"Nachtwölfe" in der Slowakei:1968 kamen Panzer, heute die russischen Biker

Protestplakat gegen die "Nachtwölfe" in Trnava, Slowakei.

Rastislav Kalnovič bei der Enthüllung des Plakates, mit dem er gegen die Präsenz der "Nachtwölfe" in der Slowakei demonstriert. Die Briefmarke symbolisiert den Sieg der demokratischen Slowakei über die Diktatur.

(Foto: Peter Král)
  • Die neue "Europa-Zentrale" der russischen Biker-Truppe "Nachtwölfe" in der Slowakei stößt auf Widerstand.
  • Die Politik wirkt hilflos: Es wird debattiert, aber nicht gehandelt.
  • Ein Sicherheitsexperte warnt vor den langfristigen Folgen russischer Einflussnahme.

Von Paul Katzenberger, Moskau

Man kann nicht sagen, dass Rastislav Kalnovič gleichgültig gegenüber dem wäre, was um ihn herum geschieht. Wie viele slowakische Mitbürger wird der junge Bauingenieur aus Bratislava derzeit von der Sorge umgetrieben, dass die Slowakei von Russland infiltriert werden könnte. Doch während sein Umfeld größtenteils mit Tatenlosigkeit reagiert, beschloss der Bauingenieur zu handeln.

Seit Mitte Juli bekannt wurde, dass die kremltreue russische Biker-Truppe "Nachtwölfe" mit Unterstützung der russischen Botschaft in Bratislava eine neue "Europa-Zentrale" in dem westslowakischen Dorf Dolná Krupá eingerichtet hat, sind viele Slowaken verunsichert: Die Menschen fragen sich, ob die Biker ein Sicherheitsrisiko für das kleine EU- und Nato-Land darstellen.

Deren Leumund ist nicht gerade vertrauenserweckend: In Russland gerieren sie sich als eine Art Bewachungsmannschaft des russischen Präsidenten Wladimir Putin. Sie gelten als ultranationalistisch, homophob und frauenfeindlich. Ihr Anführer Alexander Saldostanow, der aufgrund eines absolvierten Medizinstudiums "Der Chirurg" genannt wird, verehrt Stalin als Helden, und die Annexion der Krim bejubelt er. In den USA steht die 5000 Mann starke Truppe auf der Sanktionsliste und wird beschuldigt, den prorussischen Rebellen in der Ukraine paramilitärisch zur Seite gestanden zu haben.

Auch Kalnovič ist von Sorge erfüllt. Seine Bedenken verstärkt die aktuelle Erinnerung an die Besetzung der Tschechoslowakei durch die Sowjetunion im Jahr 1968. Der Überfall, der den "Prager Frühling" zerschlug, jährt sich am 21. August zum 50. Mal und war für Tschechen und Slowaken ein traumatischer Einschnitt in der Geschichte ihrer Länder.

Als Kalnovič im Internet entdeckte, dass sich auf dem Gelände der "Nachtwölfe" in Dolná Krupá auch Militärfahrzeuge bis hin zu Panzern befinden, war er deswegen umso besorgter: "Als ich diese Fotos sah und lesen musste, dass sie behaupten, sie unterhielten in unserem Land ihre Europa-Zentrale, wurde mir es zu viel", sagte er dem Nachrichtenmagazin .týždeň.

Protest mit berühmtem Foto

Der 25-Jährige dachte sich eine Protestaktion aus: Er erwarb die Rechte an dem ikonischen Foto "Mann mit entblößter Brust vor einem Okkupationspanzer", das den Installateur Emil Gallo zeigt, wie er sich am 21. August 1968 auf dem Šafárik-Platz in Bratislava einem sowjetischen Panzer entgegenstellt.

Das Bild des slowakischen Fotografen Ladislav Bielik, das für den Widerstand der Bevölkerung gegen die sowjetischen Besatzer steht, wurde seinerzeit weltweit abgedruckt und symbolisiert im westlichen Bildgedächtnis die Niederschlagung des "Prager Frühlings". In der Slowakei ist die Aufnahme bis heute öffentlich präsent - in Geschichtsbüchern, Ausstellungen und in den Medien.

Diesen hohen Wiedererkennungswert nutzte Kalnovič für seinen Protest gegen die "Nachtwölfe": Am vergangenen Freitag ließ er in der Stadt Trnava, zehn Kilometer von Dolná Krupá entfernt, eine Plakatwand aufstellen. Sie zeigt eine an die Nachtwölfe adressierte Postkarte mit Bieleks Foto und der Aufschrift: "Wir haben Sie 1968 nicht willkommen geheißen. Wir wollen Sie auch 2018 nicht hier haben."

Wohlwollender Stadtrat

Die Postkarte soll künftig im Internet heruntergeladen werden können, und Kalnovič hofft, dass möglichst viele Menschen den Ausdruck verschicken. Nicht unbedingt an die Nachtwölfe selbst, denn das sei sinnlos, glaubt Kalnovič: "Es ist besser, wenn die Leute die Postkarte den zuständigen Behörden zukommen lassen."

Druck auf die Behörden könnte ein Weg sein, die Nachtwölfe doch noch aus Dolná Krupá zu vertreiben. Ein Bewohner des Dorfes, der sich ebenfalls entschieden gegen seine neuen Nachbarn stemmt, hat herausgefunden, dass das Grundstück, auf dem sie sich niedergelassen haben, nach geltendem Bauplanungsrecht landwirtschaftlich genutzt werden muss. Zuvor war auf dem Anwesen eine Besamungsanlage für Schweine untergebracht. Der Aktivist namens Michal Magula gründete eine Bürgerinitiative, die den Stadtrat aufforderte, geltendes Recht durchzusetzen. 200 Mitstreiter schlossen sich an.

Jozef Hambalek, der Anführer der slowakischen "Nachtwölfe", dem das Gelände in Dolná Krupá dem Vernehmen nach gehört, betont, dass er sich an Recht und Ordnung halten will. Wie das gehen soll, ist im Augenblick allerdings schleierhaft. An eine landwirtschaftliche Nutzung des Geländes, genannt "Hangar 58", denkt er jedenfalls nicht.

Innenministerium contra Außenamt

A general view taken with a drone shows a recently established base for the Slovak chapter of Russia's ultra-nationalist Night Wolves bikers club near the village of Dolna Krupa

Luftaufnahmen des Geländes der "Nachtwölfe" in Dolná Krupá vom 25.07.2018: Die historischen Panzer, die auf der Aufnahme erkennbar sind, wurden inzwischen abgezogen. Sie gehörten dem Slowakischen Verteidigungsminsterium, das ihre Rückgabe durchsetzte.

(Foto: REUTERS)

Vielmehr betrachtet die Motorrad-Gang ihr neues Zuhause als eine Verwaltungseinrichtung, in der die Aufnahmeanträge potenzieller Mitglieder aus Mittel- und Westeuropa bearbeitet werden sollen. Zudem plant sie, auf dem Gelände ein Museum zum Gedenken an sowjetische Motorradeinheiten einzurichten, die während des Zweiten Weltkriegs kämpften. So begründen die Biker auch die alten Militärfahrzeuge und -motorräder auf dem Gelände, die Kalnovič und viele andere Slowaken so sehr irritieren.

Legalisieren ließe sich ihr Status also nur, wenn die Auflage der landwirtschaftlichen Nutzung gestrichen würde. Und tatsächlich gibt es Hinweise, dass dies geschehen könnte. Denn so erbittert viele Bürger gegen die Anwesenheit der neuen Nachbarn sind, so viel Wohlwollen genießen diese im Stadtrat Dolná Krupás.

"Ich kann mir nicht vorstellen, dass das Banditen sind"

Um Befürchtungen zu zerstreuen, lud Hambalek sieben Stadträte auf das Gelände ein, das von einer zwei Meter hohen Mauer mit Stacheldraht umgeben ist. Seine Charmeoffensive verfing: "Es wäre ein sehr schönes Museum mit Exponaten, die man sonst nicht zu sehen bekommt", schwärmte die Stadträtin Jana Lehotová nach dem Besuch. Die drei Mitglieder der "Nachtwölfe", die sie während des zweistündigen Besuches kennengelernt habe, seien ihr sehr sympathisch gewesen: "Das sind ältere Leute und Familienväter. Ich kann mir nicht vorstellen, dass das Banditen sind. Es kommt mir vollkommen absurd vor, dass wir wegen ihnen so besorgt sind."

Teofil Mihalovič, der Bürgermeister Dolná Krupás, der den "Hangar 58" ebenfalls besuchte, findet sich so unversehens zwischen den Fronten wieder. Will er durchsetzen, dass das Gelände landwirtschaftlich genutzt werden muss, fehlt ihm im Stadtrat womöglich die Unterstützung. Lässt er eine anderweitige Nutzung zu, bringt er Aktivisten wie Kalnovič und Magula sowie ihre Unterstützer gegen sich auf.

Slowakei eignet sich besonders gut als Spielfeld des Kreml

Der Bürgermeister löste die Zwickmühle für sich einfach auf: Er erklärte sich für nicht zuständig. Die Entscheidungsgewalt liege bei der Bauaufsicht. Nun sieht es nach einer längeren bürokratischen Hängepartie aus, doch damit begegnet die Kommunalpolitik den "Nachtwölfen" auch nicht unentschlossener als die hohe Politik des Landes: Während das sozialdemokratisch geführte Innenministerium und die Polizei keine Unrechtmäßigkeiten erkennen wollen und sich auf die reine "Beobachtung" des Ablegers der russischen Biker-Truppe beschränken, zeigte sich das Außenministerium "beunruhigt": Das Tolerieren eines propagandistischen Basislagers der "Nachtwölfe", die als Unterstützer der russischen Krim-Annexion von den USA mit Sanktionen belegt wurden, stehe nicht mit der außenpolitischen Haltung der Slowakei als EU- und Nato-Mitglied in Einklang.

Als bekannt wurde, dass die "Nachtwölfe" die undurchsichtige slowakische Wehrsportgruppe "Slowakische Rekruten" ("Slovenski Branci") mindestens einmal in ihrem neuen Zuhause empfangen hatten, damit die Gäste dort paramilitärische Schießübungen durchführen konnten, rief das zudem das Verteidigungsministerium und den Verfassungsschutz auf den Plan. Sanktioniert wurden die "Nachtwölfe" deswegen aber nicht.

Daniel Milo vom slowakischen Think Tank Globsec hält die Diskrepanzen, die sich innerhalb der slowakischen Regierung beim Thema "Nachtwölfe" auftun, für eines der Ziele, die der Kreml mit der Unterstützung der Biker-Korona verfolgt: "Es ist eine altbekannte Strategie der hybriden Kriegsführung Moskaus, Differenzen in Ländern zu vertiefen, die als gegnerisch eingeschätzt werden", sagt der Experte für Sicherheitsfragen. "Das haben wir beim Brexit gesehen, bei dem Russland die Befürworter des Ausstiegs aus dem Euro unterstützt hat, ebenso wie bei etlichen Wahlen in Westeuropa und den USA, bei denen Populisten Moskaus Beistand erhielten, um den demokratischen Grundkonsens zu erschüttern."

Bei diesem Unterfangen sei die Slowakei für Russland ein besonders geeignetes Spielfeld. Studien belegten immer wieder aufs Neue, dass die Slowaken den Russen freundlicher gesonnen seien als andere Völker der Region: "Das reicht zurück ins 19. Jahrhundert, als die Slowakei eine eigene Nation begründen wollte, und sich dabei von Russland unterstützt fühlte", führt Milo als Grund für die Russophilie der Slowaken an: "Außerdem wurde das Land von den Russen im Zweiten Weltkrieg unter großen Opfern vom Faschismus befreit. Das wird ihnen immer noch hoch angerechnet."

Bei Präsidentschaftswahlen 2019 droht russische Einflussnahme

Die hybride Kriegsführung, wie sie etwa mit den Nachtwölfen betrieben werde, könne in der Slowakei daher größere Wirkung entfalten, als in anderen Ländern: "Einerseits ist es tatsächlich lächerlich, dass eine Handvoll Biker mit ein paar historischen Militärfahrzeugen auf einem abgelegenen Grundstück eine solche Aufregung auslösen", verdeutlicht Milo. Die Befürchtungen, dass von Dolná Krupá Sabotageakte gegen den nahe gelegenen Atommeiler Jaslovské Bohunice ausgehen könnten, seien vollkommen haltlos. "Andererseits können die langfristigen Auswirkungen durchaus erheblich sein. Die Russen bringen hier jetzt den Fuß in die Tür und weiten ihren Einfluss dann peu à peu aus, etwa indem sie Netzwerke mit russlandfreundlichen Gruppierungen wie den 'Slowakischen Rekruten' aufbauen."

Nächstes Jahr sind Präsidentschaftswahlen. Der derzeitige Amtsinhaber, der EU-freundliche Atlantiker Andrej Kiska wird nicht mehr antreten, stattdessen liefen sich schon einige Russland-freundliche Kandidaten warm, sagt der Experte. "Wir können uns darauf einstellen, dass der Kreml versuchen wird, Einfluss zu nehmen. Wir brauchen endlich eine Strategie gegen die hybride Kriegsführung des 21. Jahrhunderts." Schließlich würden Kriege heute nicht mehr mit Panzern geführt, sondern mit Desinformations- und Propagandakampagnen, Cyberattacken - und wenn es sein muss auch mit Rockern.

"Nachtwölfe" in der Slowakei: Russophilie in der Slowakei: Ein Mitglied der "Slowakischen Rekruten" (links mit Bart) und ein Biker mit aufgenähter russischer und slowakischer Flagge auf der Jacke besuchen am 27. Juli 2018 eine Kundgebung der "Nachtwölfe" vor der Russischen Botschaft in Bratislava.

Russophilie in der Slowakei: Ein Mitglied der "Slowakischen Rekruten" (links mit Bart) und ein Biker mit aufgenähter russischer und slowakischer Flagge auf der Jacke besuchen am 27. Juli 2018 eine Kundgebung der "Nachtwölfe" vor der Russischen Botschaft in Bratislava.

(Foto: AFP)
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