Nahostkonflikt:"Wer sich gegenseitig kennt, der lernt sich schätzen"

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Durmuş Aksoy (re.) und Abraham Lehrer (li.) sprechen sich gegenseitig ihr Mitgefühl aus. Zusammengebracht hat sie NRW-Staatsminister Nathanael Liminski. (Foto: Bernd Thissen/dpa)

In Nordrhein-Westfalen läuft ein wohl bundesweit einzigartiger Versuch: Schon zum zweiten Mal während des Kriegs in Nahost treffen sich Vertreter jüdischer und muslimischer Verbände, um sich Beistand zu versichern.

Von Christian Wernicke, Bochum

Manche Spuren konnten die Gläubigen abwischen. Die beiden Davidsterne und das Hakenkreuz, die Unbekannte vor zwölf Tagen nachts an den Nebeneingang der Türkisch-Islamischen Moschee in Bochum-Dahlhausen gekrakelt hatten, haben sie mühsam weggescheuert. Aber die bräunlichen Brandflecken an der Kunststoffjalousie sind noch da. Genauso wie die Angst, die viele Muslime in diesem Arbeiterviertel plagt, wenn sie zum Gebet in die Eiberger Straße kommen.

Die Moschee, eine ehemalige Kneipe, ist kein prunkvoller Bau. Das fliederfarbene Gebäude zeigt Löcher im Putz und das Licht drinnen im Konferenzsaal bleibt schummrig. Doch genau hier haben sich am Freitagvormittag Vertreter jüdischer und muslimischer Verbände getroffen, um sich gegenseitig Beistand und Mitgefühl zu versichern - während aus dem Nahen Osten täglich neue Bilder von Terror und Krieg zwischen Israel und den Palästinensern kommen.

Der Chef des Zentralrats der Muslime in NRW bedauert, dass Juden Angst haben müssen

"Die Situation ist hochgradig emotionalisiert," warnt Nathanael Liminski. Der nordrhein-westfälische Staatsminister hat beide Seiten zusammengebracht; und zu Beginn des knapp zweistündigen Dialogs äußert der CDU-Politiker sogar Hoffnung. "Wir sprechen Klartext miteinander, das zahlt sich aus," sagt er den Journalisten, die draußen im Nieselregen warten, "Insofern liegt in dieser Krise vielleicht auch eine Chance für das Miteinander in unserem Land."

Später, gegen Ende ihrer Begegnung, sprechen Juden und Muslime jedenfalls vor allem vom Leid der anderen. Abraham Lehrer, Vorstand der Kölner Synagogengemeinde und Vizepräsident des Zentralrats der Juden in Deutschland, verurteilt als erstes den versuchten Brandanschlag in Bochum. "Ein Gotteshaus zu schänden ist immer etwas Fürchterliches." Und Samir Bouaissa, der Vorsitzende des Zentralrats der Muslime in NRW, bedauert, dass Juden in Deutschland sich kaum mehr trauen, ihre Kippa öffentlich zu tragen: "Genauso wie wir wollen, dass muslimische Frauen mit Kopftuch unbehelligt über die Straße gehen können - genauso wollen wir, dass jüdische Menschen nicht dafür behelligt werden, dass sie ihren Glauben leben."

Bräunliche Brandflecken an der Kunststoffjalousie der Türkisch-Islamischen Moschee in Bochum-Dahlhausen. (Foto: Christian Wernicke)

Bouaissa ist es auch, der den Sinn dieses noch sehr neuen Dialogs auf den Punkt bringt: "Wer sich gegenseitig kennt, der lernt sich schätzen." Jüdische und muslimische Kinder in Deutschland sollten sich "als Geschwister, nicht als Feinde empfinden." Die Verbandsvertreter beider Religionen begegnen sich in dieser Woche bereits zum zweiten Mal: Erst am Montag hatten die Vertreter der vier größten muslimischen Verbände im Bundesland die alte Synagoge in Köln besucht, um damit ein Zeichen zu setzen gegen die Terrorattacken der Hamas am 7. Oktober.

Angefangen hatte dieser bundesweit wohl einzigartige Versuch in NRW vor knapp zwei Wochen. Da hatten die muslimischen Religionsgemeinschaften nach einem Treffen mit Minister Liminski in der Düsseldorfer Staatskanzlei "die "Gräueltaten der Hamas" gegeißelt und verlangt, unverzüglich alle Geiseln freizulassen. In einer Erklärung verwahrten sie sich außerdem dagegen, "dass die terroristischen Angriffe der Hamas auf unseren Straßen bejubelt oder auch nur relativiert werden."

Abraham Lehrer hofft auf einen "Ruck", der durch die Gesellschaft geht

Am Freitag versprachen die Muslime erneut, diese Botschaft unter ihren Gläubigen zu verbreiten. Das versprach auch Durmuş Aksoy, der Landeschef der Ditib-Gemeinden in NRW. Der Ditib-Verband ist finanziell abhängig von Ankaras Religionsbehörde Diyanet; auf Fragen nach Präsident Recep Tayyip Erdoğan, der die Hamas als "Befreiungsorganisation" belobigt hatte, weicht Aksoy aus: "Wir machen keine Politik, wir sind eine Religionsgemeinschaft." Die vielbeachtete Erklärung aus NRW findet sich bisher nicht auf der Ditib-Website - aber, so Aksoy, "das ist Theorie - wir machen das Praktische."

Abraham Lehrer wünscht sich, dass diese Botschaft in den Moscheen ankommt. Genauso wie er hofft, dass die pro-israelische Haltung der hohen deutschen Politik die ganze Bevölkerung erreicht. Früher habe es nach Anschlägen oder Terror Lichterketten gegeben - oder Aktionen wie das öffentliche Tragen der Kippa. "Das vermissen wir bisher," sagt Lehrer, "uns fehlt dieser Ruck durch die deutsche Gesellschaft."

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