Niederlande:Populismus für Kinder

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Thierry Baudet vom niederländischen Forum für Demokratie setzt die Wirklichkeit nur noch in Anführungsstriche. (Foto: BART MAAT/AFP)

Das niederländische Forum für Demokratie steht kurz vor Eröffnung einer eigenen Grundschule. Es ist Teil des Plans von Parteichef Thierry Baudet, eine rechte Parallelgesellschaft zu etablieren.

Von Thomas Kirchner, München

Wenn alles klappt, wie sich das Forum für Demokratie (FvD) das vorstellt, kann es im September losgehen. Dann würde die erste Grundschule, in der nach den Vorstellungen dieser extrem weit rechts stehenden niederländischen Partei unterrichtet wird, in der Stadt Almere ihre Türen öffnen. 18 Kinder hätten sich schon angemeldet, sagte der FvD-Politiker Ralf Dekker diese Woche, einen Lehrer habe man gefunden und auch ein Gebäude. Man wolle mit zwei oder drei Klassen beginnen. Ein paar Hürden seien noch zu nehmen, aber dass dies vor Beginn des neuen Schuljahrs gelinge, sei zu "80 Prozent" wahrscheinlich.

Die erste Schule wäre eine Privatschule, weil sie leichter einzurichten ist. Der Antrag für fünf weitere Schulen ist schon gestellt, sie sollen ganz normale, staatlich finanzierte Einrichtungen werden. Was sich harmlos anhören mag, könnte zu einer großen Belastung für das Bildungssystem und den ohnehin prekären gesellschaftlichen Zusammenhalt in den Niederlanden werden. Denn das FvD will nichts anderes als Parteischulen errichten, also Orte, an denen die Kinder mit dem Weltbild und den Werten des Forums indoktriniert werden.

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Das sieht so aus: "Wir wollen kein Woke-Denken im Unterricht", sagt Dekker, an anderen Grundschulen werde zu viel über die Klimakrise und Gender-Fragen geredet, Schlechtes über hellhäutige Menschen verbreitet, würden Kinder "zu früh" sexuell aufgeklärt. Lesen, Schreiben, Rechnen, das sei das Wichtigste, digitale Hilfsmittel "lenken nur ab".

Wen dies an das 19. Jahrhundert erinnert, liegt richtig. Zumindest nach Ansicht von FvD-Gründer und Parlamentsmitglied Thierry Baudet war die Welt damals noch in Ordnung, die Kunst noch schön, Oben (weiße Europäer) und Unten (alle anderen) waren noch sinnvoll voneinander geschieden. Diese Welt will er zurückhaben; die "Renaissance"-Schulen, wie er sie nennt, wären ein Baustein, einer von vielen. Ihm schwebt - diese Losung gab er vor einem Jahr aus - eine echte Parallelgesellschaft vor, "Forumland", mit eigenen FvD-Friseuren, Dating-Apps, Wohnungsbaugesellschaften und natürlich einer eigenen Krypto-Währung. Auch einen Ort hat er sich schon ausgesucht: die nördliche Provinz Groningen, wo es nicht so eng ist.

Putin hält er für einen "Prachtkerl"

Baudet hat sich in jüngster Zeit stark radikalisiert und lebt seine identitären Vorstellungen nun voll aus. Den russischen Präsidenten Wladimir Putin hält er für einen "Prachtkerl", den Klimawandel für Fake News, die Corona-Maßnahmen für den Versuch, eine digitale Diktatur zu errichten. Immer öfter verbreitet er auch antisemitische Verschwörungstheorien. Mit seinen Anhängern (und den Identitären weltweit) verständigt er sich über Memes und Symbole, setzt die "Wirklichkeit" in Anführungsstriche, sieht sie nur noch als "Clownswelt". Kritiker hat er rausgeschmissen, oder sie gingen freiwillig. So hat das Forum zunächst Wähler verloren, aber an Schlagkraft gewonnen. Das FvD ist die Partei der Wahl für Impfgegner, Wutbauern und diffus Staatsverdrossene, von denen es in den Niederlanden viele gibt.

Zum Teil sind die "Forumland"-Überlegungen nur Provokation, sie gehört zu Baudets erklärtem Programm. Zum Teil aber schwappen sie längst in die Wirklichkeit hinein. In dieselbe Richtung wie die Schulen zielt etwa der neue öffentlich-rechtliche Rundfunksender ON (Ongehoord Nederland). Der wird zwar nicht vom FvD betrieben, verbreitet aber mehr oder weniger dessen Inhalte: Hauptsache, gegen den "Mainstream". Dass die ON-Macher dabei mit dem Journalistenethos (Wahrhaftigkeit, Fairness) kollidieren und das staatlich finanzierte Budget deshalb nun gekürzt wird, stört sie nicht.

Der Zugriff auf Schüler wäre aus Baudets Sicht eine ideale Investition. Die "basisschool" dauert acht Jahre, da lässt sich ein solides anti-emanzipatorisches Fundament legen. Rechtlich zulässig ist das, weil es das Parlament 2020 nach jahrelanger Diskussion entscheidend erleichterte, neue Grund- und Mittelschulen zu gründen. Das war bisher neben dem Staat allein religiösen Gruppen vorbehalten gewesen. Nun können es quasi alle beantragen, besonders leicht geht es bei Privatschulen. Ob diese sich an die formalen Kriterien halten, wird nach einiger Zeit von Inspektoren überprüft. Man kann sich vorstellen, dass die FvD-Lehrkräfte an diesem Tag nicht über den "Gender-Quatsch" oder die "Klima-Lüge" reden.

Basis dieser Liberalität ist Artikel 23 der Verfassung, der eine weitreichende Bildungsfreiheit garantiert. Schon länger fordern die oppositionellen Sozialdemokraten, diesen Artikel zu reformieren, weil er unter anderem dazu führe, dass in manchen christlich-fundamentalistischen, islamischen oder jüdisch-orthodoxen Schulen Homosexualität verächtlich gemacht oder die Gleichberechtigung von Mann und Frau infrage gestellt werde. Deshalb müssten Grundregeln etabliert werden: etwa, den Kindern "die Werte unseres demokratischen Rechtsstaats" beizubringen. Liberale und christliche Parteien stemmen sich gegen die Reform.

Die FvD-Schulen stünden quer zu einer wichtigen sozialen Entwicklung in den Niederlanden im 20. Jahrhundert: der sogenannten Entsäulung. Bis in die 1960er-Jahre war die Gesellschaft fein separiert in Vereine, Parteien, Medien und Schulen, die weltanschaulich oder religiös fundiert waren. So könnte es wieder werden, warnen Kritiker.

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