Bundeswehr:Pistorius und der Ärger mit den Funkgeräten

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Boris Pistorius auf dem Turm der Petrikirche in der lettischen Hauptstadt Riga. (Foto: Kay Nietfeld/DPA)

Im Baltikum holen den Verteidigungsminister Probleme aus der Heimat ein: Er muss einräumen, dass sie größer sind als gedacht. Und dann nervt da auch noch das "Taurus"-Thema.

Von Georg Ismar, Riga

Es ist ein Moment der Muße, Boris Pistorius steht in der goldenen Abendsonne auf dem Turm der Petrikirche in Riga. Von dort oben macht der Minister der Verteidigung mit dem Smartphone Fotos der malerischen Rigaer Altstadt, unten in der Kirche zeigt er sich beeindruckt von dem 30 Meter hohen Mittelschiff in Backsteingotik. Nach zehn Minuten muss er schon wieder los, verspricht aber, bald wiederzukommen. "Nächstes Jahr kommen ja die Eurofighter."

Dann übernimmt Deutschland in Lettland das Air Policing, das dem Schutz des Luftraums in den drei baltischen Staaten dient, immer wieder kommt es zu Begegnungen mit russischen Kampfjets. Dann werden Funksprüche gewechselt, die Vorfälle fotografiert und dokumentiert. Der Einsatz in Lettland ist ein weiteres Element des wachsenden deutschen Engagements an der Nato-Ostflanke. "Ich bin aufgewachsen als Kind des Kalten Krieges", sagt Pistorius später in der Residenz des Deutschen Botschafters. Damals hätten die Alliierten die Bundesrepublik geschützt, heute habe Deutschland die Pflicht, die Partner in Osteuropa zu schützen. "Wir werden jeden Zentimeter des Nato-Territoriums verteidigen", verspricht der SPD-Politiker.

Pistorius übt harsche Kritik am eigenen Haus

Doch auf der Reise holen den derzeit beliebtesten Politiker Deutschlands auch Probleme aus der Heimat ein. Es geht um den Kauf digitaler Funkgeräte für die Bundeswehr mit einem Volumen von 1,3 Milliarden Euro vom Unternehmen Rohde & Schwarz, plus Option auf weitere 1,5 Milliarden Euro. Doch beim Einbau gibt es technische Probleme, mit Adapterplatten, Batteriekapazitäten, der richtigen Dimensionierung von Kühl- und Lichtmaschinen.

In Riga hatte Pistorius das Problem noch heruntergespielt. Wenn der Eindruck erweckt werde, man habe die falschen Funkgeräte angeschafft, "dann könnte die Meldung falscher nicht sein", hatte er am Montag gesagt. Einen Tag später, Pistorius ist inzwischen auf den Luftwaffenstützpunkt Ämari in Estland weitergereist, erklärt er, dass das Problem doch wohl größer sei: "Ich bin einigermaßen verärgert, der Auftrag ist erteilt worden im Dezember, also vor meiner Zeit", sagt er, begleitet vom lauten Donnern der Eurofighter. Er sei davon ausgegangen, dass man sich vor der Bestellung Gedanken mache, wie der Einbau funktioniere. "Dass das nicht passiert ist oder nicht ausreichend, das klären wir jetzt auf - und versuchen zu heilen, was zu heilen ist." Eine harsche Kritik also am eigenen Hause.

"Es war kein Sinneswandel", betont der Minister

Später betont Pistorius in Tallinn auf die Frage, warum er sich nun so anders als am Vortag äußere: "Es war kein Sinneswandel, sondern ein Wandel an Informationen." Er habe erst am Montag ein erstes Telefonat hierzu geführt. Aber er habe trotz des Ärgernisses weiterhin keinen Anlass zu glauben, dass "es mehr Schaden gibt als eine Verspätung". Pistorius wollte die Beschaffung eigentlich zur Chefsache machen, doch nach seiner Darstellung hat er erst aus den Medien von dem Problem erfahren.

Ein erster vertraulicher interner VS-Bericht, der der Süddeutschen Zeitung vorliegt und auf Montag datiert ist, wird deutlich: Es gebe "verschiedene Herausforderungen, die in der ursprünglichen Planung nicht in ausreichendem Umfang erkannt worden waren." Es gehe hier um 200 verschiedene Fahrzeugtypen. Und allein für eine Division des Heeres müssten Führungsfunkgeräte in rund 13 000 Fahrzeugen eingerüstet werden. "Die unterschätzte Komplexität sowohl auf Industrie- als auch auf Amtsseite, die Vielzahl der notwendigen Unterauftragnehmer sowie die Verfügbarkeit von Rechten führen zur Verzögerung der vertraglichen Ausgestaltung." Damit entstehe eine Verzögerung von etwa einem Jahr.

Die Systeme sind deshalb so wichtig, weil damit ein geschlossenes Netzwerk auf dem Gefechtsfeld geschaffen wird, damit zum Beispiel der Nachschub für Panzer organisiert wird und Feindesbewegungen blitzschnell analysiert werden und darauf reagiert werden kann.

Bisher wurden 400 Geräte ausgeliefert, die vorerst im Depot liegen. Aber es seien trotzdem keine Auswirkungen auf die Vernetzung und digitale Kommunikation im Nato-Verband zu erwarten, wird in dem Bericht und auch von Pistorius betont. Deutschland hat der Nato für 2025 eine voll einsatzbereite Division mit rund 15 000 Soldaten zugesagt. Das internationale Zusammenspiel mit den Funksystemen der Nato-Partner könne wohl "auch mit den bereits eingeführten Funkgeräten der Firma L3 HARRIS sichergestellt werden". Allerdings ist fraglich bisher, ob es davon dafür genug Geräte gibt.

Er sieht in "Taurus" keine Wunderwaffe

Pistorius wirkt angefressen - und dann ist da noch eine Sache, die ihn dauernd verfolgt. Immer wieder taucht auch im Baltikum die Frage auf, wann denn Deutschland über die Lieferung von Taurus-Marschflugkörpern an die Ukraine entscheidet. In der Bundeswehr schütteln nicht wenige den Kopf über das Kanzleramt, das immer neue Einwände vorbringt. So soll über die Übermittlung von Geodaten sichergestellt werden, dass die Ukraine damit nicht russisches Territorium angreift. Braucht es sogar eine Programmierung durch Bundeswehrsoldaten für die Zielauswahl? Das wirft aus Kanzleramtssicht die komplexe rechtliche Frage nach einem Bundestagsmandat und einer direkten Kriegsbeteiligung auf.

Experten halten das für vorgeschoben, zumal Briten und Franzosen ähnliche Waffen geliefert und Lösungen für die Zielbegrenzung gefunden haben. Pistorius hatte am 15. September von einer Entscheidung in ein bis zwei Wochen gesprochen, aber Kanzler Olaf Scholz (SPD) lässt sich nicht treiben. Pistorius kann nur warten, er sieht in Taurus aber auch keine Wunderwaffe. "Zögerlichkeit hin oder her, Deutschland ist der zweitgrößte Unterstützer der Ukraine und wir sind dabei, das weiter auszubauen", betont er in Riga.

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Ihm ist vor allem wichtig, keinen Zweifel an der deutschen Unterstützung des Baltikums gegen die Gefahren durch Russland zu lassen, in Litauen soll sogar dauerhaft eine Brigade stationiert werden. In Lettland wird 2024 das Fach "Landesverteidigung" in der Sekundarstufe Pflichtfach, auch das gehört hier zur Zeitenwende. Vieles könnte sich hier verschärfen, wenn Donald Trump wieder in das Weiße Haus einziehen und das US-Engagement in der Nato drastisch reduzieren sollte. Deutschland müsste dann wohl noch viel mehr Lasten übernehmen. Ob er die Angst vor Trump hier spüre, wird Pistorius in Riga gefragt: "Ich spüre vor allem die Angst vor Russland", antwortet der Minister. Und räumt dann jedoch ein: "Die andere Frage steht im Raum, ja."

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