Niederlande:Die Flaggen wehen verkehrt herum

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Oben Blau, unten Rot: Am Dam-Platz in Amsterdam treffen sich Sympathisanten der Bauern und verwenden dasselbe Protestsymbol. (Foto: Ramon van Flymen/IMAGO/ANP)

In den Niederlanden ist eine Protestform zum Massenphänomen geworden. Die Landwirte beschweren sich über die Umweltpolitik - da machen viele gerne mit.

Von Thomas Kirchner, München

Vor vier Wochen tauchte sie erstmals auf, und wer dieser Tage durch die Niederlande fährt, vor allem durch ländliche Gegenden und den Osten, sieht sie überall hängen, an Straßenlaternen, Brücken, Verkehrskreiseln oder Reihenhäusern: die Flagge des Landes, nur umgekehrt. Blau-Weiß-Rot also statt Rot-Weiß-Blau. Ein Widerstandssymbol, tausendfach verbreitet. Es soll ausdrücken, dass hier jemand ganz und gar nicht einverstanden ist mit der Regierung, ja dass etwas grundsätzlich im Argen liege mit dem Land.

Ganz neu ist diese Art des Protests nicht. Vereinzelt hatten schon Gelbwesten und Corona-Leugner die Flagge auf den Kopf gedreht, nach ursprünglich amerikanischem Vorbild, dem in Deutschland vereinzelt Pegida-Anhänger und sogenannte Reichsbürger folgten. Anfang des Monats begannen dann immer mehr niederländische Landwirte, ihren Unmut über die Umweltpläne der Regierung auf diese Art auszudrücken. Das Kabinett hatte im Juni Maßnahmen angekündigt, die den Stickstoffausstoß drastisch reduzieren sollen. Bis 2030 sollen die Emissionen im Schnitt um 50 Prozent verringert werden. Das könnte das Aus für etwa 30 Prozent der Viehbetriebe im Land bedeuten, Tausende weitere müssten mit Umsatzverlusten von bis zu 50 Prozent rechnen.

Nach und nach schlossen sich Impfgegner, Verschwörungstheoretiker und Rechtsextremisten an. Ein Massenphänomen entstand. Es mag zum Teil mit der wabernden Unzufriedenheit mit der Politik allgemein zu tun haben, wird aber auch gezielt befeuert durch Populisten wie Thierry Baudet, Chef des Forums für Demokratie, der zum Kampf gegen das "Machtkartell" in Den Haag aufruft und die Bauern schlicht instrumentalisiert.

Rot-Weiß-Blau geht auf das 16. Jahrhundert zurück, als die Niederlande ihre Unabhängigkeit von Spanien unter dem Prinzen von Oranien erkämpften. Das Orange in dessen Wappen wurde später durch Rot ersetzt, den Grund kennt keiner mehr genau. Dass Rot für das Volk stehe und Blau für die Elite, wie manche behaupten, sei aber nicht belegt, beteuert der Niederländische Flaggenverband. Dessen Vertreter mussten in Interviews quer durch alle Medien erklären, was es mit der umgedrehten Flagge auf sich habe: dass sie ursprünglich aus der Schifffahrt stammt und anzeigt, dass ein Seemann über Bord gegangen ist. Ein Notsignal, ein Alarmruf.

Die Niederländer, tolerant, wie sie sind, ließen sich lange Zeit kaum irritieren von dem Spektakel. Manchen wird es aber langsam zu bunt, und lustig ist es allemal nicht, wenn Amtsleute, die sich kritisch äußern, bedroht und eingeschüchtert werden. Die Provinz Südholland lässt die Falschrumflaggen nun abhängen. Die Verkehrssicherheit sei bedroht, mehrmals war der Stoff auf Scheiben fahrender Autos geweht. Die Bauern verschärfen derweil ihren Protest, bewerfen Autobahnen mit Mist, Reifen, Paletten und Heuballen, die sie auch anzünden. Das überschreite alle Grenzen, warnte Ministerpräsident Mark Rutte am Donnerstag, die Aktionen seien "lebensgefährlich".

Ein Ende des Konflikts ist nicht in Sicht. Vermittler Johan Remkes hat zum Dialog eingeladen, der am 5. August beginnen soll. Einige werden kommen, die meisten wohl nicht. Ein Bauernvertreter sagte: "Wir haben Besseres zu tun, als sinnlose Gespräche zu führen."

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