SPD:Weit weg vom Sonnendeck

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Die sonnigen Zeiten der Bundestagswahl sind für die SPD mit dem enttäuschenden Ergebnis in Nordrhein-Westfalen schon wieder vorbei. (Foto: Ina Fassbender/AFP)

Nach der Wahlschlappe in NRW hat die SPD das Gefühl, wie schon in der großen Koalition nicht von ihren guten Taten zu profitieren. Ihre Sozialpolitik droht zu verpuffen.

Von Mike Szymanski, Berlin

Für einen Augenblick hörte sich SPD-Chef Lars Klingbeil nach der Wahlniederlage in Nordrhein-Westfalen so an, als sei seine Partei im Bund immer noch Teil der großen Koalition. Es fiel nämlich ein Satz, der seitens der Sozialdemokraten regelmäßig bemüht wurde, wenn in Zeiten von Schwarz-Rot unter Angela Merkel der Koalitionspartner, die Union, wahlweise in Umfragen oder Wahlen Erfolge verbuchen konnte, die SPD aber wieder einmal einen Durchhänger hatte. Oft hieß es dann aus Parteizentrale und Fraktion, die SPD müsse jetzt unbedingt das von ihr Erreichte stärker zur Schau stellen, dann werde die Lage schnell besser.

Am Montag, nachdem sich die Parteiführung mit den Wahlanalysen beschäftigt hatte, die Erklärungen für das enttäuschende Ergebnis in Nordrhein-Westfalen liefern sollten, sagte Klingbeil: Es gehe jetzt darum, "dass wir das, was wir Gutes tun, auch stärker kommunizieren".

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Das Wahlforschungsinstitut Infratest Dimap hatte abgefragt, welches Thema in NRW für die Wahlentscheidung die größte Rolle gespielt habe. Heraus kam: Die steigenden Lebenshaltungskosten standen ganz oben auf der Liste, sogar noch weit vor dem Krieg in der Ukraine. Klingbeil räumte ein: "Es sind gar nicht die Themen gewesen, die wir in der Berliner Politik diskutiert haben." Seiner Meinung nach sei in Berlin "zu viel über Waffen und zu wenig über gestiegene Lebenshaltungskosten" geredet worden.

Nun ist es so, dass die SPD, die das Ampelbündnis unter Kanzler Olaf Scholz anführt, etwa gegen steigende Sprit- und Strompreise durchaus etwas unternimmt. Die Bundesregierung hat Entlastungspakete mit einem Gesamtvolumen von mehr als 30 Milliarden Euro auf den Weg gebracht.

Umfrage: Die Bundesregierung wirke "zögerlich und unentschlossen"

Sie gewähren Heizkostenzuschüsse und Einmalzahlungen für Bürger mit niedrigem Einkommen. Für Kinder gibt es Sonderzahlungen, ein Energiegeld von 300 Euro soll ausbezahlt werden, nur nicht an Rentner. Die können im Juli mit einer ordentlichen Rentenerhöhung rechnen. Der öffentliche Nahverkehr soll drei Monate lang besonders günstig genutzt werden können. Aber, so der Befund von Klingbeil, in den Talkshows sei stattdessen über allerlei Waffensysteme "im Detail" debattiert worden.

Fast 60 Prozent der Befragten in Nordrhein-Westfalen hatten außerdem angegeben, dass die Bundesregierung auf sie insgesamt "zögerlich und unentschlossen" wirke. Dafür mag einerseits Scholz' Zurückhaltung bei Waffenlieferungen an die Ukraine eine Rolle spielen. SPD-Spitzenkandidat in NRW, Thomas Kutschaty, räumte aber auch ein, dass die Leute schon die ersten Rechnungen zu begleichen haben, bevor das versprochene Geld überhaupt auf den Konten eingeht.

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Die SPD - und das hat Klingbeil erkannt - läuft Gefahr, nach dem Erfolg bei der Bundestagswahl an Glaubwürdigkeit einzubüßen. Damals hatte sie noch mit dem Slogan "Soziale Politik für Dich" geworben, und Scholz als Kanzlerkandidat hatte als Beispiel dafür die Erhöhung des Mindestlohns auf wenigstens zwölf Euro versprochen. Im Herbst soll es so weit sein. Das Problem ist nur: Die Lebenshaltungskosten steigen so rasant, dass der erhoffte Effekt, die wirtschaftliche Lage vieler Bürger spürbar zu verbessern, verpuffen könnte.

Der Krieg in der Ukraine hat die ursprünglichen Pläne der Ampelregierung für die nächsten Jahre durcheinandergewirbelt. Die SPD wollte Milliarden in die Sozialpolitik investieren. Ein neues Bürgergeld soll die Hartz-IV-Leistungen ablösen, die Kindergrundsicherung soll kommen. "Alles Projekte, die nicht wackeln", so verspricht es Klingbeil. Als sich die Ampelpartner darauf verständigten, gab es aber noch keinen Krieg in der Ukraine. Im Moment ringen Ampelkoalition und Opposition, in einem Sondervermögen der Bundeswehr zusätzliche 100 Milliarden Euro zur Verfügung zu stellen. Dafür sollen Schulden aufgenommen werden, um eben andere Projekte nicht zu gefährden. Das zeigt aber, dass die Regierungsarbeit neue Schwerpunkte bekommen hat.

Oben winken die Grünen, unten schwitzt die SPD im Maschinenraum

In der großen Koalition bis 2021 war es so, dass die SPD ihre Erfolge - die sie zweifelsohne hatte - kaum ausspielen konnte. Die Erinnerung macht die Parteiführung nervös. Damals nahm so viel sozialdemokratische Politik Gestalt an wie lange nicht mehr: das Gute-Kita-Gesetz etwa, das Rückkehrrecht in Vollzeit, die Parität bei den Kassenbeiträgen. Aber in der Wählergunst zahlte es bei den Sozialdemokraten oftmals bei Wahlen einfach nicht ein. Mal überlagerte heftiger großkoalitionärer Streit etwa in Asylfragen die Alltagsarbeit. Niemand redete mehr über die Projekte der SPD. Und allzu oft war die SPD nicht mit dem zufrieden, was sie erreicht hatte und redete die Erfolge im Moment der Umsetzung schon wieder klein.

Besonders bitter war es, wenn Kanzlerin Angela Merkel von der Politik profitierte, für die sich die SPD eingesetzt hatte. In einer frühen Phase des großkoalitionären Miteinanders, 2006, fiel ein Satz, der die Leiden der SPD auch viele Jahre später noch beschrieb: Hubertus Heil, immer noch Arbeitsminister und damals Generalsekretär der SPD, sagte: "Wir wollen keine Koalition, wo die SPD mit harten Themen im Maschinenraum schwitzt, die Union dagegen vom Sonnendeck winkt."

Falls es in der Ampel ein Sonnendeck geben sollte, dann wären es derzeit wohl die Grünen, die Grund hätten, davon zu winken. Sie kommen nicht einmal ins Schwitzen, obwohl sie sich im Zuge des Ukraine-Krieges von etlichen friedenspolitischen Grundsätzen verabschiedet haben. Die SPD stellt jetzt den Kanzler. Für sie fühlt sich das Regierungsgeschäft schon wieder schwer nach Maschinenraum an.

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