Nordrhein-Westfalen:Das Avocado-Experiment

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Wird das die neue Regierungskoalition? Hendrik Wüst (CDU), Ministerpräsident von Nordrhein-Westfalen, und Mona Neubaur, Spitzenkandidatin und Landesvorsitzende der NRW-Grünen. (Foto: Rolf Vennenbernd/dpa)

Außen schwarz, innen grün: Erstmals wollen CDU und Grüne in Nordrhein-Westfalen miteinander regieren. Doch was sagen ihre Wähler dazu? Der Wahlkompass der Uni Münster zeigt mögliche Brücken und Gräben.

Von Christian Wernicke, Düsseldorf

Nordrhein-Westfalen erlebt ein Experiment: Zum ersten Mal wollen CDU und Grüne, die beiden Wahlsieger vom vorigen Sonntag, in Düsseldorf eine gemeinsame Koalition wagen. Eine ganz neue Farbkombination, denn bisher gehorchte die Politik zwischen Rhein und Weser striktem Lagerdenken: Seit fast drei Jahrzehnten regierte entweder Rot-Grün oder Schwarz-Gelb.

Am Mittwoch trafen sich die Unterhändler von CDU und Grünen, um die Saat zu legen für das, was Jan Philipp Thomeczek schmunzelnd "die Avocado-Koalition" nennt: außen schwarz, innen grün sei die reife Frucht - jedenfalls die populäre Avocadosorte des US-Züchters Rudolph Hass. Thomeczek ist Projektleiter beim NRW-Wahlkompass der Uni Münster. Für den Kompass haben Politikwissenschaftler anhand von 30 Thesen nicht nur die Positionen der Parteien vermessen. Sie wissen auch dank einer freiwilligen "Datenspende" von über eintausend CDU- und Grünen-Wählern, welche konkreten politischen Lösungen die Anhänger der beiden Parteien vor ihrer Stimmabgabe von einer künftigen Regierung erwarteten.

Die schwarz-grüne "Wählerwolke" zeigt: Die Befragten neigen mehr zur Mitte als die Parteien selbst. Im politischen Koordinatensystem steht das grüne Programm eher links (pro Umverteilung) und - wenig überraschend - weit oben (progressiv-ökologisch). Das CDU-Parteisignet liegt derweil weiter rechts (pro Eigenverantwortung) und unten (konservativ). Die meisten CDU-nahen Nutzer des Wahlkompass' verorten sich selbst ähnlich. Mehr Überlagerungen von grünen und schwarzen Wählern gibt es derweil entlang der Links-Rechts-Achse, was bedeutet: In puncto kostenloser Kinderbetreuung oder sozialem Wohnungsbau sind beide Lager sich näher als beim Gendersternchen oder Wahlalter.

Wo also lassen sich aus der Sicht der Wähler Brücken bauen - und wo lauern die alten, tiefen Gräben? Hinweise geben die Reaktionen der Wahlkompass-Nutzer auf einzelne Thesen (rechte Grafik). Erstaunlich kompromissbereit scheinen CDU-Wähler beim Ausbau der erneuerbaren Energien zu sein: Fast die Hälfte bekennender CDU-Anhänger (44 Prozent) befürwortet einen Abschied von der bisherigen Mindestabstandsregel für Windräder (1000 Meter abseits jeder Wohnbebauung). Die CDU selbst lehnt dies bisher ab. Die Grünen und ihre Wähler betrachten diese schwarz-gelbe Norm hingegen als massives Hindernis für eine Energiewende.

Schimmert da ein schwarz-grüner Wählerkonsens durch? Norbert Kersting, Professor für Politikwissenschaften an der Uni Münster, deutet den frischen Wind unter CDU-Freunden als Folge des Ukraine-Konflikts. "Putins Krieg scheint viele Bürger zu öffnen für den Bau von mehr Windrädern oder Solarzellen", sagt er. Allerdings warnt Kersting, dass etliche Stammwähler in CDU-Hochburgen wie dem Münster- oder Sauerland weiter skeptisch seien: "Und da würden die Rotoren stehen." Politisch machbarer wäre wohl ein schwarz-grünes Gesetz, das in NRW auf Neubauten Photovoltaik-Anlagen vorschreibt. Das gefällt den Wählern mehrheitlich, ob bei der CDU (60 Prozent) oder den Grünen (88).

Grünenwähler sind zuweilen konservativer als ihre Partei

Als "Brückenköpfe" für einen Avocado-Konsens bieten sich überraschenderweise auch Themen der Ausländerpolitik und inneren Sicherheit an. Da bewegt sich was im grünen Lager. Immerhin 58 Prozent aller selbsterklärten grünen Nutzer des Wahlkompass' stimmen der These zu, straffällige Ausländer sollten "leichter abgeschoben werden können." Ihre Partei jedoch lehnt das strikt ab. Christdemokraten sind klar dafür, im Programm ebenso wie in der Wählerschaft (92 Prozent). Ginge es nach den Bürgern, würde sich in diesem Punkt am Kurs der bisherigen Regierung also eher wenig ändern.

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Eine Neigung zum Konsens ist auch bei der Bewaffnung der NRW-Polizei zu erkennen: Die Grünen hatten den Einsatz von "Tasern" wiederholt kritisiert - aber 44 Prozent ihrer Wähler befürworten den Einsatz der Elektroschockpistolen (29 Prozent lehnen dies ab). CDU-Innenminister Herbert Reul hatte die Waffe auf Drängen seiner Partei eingeführt, und 78 Prozent der CDU-Wähler finden dies richtig.

Aber die beiden Düsseldorfer Möchte-gern-Koalitionäre erwarten auch Konflikte. Auf etliche Fragen geben ihre Wähler Antworten, die das alte Lagerdenken widerspiegeln. Eines dieser laut Norbert Kersting "toxischen Themen" ist die grüne Forderung, allen Innenstädten "Tempo 30" als Regelgeschwindigkeit zu verordnen. Das verlangen zwar etwa drei von vier grünen Wählern (72 Prozent), aber zwei Drittel aller CDU-Anhänger wollen nicht derartig scharf auf die Bremse treten. Ein ähnliches Meinungsbild offenbart der Blick in die Parteiprogramme: Die CDU stimmt nicht zu, die Grünen umso entschiedener.

Grüne und Christdemokraten eint inzwischen eine Art "bürgerlicher Grundkonsens." Das belegen auch Daten aus dem Wahlkompass: 83 Prozent der CDU-Anhänger und 82 Prozent der Grünen-Sympathisanten fordern, das Land solle grundsätzlich keine Schulden machen und "einen ausgeglichenen Haushalt anstreben".

Die Mietpreisfrage scheidet die Geister dann wieder

Aber bei konkreteren Fragen endet schnell die Gemeinsamkeit. Die schwarz-gelbe Regierung hatte zuletzt die Zahl der NRW-Städte, in denen eine "Mietpreis-Bremse " einkommensschwache Bürger schützt, drastisch verringert. Die Grünen wollen das ändern und ihre Wähler auch: 65 Prozent der Anhänger lehnen den Satz ab, ein privater Vermieter solle "die Höhe der Miete selbst festlegen dürfen." Ganz anders die Meinung bei der CDU: Deren Wähler stimmen mehrheitlich zu, während ihre Partei sich eher neutral gibt.

Gift für die Koalitionsverhandlungen ist schließlich auch ein Generationenkonflikt - das Wahlalter. Die CDU, die ihren Sieg am Sonntag vor allem Wählern über 60 Jahren verdankte, will das Mindestwahlalter bei 18 Jahren belassen. Drei Viertel ihrer Anhänger finden das richtig. Die Grünen und auch 68 Prozent ihrer Wähler, verlangen dagegen mehr Macht für die Jugend und ein Wahlrecht ab 16. Am liebsten schon bei der nächsten Landtagswahl 2027.

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