Nach Volksabstimmung zu Stuttgart 21:Seht alle her, die CDU im Ländle ist wieder wer!

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Eine Partei feiert Wiederauferstehung: Nach dem klaren Votum der Baden-Württemberger für das Bahnhofsprojekt Stuttgart 21 lässt die CDU die Korken knallen. Fraktionschef Peter Hauk verkündet die Rückkehr zu alter Stärke, sein Stellvertreter watscht die SPD ab. Und manch Konservativer revanchiert sich auf brachiale Art für die monatelangen Demütigungen durch die S21-Gegner.

Michael König, Stuttgart

"Lügenpack, Lügenpack", rufen zwei Dutzend Menschen auf der Empore des dritten Stock des Landtags. Unten steht ein Politiker und versteht sein eigenes Wort nicht mehr. Diese Konstellation ist eigentlich nichts Neues in Stuttgart. Wer in der Vergangenheit für das Bahnprojekt Stuttgart 21 war, der musste sich Schimpfwörter anhören. Gerufen von den Gegnern des Tiefbahnhofs, die ihrer Wut freien Lauf ließen.

Vom Ergebnis der Volksabstimmung sichtlich begeistert: Der Vorsitzende der CDU-Fraktion im Landtag von Baden-Württemberg, Peter Hauk (links), und sein Parteifreund, der Stuttgarter Oberbürgermeister Wolfgang Schuster. (Foto: dapd)

An diesem Abend ist alles anders: Der Politiker ist kein konservativer Bahnhofsbefürworter, sondern Boris Palmer, Wortführer der S21-Gegner und grüner Tübinger Oberbürgermeister. Und jene, die ihn lautstark beschimpfen und niederbrüllen, stammen aus den Reihen der CDU. Sie haben sich den Schlachtruf der Konkurrenz kurzerhand zu Eigen gemacht. Jetzt, wo ihre Stunde gekommen ist, verzichten die Befürworter auf den Anstand, dessen Fehlen sie bei den Gegnern lange getadelt haben.

Für die Konservativen ist es ein traumhaft schöner Abend in Stuttgart. Je mehr Ergebnisse aus den baden-württembergischen Land- und Stadtkreisen im Landtag bekannt werden, desto lauter brandet der Jubel auf. Früh wird klar, dass die Volksabstimmung über Stuttgart 21 zugunsten der CDU-Position ausgehen wird. Knapp 59 Prozent stimmen am Ende gegen den Ausstieg aus der Finanzierung durch das Land. Der Tiefbahnhof wird kommen, allem Widerstand zum Trotz.

Für die Union bedeutet das eine späte Genugtuung. Bei der Landtagswahl im Mai hatte sie die Macht in Baden-Württemberg abgeben müssen, nach 58 Jahren ununterbrochener Regentschaft. Tanja Gönner war damals ihren Job als Verkehrsministerin los, sie sitzt nun als Abgeordnete im Landtag. An diesem Sonntagabend steht sie mit strahlendem Lächeln und einer Bierflasche in der Hand vor den Info-Leinwänden und sagt im Gespräch mit sueddeutsche.de: "Für die alte Landesregierung ist es erfreulich zu sehen, dass wir nicht falsch lagen. Und das tut uns gut."

Kretschmann gibt sich kleinlaut

Je näher das Endergebnis rückt, desto ausgelassener wird die Stimmung. Zum Nachteil von Ministerpräsident Winfried Kretschmann, der mit Buhrufen und hämischen Kommentaren bedacht wird. "Hermann raus, Hermann raus", skandieren zwei Dutzend Unions-Anhänger, als der grüne Landesvater auf seinen Verkehrsminister, den überzeugten S21-Gegner Winfried Hermann, angesprochen wird.

Kretschmann gibt sich kleinlaut. Er sagt, er werde Hermann nicht entlassen. Er nehme den Auftrag des Volkes an und werde das Projekt von nun an als sein eigenes begreifen. Später, viel später steigt CDU-Fraktionschef Peter Hauk auf eine Bierbank, vor ihm steht ein schäumendes Glas Sekt auf dem Tisch. "Wie hat der Kretschmann gesagt? Wir nehmen das Ergebnis mit aller Freude und Demut." Hauk erntet schallendes Gelächter von seinen Parteifreunden. Ein Gefühl macht sich breit, eine Stimmung, die lange vermisst worden war: Sehr her, die CDU im Ländle ist wieder wer.

Nach der Landtagswahl vor sechs Monaten war sie als Auslaufmodell betrachtet worden. Grün-Rot gehörte die Zukunft. Während Grüne und Genossen gemeinsam feierten, blieben die CDU-Tische auf der Fraktionsebene des Landtags leer. Jetzt, nach der Volksabstimmung, sitzen die Parteifreunde an derselben Stelle dicht an dicht. Einer läuft mit zwei Kameraden zu den Stehtischen der Grünen herüber, die gleich nebenan stehen. Sie sind verwaist. Der CDUler zückt sein Smartphone, knipst die triste Szenerie und sagt lächelnd: "Wenn ich das bei Facebook poste ..."

Andere Unionisten sind weniger schadenfroh, aber nicht minder selbstbewusst. Fraktionschef Hauk hält aus dem Stegreif eine Rede, wie sie nur ein Wahlsieger halten kann. "Das ist ein tolles Ergebnis, wenn man sich überlegt, wie schwer wir es hatten", sagt er, noch immer auf der Bierbank stehend. "Wir sind die einzige kampagnenfähige Kraft. Wir sind die Einzigen, die Rückgrat gezeigt haben. Wir waren engagiert und geschlossen. Wir haben uns als Volkspartei gezeigt. Das wird uns ein Stück weit Auftrieb geben für die Zukunft."

Sein Stellvertreter Winfried Mack geht im Gespräch mit sueddeutsche.de noch weiter: "Für die verletzte Seele der CDU ist das eine tolle Sache", sagt er. Die Mehrheit der Bevölkerung sei offenkundig doch konservativ. Die SPD müsse sich fragen, ob sie in der richtigen Koalition sei: "Wenn sie bei Grün-Rot bleibt, wird sie bei der nächsten Wahl bei 18 Prozent stehen."

Im Übrigen sei es "sehr wahrscheinlich", dass der wegen seiner S21-Unterstützung heftig kritisierte Stuttgarter Oberbürgermeister Wolfgang Schuster bei der Wahl im Herbst 2012 wiedergewählt würde, sagt Mack und fügt lächelnd hinzu: "Ich habe ihm heute auch schon gratuliert."

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