Tunesien:"Wäre Prophet Mohammed noch am Leben, würde er kein Schaf kaufen"

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Ein Händler wartet im Schafmarkt von Kuwait-Stadt auf Kunden, die ein Opfertier für Eid ul-Adha kaufen wollen. (Foto: Yasser al-Zayyat/AFP)

An diesem Wochenende beginnt in der arabischen Welt das Opferfest. Der soziale Druck auf Familien, ein Schaf zu schlachten, ist hoch. Doch das Ritual ist nicht mehr unumstritten. Junge Leute kritisieren die Tradition.

Von Mirco Keilberth, Tunis

Weltweit feiern Muslime an diesem Wochenende Eid ul-Adha, das höchste islamische Fest im ganzen Jahr. Die Familie trifft sich, verbindet einem Schaf die Augen, richtet es gen Mekka aus, und der älteste Mann schneidet dem Schaf die Kehle durch. Die Schlachtung soll an den Propheten Abraham erinnern, der laut Koran bereit war, seinen Sohn zu töten, als Gott dies von ihm verlangte, um zu prüfen, wen Abraham mehr liebt. Auch Bibel und Tora erzählen von dieser Prüfung des Gottvertrauens, bei der Gott zum guten Ende ein Schaf sendet und so den Sohn rettet. Wenn also die Familien in uralter Tradition das Fleisch des geopferten Schafes servieren, es mit Nachbarn und Freunden teilen, dann ehren sie damit Abraham, den Urvater aller drei monotheistischen Religionen.

In Sidi Hassine, einem Vorort von Tunis, haben fliegende Händler wie in vielen anderen Städten auch seit Wochen Tausende Schafe herangeschafft. Das laute Blöken der verängstigten Tiere ist vor allem in den randständigen Armenvierteln der Stadt gut zu hören. Die Käufer kommen mit dem Auto, laden die Tiere ein und bringen sie nach Hause, wo sie bis zur Schlachtung in Hinterhöfen, Gärten oder in der Wohnung gehalten werden. Der soziale Druck auf die Familien, sich ein Schaf und die Festlichkeit zu leisten, ist groß. Das lädt die drei Tage, während derer in der arabischen Welt das öffentliche Leben zum Erliegen kommt, mit Freude, aber auch mit Spannung auf.

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Doch in diesem Jahr ist es stiller um Eid ul-Adha als sonst. Viele Familien können kein Opfertier bezahlen. Die Preise für Schafe und andere Lebensmittel sind exorbitant gestiegen und auf dem staubigen Markt in Sidi Hassine das Hauptgesprächsthema. 1000 tunesische Dinar, rund 320 Euro, kostet ein Tier, 20 Prozent mehr als im letzten Jahr. "Gemüse und Mehl haben ähnlich im Preis angezogen, das leert unsere Familienkassen bereits in der Mitte jeden Monats", klagt Mohamed Kourda.

Der Agraringenieur streift am Freitagvormittag bei über 40 Grad mit seinen beiden Söhnen über den Marktplatz. Er hat auf Preissenkungen am letzten Tag vor Festbeginn gehofft, doch auch heute sind die Händler dazu nicht bereit. Kourdas Budget ist bei seinen Einkäufen für die Festtage stärker geschrumpft als erwartet, jetzt überlegt er, ob es wirklich ein lebendes Schaf sein muss oder er Schaffleisch vom Metzger kauft. Er entschließt sich für die günstigere Variante. "Der Ukraine-Krieg und die Wirtschaftskrise nach der Corona-Pandemie haben unser Leben extrem verteuert, nun ist Verzicht angesagt", sagt er resigniert.

Die Studentin Ons Nejri nennt das Fest ein "Massaker"

Billig ist es beim Metzger allerdings auch nicht. Ein Kilo Lammfleisch kostet je nach Region zwischen 4, 50 Euro und neun Euro oder noch mehr. Bei einem monatlichen Familieneinkommen von 500 Euro sind das schmerzhafte Preise. Bei den Kourdas kommt seit diesem Frühjahr nur noch einmal die Woche Fleisch auf den Tisch.

Aber es ist nicht nur die Not, die an der Tradition des Opferfestes nagt. Es ist auch die sich wandelnde Einstellung zu den Ritualen, vor allem bei jungen Leuten. "Nach den Feiertagen werfen viele die blutigen Felle und andere Reste der Tiere einfach auf die Straße. Dieses alljährliche Massaker traumatisiert mich seit meiner Kindheit," sagt Ons Nejri, eine Medizinstudentin aus Tunis. Die 22-Jährige hat wie viele ihrer Freunde ein gespaltenes Verhältnis zu den Feiertagen. "Ja, ich freue mich darauf, die gesamte Familie zu treffen. Aber neben der unnötigen Schlachtung vor den Augen der Kinder nervt mich der Krach zwischen den Generationen über unsere unterschiedlichen Lebensmodelle."

Während das Schlachten der Schafe in konservativen Medien und Gesellschaftsbereichen als unantastbarer Bestandteil der Festlichkeiten gilt, offenbaren die hitzigen Diskussionen in sozialen Medien, wie kritisch junge Araber seit dem arabischen Frühling von 2011 die Traditionen infrage stellen. "Wäre Prophet Mohammed noch am Leben, würde er kein Schaf kaufen, es drei Tage in ein Dreizimmer-Apartment stellen und vor den Kindern schlachten, die die ganze Zeit mit dem Tier verbracht haben", erklärt der Künstler Yesr Jradi aus Tunis und erinnert daran, dass der Prophet ein sensibler Mann war, der "von harmonischem Zusammenleben" sprach.

Wie die Kritik der Jungen an Eid ul-Adha die Festtage verändert, ist schwer zu sagen. Einen Hinweis geben immerhin die Reisebüros in Tunis, Kairo oder Beirut: Dort sind vor dem Opferfest die Flüge ins Ausland ausgebucht, viele suchen offenbar das Weite. "An Eid kann man die größer werdende Spaltung unserer Gesellschaft beobachten", sagt der Reiseagent Mohamed Madhkour aus Tunis. "Wer Geld hat, verbringt die Tage außerhalb der Stadt oder im Ausland, ganz nach persönlichem Geschmack." In den Armenvierteln dagegen sei trotz der krisenbedingt noch gewachsenen wirtschaftlichen Not der soziale Druck am Opferfest nach wie vor "allgegenwärtig und brutal", so Madhkour. Viele würden für Eid ul-Adha ihr letztes Geld hergeben.

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