Novemberrevolution 1918:Die Feuer des Aufstands

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Berlin im November 1918: Nach der Revolution übergeben Soldaten der Garde-Ulanen ihre Kaserne den Mitgliedern des Arbeiter- und Soldatenrates. Aus der Menge ragt ein Schild: "Brüder nicht schießen". (Foto: Süddeutsche Zeitung Photo)

Der Erste Weltkrieg ist verloren - als Matrosen und Soldaten rebellieren, ist es binnen weniger Tage um das Kaiserreich geschehen. Rückschau auf die dramatischen Ereignisse.

Von Robert Probst

Der Erste Weltkrieg beginnt auf einem Balkon des Berliner Schlosses - und genau dort wird der preußische Militarismus auch zu Grabe getragen. Karl Liebknecht, Kriegsgegner der ersten Stunde, versehen mit dem Nimbus des eben erst aus der Kerkerhaft befreiten Revolutionsführers, weiß um die Symbolkraft dieses Ortes. Am 9. November 1918 tritt er auf einen Balkon des - schon weitgehend verwaisten - Stadtschlosses hinaus, erklärt die Hohenzollern-Herrschaft für beendet, verkündet die freie sozialistische Republik. Und ruft auf zur Weltrevolution.

Er tut dies an dem Ort, wo der Kaiser im Sommer 1914 aus Liebknechts Sicht seine beiden großen Lügen-Reden gehalten hat. Viele aus der Menschenmenge können sich an diesem nasskalten Novembernachmittag daran erinnern.

Am 31. Juli 1914 hat Wilhelm II. vom Balkon des Rittersaals dem Volk angekündigt: "Neider überall zwingen uns zu gerechter Verteidigung. Man drückt uns das Schwert in die Hand." Am 1. August sprach er vom westlichen Lustgartenportal herab: "Wenn es zum Kampfe kommt, hört jede Partei auf. Wir sind nur noch deutsche Brüder."

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Ein Verteidigungskrieg also wird den Deutschen 1914 aufgezwungen, den sie in innerer Einigkeit bestehen müssen. Hurra!, schreit das ganze Land. Vor allem die zweite Rede hören die Sozialdemokraten, lange als "vaterlandslose Gesellen" geschmäht, damals gern. Seit der Gründung des Kaiserreichs haben sie auf ihre Chance gewartet.

Dieses Reich von 1871, entstanden nach dem Sieg über den französischen "Erbfeind", hat einen riesigen Modernisierungsschub zu bewältigen. Durch die Hochindustrialisierung entstehen neue soziale Gruppen - Angestellte, Facharbeiter, Fabrikarbeiter-, drängen Heerscharen in die Städte, erstarkt die Arbeiterbewegung, wächst die Macht der industriellen Eliten und gerät der adlig-großbürgerliche Wertekanon ins Wanken.

Mit diesem radikalen ökonomischen und sozialen Wandel hält der politische Wandel in keiner Weise Schritt - die autoritären Machteliten tun im Gegenteil alles Erdenkliche, um diesen so lange wie möglich zu verhindern.

Mit aller Macht halten Fürsten, Adlige, Großbürger, ostelbische Großgrundbesitzer und die neuen Stahlbarone an ihren althergebrachten Privilegien fest. Die Notwendigkeiten eines modernen Staates - Teilhabe, Mitbestimmung, Aufhebung des Dreiklassenwahlrechts in Preußen, Aufhebung rechtlicher Diskriminierung ganzer Gesellschaftsgruppen - ist ihnen ein Gräuel.

Doch spätestens seit Kriegsbeginn ist klar: Die Monarchie wird einen hohen Preis zahlen müssen für die Aufrechterhaltung der inneren Einheit. Die SPD macht sich jetzt große Hoffnungen. Immerhin stellt sie seit 1912 die stärkste Fraktion im Reichstag. Man redet zwar noch viel und ausdauernd von der Revolution, aber die Vertreter eines alltagstauglichen Reformismus sind schon in der Mehrheit.

Die Sozialdemokraten bewilligen, wie in anderen Staaten Westeuropas, von Anfang an im Reichstag die nötigen Kredite für den Kampf - der mitnichten ein Verteidigungskrieg ist. Und damit sind sie eingebunden in der Kriegsstrategie der Machthaber.

Und diese "Siegfrieden"-Politik ist letztlich nichts anderes als die "bestürzende Fusion eines zügellosen Expansionismus und radikal-nationalistischen Triumphalismus", wie der Historiker Hans-Ulrich Wehler schrieb. Die Ideen zielen, wie später im Nationalsozialismus, auf massive Landgewinne in Ost- und Westeuropa, auf eine "Germanisierung" der "Ostmark", auf einen "Wall deutscher Menschen gegen das Slawentum" und sogar auf die nötige "Ausweisung" der Juden aus dem Reich.

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Mit dem Diktatfrieden von Brest-Litowsk im März 1918 kommt man diesen Zielen einer "völkischen Flurbereinigung" in Osteuropa sogar kurzfristig sehr nahe. Und wenn auch nicht alle Beteiligten alle Ziele gut finden oder die Details kennen - die Opposition und die Gewerkschaften dulden um des lieben "Burgfriedens" willen extreme Gewinne der Rüstungswirtschaft, die Ausbeutung der ungelernten Fabrikarbeiter, die nicht funktionierende Lebensmittelverteilung, den Schwarzmarkt und die damit verbundenen Hungerkrisen seit 1916.

Dieser Krieg dauert vier Jahre, drei Monate und elf Tage. Danach ist fast nichts mehr, wie es vorher war. Das alte Europa geht im Spätherbst 1918 unter - mit dem ersten Krieg, der fast die ganze Welt erfasst hat, dem ersten totalen Krieg: einem Krieg mit totalen Zielen, geführt mit dem totalen Einsatz aller verfügbaren technischen Mittel und damit verbunden einem unbeschreiblichen Massensterben in den Schützengräben sowie einer ungekannten Mobilisierung der "Heimatfront".

Erst verweigert sich allein Karl Liebknecht dem Krieg, dann folgen ihm viele andere

Der Erste Weltkrieg, diese "Urkatastrophe" des 20. Jahrhunderts, wie es der US-Diplomat und Historiker George F. Kennan nennt, lässt sich in Statistiken nicht annähernd beschreiben. Und doch geben ein paar Zahlen zumindest eine Ahnung von den kaum fassbaren Dimensionen.

1918 befinden sich knapp 40 Staaten direkt oder indirekt miteinander im Kriegszustand, etwa 60 Millionen Soldaten (in Deutschland: 13,2 Millionen) greifen zu den Waffen, mehr als neun Millionen Männer (in Deutschland: mehr als 1,9 Millionen) werden in dieser "Knochenmühle" getötet - niedergemäht im Kugelhagel, abgeschlachtet in bestialischen Nahkämpfen, verreckt an Erschöpfung in den Schützengräben. Etwa 20 Millionen Kombattanten werden verwundet.

Und auch die Zahl der zivilen Opfer geht in die Millionen. Das ist neu - und unerhört, denn die altbekannten Regeln des Krieges gelten plötzlich nichts mehr, auf keiner Seite.

Die Verletzung der belgischen Neutralität, die Zerstörung ganzer Städte und die Massaker an Zivilisten durch deutsche Soldaten, die totale Seeblockade, die das Kaiserreich von allen Rohstoff- und Nahrungsmittelimporten abschnitt, der "unbeschränkte" U-Boot-Krieg, der Einsatz von Giftgas auf beiden Seiten oder die Misshandlung von Kriegsgefangenen sind nur einige Beispiele. Nicht zu erfassen mit Statistiken sind die millionenfachen Traumatisierungen und psychischen Verwundungen - die der Soldaten und die der Angehörigen in der Heimat.

Trotz allem hält der Burgfriede bis fast zum Schluss. Und das, obwohl die SPD fast zerbricht an der Frage der Kriegskredite. Erst verweigert sich nur Karl Liebknecht, dann eine ganze Reihe linker Pazifisten, sie gründen schließlich 1917 die Unabhängige Sozialdemokratische Partei (USPD) und werfen der SPD nichts weniger als Verrat am Sozialismus vor.

Doch dann überschlagen sich die Ereignisse: Im Herbst 1918 sieht die mit diktatorischer Macht regierende Oberste Heeresleitung (OHL) unter Paul von Hindenburg und Erich Ludendorff aufgrund der militärischen Übermacht der Gegner eine baldige Niederlage als unausweichlich an und fordert ultimativ ein Waffenstillstandsangebot an die alliierten Kriegsgegner - in der irrigen Hoffnung auf einen milden "Wilson-Frieden" ohne Sieger und Besiegte.

So sehen sich nun die hartnäckigsten Reformgegner dazu genötigt, die Demokratisierung des Kaiserreichs anzuordnen, um den US-Präsidenten Woodrow Wilson gnädig zu stimmen: Am 3. Oktober gibt es plötzlich eine Regierung mit parlamentarischer Mehrheit, der die SPD, die linksliberale Fortschrittliche Volkspartei und die katholische Zentrumspartei angehören. Reichskanzler wird der liberal eingestellte Max von Baden, ein Cousin des Kaisers.

Diese neue Regierung, der auch der SPD-Vorsitzende Friedrich Ebert angehört, ersucht daraufhin Wilson um einen Waffenstillstand. Damit hat Ludendorff immerhin ein Ziel erreicht - die OHL hat sich aus der Verantwortung für den verlorenen Krieg gestohlen, die Parteien "sollen nun den Frieden schließen, der geschlossen werden muss. Sie sollen die Suppe jetzt essen, die sie uns eingebrockt haben."

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In aller Eile wird sogar bis Ende Oktober aus dem repressiven Obrigkeitsstaat noch eine parlamentarische Monarchie geformt, die SPD ist damit sogar sehr zufrieden. Doch das Ziel, mit einer "Revolution von oben" eine "Revolution von unten" zu verhindern, geht nicht mehr auf.

Das liegt vor allem daran, dass dem Volk, das vier Jahre lang an einen heroischen Verteidigungskampf des Kaiserreichs geglaubt und auf einen immer wieder versprochenen "Siegfrieden" gehofft hat, plötzlich die Augen geöffnet werden - die Einsicht in die unabwendbare Niederlage mit unabsehbaren Folgen trifft Millionen gänzlich unvorbereitet.

Der zähe Notenwechsel zwischen Berlin und Washington - wo das Motto lautet: erst weg mit der Willkürherrschaft, dann Waffenstillstand - lässt bei vielen Deutschen zwei Erkenntnisse reifen: Das Blutvergießen muss sofort aufhören. Und der Kaiser steht einem günstigen Frieden im Weg. Es fehlt nur noch ein Funke.

Auslaufen auf eine letzte Todesfahrt? Von wegen. Die Matrosen meutern

Den liefert die Marineführung. Angesichts der bevorstehenden Niederlage sucht die Seekriegsleitung den "ehrenvollen" Untergang und befiehlt am 24. Oktober - ohne Wissen der Reichsführung - das Auslaufen der Flotte gegen die britische Royal Navy. Der Autor Wolfgang Niess hält diese Aktion für nichts anderes als "Meuterei der Admirale gegen die Verfassungsreform und die Regierungsumbildung".

Allein: Die Matrosen, viele von ihnen stehen der USPD nahe, lehnen es entschieden ab, kurz vor Kriegsende auf eine sinnlose "Todesfahrt" zu gehen. In Wilhelmshaven gelingt es, einige Schlachtschiffe am Auslaufen zu hindern. Die Admirale lassen nun ihren Plan fallen, aber auch Hunderte Matrosen wegen Meuterei in Militärgefängnisse in Wilhelmshaven und Kiel sperren.

Damit endet aber nicht der Aufstand der Matrosen. Er beginnt erst richtig. Man will nun die Kameraden, denen Kriegsgericht und Todesstrafe drohen, aus den Gefängnissen holen. Am 3. November fordern Tausende in Kiel deren Freilassung, Rede- und Pressefreiheit sowie "Frieden und Brot".

Nicht nur Matrosen, auch Industrie- und Werftarbeiter sind dabei. Das heißt freilich nicht, dass alle Demokraten sind. Am 4. November ist Kiel in der Hand der Aufständischen, es herrscht Streik, die Truppen in den Kasernen verbünden sich mit den Matrosen. Ein provisorischer Arbeiter- und Soldatenrat wird gebildet. Und alle Kameraden sind wieder auf freiem Fuß.

Doch die Angst der Matrosen ist groß, dass ihr lokaler Aufstand bald von kaisertreuen Truppen blutig niedergeschlagen werden könnte. Und so tragen sie die Revolution hinaus ins Land, reisen in Dutzende Städte - der Aufstand wird zur Volksbewegung. Nirgends gibt es nennenswerten Widerstand.

Am 9. November hat die Revolution im ganzen Reich gesiegt, praktisch ohne Blutvergießen. Und der SPD-Politiker Philipp Scheidemann hat gleich die deutsche Republik ausgerufen.

Die Weltrevolution aber, wie sie Karl Liebknecht auf dem Balkon des Schlosses vorschwebt, wollen nur ganz wenige in Deutschland. Viele fürchten aber, dass sie kurz bevorsteht. Und das ist ein Problem.

© SZ vom 10.11.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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