Nahost:UN-Sicherheitsrat fordert erstmals Waffenstillstand im Gazastreifen

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Linda Thomas-Greenfield, die UN-Botschafterin der USA, bei ihrer Enthaltung in der Abstimmung des UN-Sicherheitsrats. (Foto: Craig Ruttle/AP)

Das Gremium der Vereinten Nationen dringt auf eine Einstellung des Kriegs im Gazastreifen. Möglich macht das eine Entfremdung zwischen den Regierungen der USA und Israels. Das Land steht zunehmend isoliert da.

Von Fabian Fellmann, Washington

Erstmals seit Ausbruch des Gaza-Kriegs hat der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen die beiden Konfliktparteien zu einem sofortigen Waffenstillstand aufgefordert. Die neue Resolution verlangt ein unmittelbares Ende der Kriegshandlungen während des Ramadans, der noch rund zwei Wochen dauern wird; daraus soll ein "dauerhafter Waffenstillstand" werden.

Teil des Textes ist auch eine sofortige und bedingungslose Freilassung aller Geiseln. Erneut ruft das UN-Gremium alle Beteiligten dazu auf, das Völkerrecht einzuhalten, Gewalt gegen Zivilisten zu verurteilen sowie daran zu erinnern, dass Geiselnahmen nach internationalem Recht verboten seien. Eine Mehrheit der Mitglieder stimmte der Resolution am Montagmorgen am UN-Hauptsitz in New York zu. Die USA enthielten sich, nachdem sie in der Vergangenheit als Verbündete Israels mehrere Texte blockiert hatten seit dem Terrorangriff der Hamas am 7. Oktober und dem folgenden Krieg in Gaza.

Bisher scheiterte eine solche Erklärung stets an Einsprüchen aus dem Kreis der fünf Vetomächte

Der Text verurteilt den Terroranschlag nicht ausdrücklich, anders als ein ähnlicher Entwurf der USA, der vergangene Woche am Veto Chinas und Russlands gescheitert war. Unmittelbar danach drangen die zehn gewählten Mitglieder des Sicherheitsrats darauf, einen weiteren Anlauf zu nehmen. Die neue Resolution wurde im Umfeld der UN als historischer Schritt bezeichnet. Es ist das erste Mal, dass sich der Sicherheitsrat auf einen Aufruf zu einem formellen Waffenstillstand im aktuellen Gaza-Krieg einigt.

Ebenso ist es das erste Mal, dass die zehn gewählten Mitglieder des Gremiums vermögen, bei diesem Thema die Widerstände der fünf Vetomächte zu überwinden. In diesem Fall gelang es, die USA von dem Entwurf zu überzeugen, indem der Aufruf zum Waffenstillstand in einem Zug erwähnt wurde mit der Forderung nach einer Freilassung der Geiseln, ohne die beiden jedoch inhaltlich klar zu verknüpfen.

Für die Zivilbevölkerung in Gaza mag die Resolution aus New York eine gute Nachricht sein, eine unmittelbare Verbesserung ihrer Lage bringt sie jedoch nicht - sowohl Israel als auch Hamas haben in der Vergangenheit schon zahlreiche Beschlüsse des Sicherheitsrats missachtet. US-Botschafterin Linda Thomas-Greenfield sagte nach der Abstimmung, jetzt seien Fortschritte nötig bei den Bemühungen um einen Waffenstillstand, für den die Freilassung von Geiseln, die noch in Gaza festgehalten werden, eine Voraussetzung sei. Israel dürfte im Gegenzug inhaftierte Palästinenser freilassen. Bei den Gesprächen in Katar verhandeln Israel und Hamas indirekt unter Vermittlung der USA, Ägyptens und Katars.

Sicherheitsratsmitglieder, darunter Chinas und Russlands Vertreter und palästinensische Beobachter, diskutieren am Montag am UN-Sitz die Resolution, die eine Waffenruhe verlangt. (Foto: Andrew Kelly/Reuters)

Die Resolution des Sicherheitsrats ist ein Hinweis auf die zunehmende internationale Isolierung Israels. Bisher hatten die USA in New York regelmäßig Texte verhindert, die Tel Aviv nicht genehm waren. Inzwischen aber hat die Entfremdung zwischen den Regierungen von Präsident Joe Biden und Israels Premierminister Benjamin Netanjahu derart zugenommen, dass die US-Mission in New York den Sicherheitsrat nicht mehr zurückhalten wollte. Netanjahu reagierte erzürnt, er sagte am Montagnachmittag eine geplante Reise von Vertretern seines Kabinetts nach Washington ab. Präsident Biden hatte den Besuch verlangt, um Israel erneut klarzumachen, dass die USA höchst besorgt seien über die Pläne für einen Angriff auf die Grenzstadt Rafah im Gazastreifen.

Eben erst hatte US-Außenminister Antony Blinken bei einem Besuch in Israel vor einem bevorstehenden israelischen Angriff auf die Stadt Rafah gewarnt, und Vizepräsidentin Kamala Harris bezeichnete am Sonntag eine solche Operation als "riesigen Fehler", sie drohte mit nicht genauer beschriebenen Konsequenzen: "Ich schließe nichts aus", sagte Harris.

Die UN werfen Israel erneut vor, Hilfslieferungen zu blockieren

Noch am Sonntag bekräftigte Netanjahu ungerührt, die israelische Armee werde Rafah einnehmen, um die Terrorgruppe Hamas zu zerstören. Israel befürchtet aber offenbar, die USA könnten den Nachschub an Waffen oder Ersatzteilen versiegen lassen. Verteidigungsminister Yoav Gallant traf am Montag in Washington mehrere amerikanische Regierungsvertreter mit dem Ziel, "Israels militärische Überlegenheit zu erhalten" sowie den Nachschub zu sichern.

Erneut warfen die UN Israel vor, Hilfslieferungen nach Gaza zu blockieren. Israel habe angekündigt, Nahrungsmittelkonvois der Palästinenserhilfswerks UNRWA nicht mehr zu genehmigen, teilte dieses am Wochenende mit. Das sei "empörend", schrieb UNRWA-Direktor Philippe Lazzarini am Wochenende auf der Plattform X. Israel wies die Vorwürfe zurück und beschuldigte die UNRWA, gar keine Gesuche für Lieferungen gestellt zu haben. UN-Generalsekretär António Guterres stellte sich am Montag hinter das UN-Hilfswerk und forderte, es weiterhin zu unterstützen.

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