Der niederländische Regierungschef Mark Rutte soll von Herbst an die Nato führen. Nachdem in Brüssel bereits in den vergangenen Monaten immer stärker über die Personalie spekuliert worden war, sprachen sich am Donnerstag die maßgeblichen Regierungen des Militärbündnisses offiziell dafür aus, den 57 Jahre alten Niederländer zum neuen Generalsekretär der Allianz zum ernennen. "Der Kanzler unterstützt eine Nominierung von Mark Rutte als neuen Generalsekretär der Nato", sagte der Sprecher von Bundeskanzler Olaf Scholz. Ähnlich äußerte sich ein Sprecher des amerikanischen Präsidenten Joe Biden. Auch aus London und Paris kamen Unterstützungsbekundungen.
Der Generalsekretär der Nato wird von den Mitgliedsländern einstimmig ernannt, allerdings hat die Führungsnation USA einen besonders großen Einfluss. Insofern dürfte Ruttes Ernennung deutlich wahrscheinlicher sein als die des rumänischen Präsidenten Klaus Johannis, den die Regierung in Bukarest offenbar ebenfalls nominieren will. Derzeit hat die Allianz 31 Mitglieder, bereits kommende Woche dürfte die Zahl auf 32 steigen, wenn Ungarn wie erwartet den Beitritt Schwedens absegnet.
Stoltenbergs Amtszeit war mehrfach verlängert worden
Die Nato wird noch bis Oktober von dem ehemaligen norwegischen Premier Jens Stoltenberg geführt, der diesen Posten 2014 übernommen hat. Seine Amtszeit wurde mehrmals verlängert - zunächst 2022 wegen des Ausbruchs des Krieges in der Ukraine, dann 2023, weil die Nato-Staaten keinen wirklich geeigneten Nachfolger finden konnten. Stoltenberg hat aber klargemacht, dass er seine Zeit an der Spitze des Bündnisses beenden will. Die meisten Nato-Länder wollten die Auswahl seines Nachfolgers jetzt rasch über die Bühne bringen - damit Klarheit herrscht und das Nato-Amt nicht Teil des großen Personalkarussells wird, das sich in der zweiten Jahreshälfte in Europa drehen wird, wenn nach der Europawahl die Spitzenposten der EU neu besetzt werden.
Rutte erfüllt die meisten Bedingungen, die für den neuen Nato-Generalsekretär galten. Erstens: Er ist ein Europäer, die traditionell das politische Führungsamt der Allianz besetzen, während die USA einen General als militärischen Oberbefehlshaber entsenden. Zweitens ist Rutte ein Regierungschef und verfügt damit über das notwendige politische Gewicht und die erforderliche außen- und sicherheitspolitische Erfahrung für den neuen Posten. Rutte hat die Niederlande seit 2010 regiert. Im vergangenen Sommer zerbrach seine Koalition, er trat daraufhin zurück und führt die Regierungsgeschäfte seither kommissarisch, bis sich in Den Haag eine neue Regierung gebildet hat.
Drittens: Rutte ist ein ausgewiesener Transatlantiker und entschlossener Unterstützer der Ukraine. Die Niederlande gehören, gemessen an ihrer Größe, zu den wichtigsten Waffenlieferanten. Unter anderem führen sie die sogenannte F-16-Koalition an, einen Zusammenschluss europäischer Staaten, die in diesem Jahr Kampfjets dieses Typs an Kiew abgeben wollen.
Andere galten mancher Nato-Regierung als zu aggressiv im Ton
Zugleich ist Rutte aber kein so offener und rhetorisch harscher Russlandgegner wie einige mögliche andere Kandidaten aus Ost- und Mitteleuropa, deren Namen in den vergangenen Monaten in Brüssel kursierten. Das gilt vor allem für die estnische Regierungschefin Kaja Kallas, die das Amt wohl gerne gehabt hätte, die aber einige Nato-Regierungen für zu aggressiv gegenüber Moskau hielten. Der gelassene, ruhige Rutte ist in dieser Hinsicht konsensfähiger.
Ein Kriterium, das sich die Nato inoffiziell vorgegeben hatte, erfüllt Rutte dagegen eindeutig nicht: Er ist keine Frau. Eigentlich hätten die Staats- und Regierungschefs des Bündnisses bei ihrem Gipfeltreffen in Washington im Juli, bei dem sie den 75. Jahrestag der Gründung der Nato feiern wollen, gern erstmals eine Frau als Generalsekretärin vorgestellt.
Rutte wird sein Amt im Herbst in einem politischen Umfeld antreten, das mit dem Adjektiv "herausfordernd" nur unzureichend beschrieben ist. Wie die militärische Lage in der Ukraine dann sein wird, ist momentan schwer absehbar. Aber kaum ein Beobachter ist besonders optimistisch, dass die ukrainische Armee mehr schafft, als die Front gegen die Russen halbwegs zu halten.
Zudem könnte Anfang November in den USA Donald Trump die Präsidentenwahl gewinnen. Der Republikaner, den schon Stoltenberg vier Jahre lang umgarnen und einhegen musste, damit er die US-Mitgliedschaft in der Nato nicht kündigt, schockierte das Bündnis jüngst mit der Drohung, jene europäischen Staaten nicht beschützen zu wollen, die zu wenig für ihre Verteidigung ausgeben. Wie es aussieht, wird Rutte keinen ruhigen Start ins neue Amt haben.