesen ist und er sich rehabilitieren muss, sondern weil er an eine historische Mission glaubt: Es ist die Wiedervereinigung der Linken. Das klingt vermessen, das ist vermessen; aber das treibt ihn an.

Charisma ist kein Tugendpreis, Charisma setzt sich nicht dem auf den Schoß, der am anständigsten ist. Vielleicht gehört ja auch die Vermessenheit zum Charisma und die Maßlosigkeit, wie sie einst Franz Josef Strauß eigen war. Altbundespräsident Roman Herzog hat vor einem knappen Jahr festgestellt, es gebe in der deutschen Politik nur noch einen einzigen Politiker, "den ich als Charismatiker bezeichnen würde".

Er meinte Lafontaine, die beiden Letzten vor ihm seien Brandt und Strauß gewesen. Der Wahlsonntag im Saarland hat das amtlich bestätigt: Ein anderer hätte nicht geschafft, was Lafontaine geschafft hat. Im Saarland ist nicht die "Linke", sondern "der Oskar" triumphal gewählt worden, der große Egomane mit dem Herzen für die kleinen Leute.

Das müsste der SPD die Tränen in die Augen treiben

Wenn man die knapp 22 Prozent, die Lafontaine gewonnen hat, zu den SPD-Prozenten addiert, dann ist die SPD wieder bei der absoluten Mehrheit, die sie einst im Saarland unter Lafontaine hatte. Und wenn man die Stimmen der Linken in anderen Bundesländern zu denen der SPD dazuzählt, ergibt sich daraus wieder eine Volkspartei. Das müsste der SPD die Tränen in die Augen treiben, aber stattdessen versucht sie, sich ihr Ergebnis schönzureden - so wie das auch die CDU tut, die das SPD-Fiasko derzeit noch ein Stockwerk höher, also nicht bei 25, sondern bei 35 Prozent erlebt.

Anderen Politikern versucht man Charisma vergeblich zuzuschreiben: Bei Müntefering etwa ist das kläglich schiefgegangen, niemand redet heute mehr, wie vor einem Jahr, vom "Kaiser Franz". Bei Lafontaine hat man versucht, das Charisma wegzuschreiben, es ist nicht geglückt. Jahrelang war er, nach seinem Rücktritt als SPD-Finanzminister und als SPD-Parteichef, der Buhmann der Nation. "Verräter" war das Synonym für Lafontaine. Wenn es um Lafontaine ging, taten ein paar Jahre lang auch ansonsten sachliche Nachrichten so, als seien sie Kommentare. Das war nicht sehr demokratisch - aber Lafontaine hat sich nun dagegen mit demokratischen Mitteln gewehrt: mit Erfolg bei den Wahlen. Der Saarland-Sonntag war der Höhepunkt der - wie man merkt - erfolgreichen Gegenwehr.

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Das Saarland ist Alpha, das Saarland ist Omega: Hier hat einst alles für ihn angefangen, hier kennt er jedes Haus und jeden Stein, hier war er 25 Jahre lang in Amt und Würden als Oberbürgermeister und Ministerpräsident, hier war er der Napoleon von der Saar. Hier hat er sich politisch habilitiert, und hier finden womöglich die Irrungen und Wirrungen des Oskar Lafontaine ihren Abschluss, hier ist er soeben fast wieder König geworden.

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Am rundesten wäre die Geschichte, wenn sich jetzt, nach diesem Wahlsonntag, der Kreis schlösse, wenn Lafontaine noch einmal das würde, was er schon einmal, über 13 Jahre lang, war: Ministerpräsident des Saarlandes. Ließe ihm die SPD im Saarland dieses Amt, dann könnte die Linke in Thüringen der SPD das Amt des Regierungschefs überlassen.

Ein solches Agreement wäre ein erster Schritt der zwei roten Parteien aufeinander zu, ein erster Schritt zur Beendigung des roten Schismas, ein Schritt hin zu einer gedeihlichen Zusammenarbeit der gespaltenen Linken. Aber so weit ist es noch nicht. Und Lafontaines Vita ist ja auch kein Kreis, der sich schließen ließe. Sein politisches Leben ist mitnichten rund; es besteht aus steilem Aufstieg, aus dem Fall ins schier Bodenlose - und aus einer Wiederauferstehung, die beispiellos ist in der Geschichte der Bundesrepublik.

Der bayerische Sozialdemokrat Ludwig Stiegler hat Lafontaine einen "Luzifer" genannt. Das ist ein waghalsiger, aber mythologisch lohnender Vergleich: Luzifer war der erste aller Engel, derjenige, dessen Glanz alle anderen Engel überstrahlte, der aber dann in die Unterwelt gestürzt wurde. Luzifer bedeutet wörtlich übersetzt "Lichtbringer". Das beschreibt die Rolle Lafontaines in der SPD in den Jahren 1995 bis 1998 ganz gut. Dann wurde binnen weniger Jahre, die zu den merkwürdigsten in der Parteigeschichte der deutschen Demokratie gehören, aus dem Lichtträger der Sozialdemokraten ihr Diabolus. Spannend ist der Luzifer-Lafontaine-Vergleich auch deswegen, weil Ersterer nach der verlorenen Schlacht im Himmel seine Anhänger, und es war immerhin ein Drittel der Engel, mit sich nahm.

Peter Gauweiler von der CSU, der sich mit Lafontaine in der Zeit, in der diesem öffentliche Verachtung entgegenschlug, eine Bild-Kolumne teilte, hat ihn vor einem Jahr, zum 65. Geburtstag, mit dem jungen Faust verglichen - wohl des schönen Zitats aus der Nachtszene wegen, in dem Faust "schier das Herz verbrennen" will, weil er sich mit den Dingen nicht abfinden kann, so wie sie sind. Indes: Wenn schon Goethe, dann passt der "Götz von Berlichingen", der sich zum Hauptmann der aufständischen Bauern machen ließ, viel besser zu Lafontaine als der Faust; zumal das berühmte Götz-Zitat aus dem dritten Aufzug beschreibt die Stimmung Lafontaines gegen Schröder im März 1999 ziemlich gut: "Er aber, sag's ihm, er kann mich ..." Die Szene endet mit dem Vermerk: Götz schmeißt das Fenster zu ... Das Fenster zwischen Lafontaine und der SPD ist verschlossen geblieben.

Lafontaines agitatorisch-rhetorische Fähigkeiten sind nun ausgereizt. Jetzt sind seine anderen Fähigkeiten gefragt. Er will, sagte er am Montag der SZ, jetzt "die Linke etablieren und stabilisieren". Das erfordert beharrliche strategische und taktische Arbeit, die man ihm nicht unbedingt zutraut. Das war schon 1995 so, als er, im Ruf eines Bonvivant stehend, sich nach dem Sturz Scharpings an die Arbeit machte. Derweil die damaligen Konkurrenten, Gerhard Schröder zum Beispiel, Spektakel machten, organisierte er den Laden neu, stärkte ihn nach innen und außen. Und es war für einige Zeit so, als habe er, der sich gern über Sekundärtugenden lustig gemacht hatte, sich diese auf einmal anerzogen. Er machte aus der SPD eine felsenharte Opposition, er warf sich der Regierung Kohl im Bundesrat so brachial entgegen, dass dies ganz lange nachwirkte.

Mangelnde Selbstbeherrschung

Der Mann, der die SPD in einer strategischen Glanzleistung wiederbelebt hatte, machte sein Werk dann zu Beginn der Regierung Schröder binnen weniger Monate zunichte - aus Wut und Zorn über die Wirtschafts- und Sozialpolitik des Kanzlers, aus Konkurrenzneid gegen Schröder, aus mangelnder Selbstbeherrschung. Dass er nicht nur das Amt des Finanzministers, sondern auch das des Parteivorsitzenden hinwarf ("wie einen Putzlumpen", klagten seine Freunde von einst), gibt bis heute Rätsel auf. Immerhin klebte er, was ihm mittlerweile wieder ein paar Leute zugute halten, nicht an seinem Sessel und an den Annehmlichkeiten, die politische Spitzenämter bereithalten.

Lafontaine hatte einen kapitalen Fehler gemacht, als er sich als Parteichef ins Kabinett Schröder einbinden ließ - das führte im März 1999 zu seinem trotzig-autoaggressiven Akt, von dem sich die Partei bis heute nicht richtig erholt hat. Lafontaine hatte die SPD zu einem gewaltigen Ballon aufgepumpt, der Schröder zum Sieg getragen hat. Auf einmal lag der Ballon wie eine mickrige Hülle in der Ecke. Bis heute ist er nicht mehr richtig aufgepumpt worden. Lafontaine pumpt heute anderswo.

Die 1999 verlorene Selbstbeherrschung musste er in den Jahren nach 1999 schier im Übermaß aufbringen - als er vom Patron zum Paria der SPD geworden war, im Mai 2005 nach 39 Jahren Mitgliedschaft aus der SPD austrat und sich dann die Anti-Agenda-Partei WASG nach seinem Bilde formte. Das war, nach der Renovierung der SPD in den Jahren 1995ff, die zweite strategische Meisterleistung Oskar Lafontaines: Er führte die WASG zur Kooperation mit der PDS, schmiedete ein Linksbündnis - aus dem in kurzer Zeit eine Linkspartei wurde.

Lafontaine ist ein politischer James Watt: James Watt hat die Dampfmaschine erfunden, die bekanntlich so funktioniert, dass in einem Kessel Dampf erzeugt wird, der auf Kolben und Schwungräder übertragen wird. Die Erzeugung des Dampfs im Kessel gehört noch zur Abteilung Spektakel, das Lafontaine perfekt beherrscht. Die eigentliche Ingenieurleistung - Lafontaine ist gelernter Physiker - beginnt mit der effektiven Nutzung des erzeugten Drucks: Es muss gelingen, mit diesem Druck zu arbeiten, einen hohen Wirkungsgrad zu erzielen und die Massenkräfte, die bei dem Hin und Her der Kolben auftreten, unter Kontrolle zu halten. Das gelang Lafontaine einst bei der SPD, das gelang ihm auch bei der Linkspartei. Aber bislang ist der Erfolg, den Lafontaine mit der Linkspartei hat, nur die Wiederholung der Erfolge, die er mit der SPD hatte - nur im kleineren Format. Das alles ist außergewöhnlich und spektakulär. Das alles macht Lafontaine zu einem der ungewöhnlichsten deutschen Politiker der Nachkriegsgeschichte - aber nicht wirklich zu einer historischen Figur.

Die zwei Meisterleistungen würden zum historischen Dreiklang durch eine dritte: durch die Wiederannäherung der heute gespaltenen Linken. Die Spaltung gehört zu den großen Traumata der Sozialdemokratie. Es ist ein Trauma, das im Jahr 1917 begann, als im Streit über die Kriegspolitik, die von der Mehrheits-SPD mitgetragen wurde, die USPD, die Unabhängige Sozialdemokratische Partei, sich von ihr lossagte und als linke Alternative zur SPD schnell zur zweiten Massenpartei des Sozialismus wurde. Die zwei Seelen der deutschen Arbeiterbewegung hatten sich unterschiedliche politische Körper gesucht. Ähnlich ist es heute.

Zu Zeiten der Regierung Brandt hat das Motto "Wandel durch Annäherung" enorme politische Kraft in der Ostpolitik entfalten können. Einen solchen Wandel durch Annäherung brauchen heute die zwei linken Parteien. Anders gibt es weder für die SPD noch für die Linke eine goldene Zukunft.

"Zu lange", sagte Lafontaine, "haben wir nun das Lächeln der anderen ertragen müssen." Er rief das damals, vor 14 Jahren, als Kampfansage an den politischen Gegner in den Saal. Und dann folgte eine Warnung: "Zieht euch warm an, wir kommen wieder." Das war beim berühmten SPD-Parteitag in Mannheim. Die SPD ist tatsächlich wiedergekommen - und dann wieder verfallen. Nun ist Oskar Lafontaine noch einmal wiedergekommen. Ob das der SPD auch noch einmal gelingt?

© SZ vom 01.09.2009 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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