Merkel-Rückzug:Die große Zeitenwende ist eine Chance für die CDU

Angela Merkel

Will nach 18 Jahren an der Parteispitze nicht mehr für den CDU-Vorsitz kandidieren: Angela Merkel.

(Foto: dpa)

Die Partei steht nach fast 20 Jahren Merkel vor einem Neuanfang. Das ist mutig und nicht ohne Risiko. Aber der Schritt war überfällig.

Kommentar von Stefan Braun, Berlin

Viele haben es bis zuletzt nicht für möglich gehalten: Angela Merkel verzichtet auf den Parteivorsitz? Sie gibt von alleine auf? Die Kanzlerin macht Platz für andere? Das galt nach ihrem langen Kampf gegen zahlreiche Widersacher als unwahrscheinlich. Und es hat für einen solchen Schritt in den Reihen der Christdemokraten auch kein Vorbild gegeben.

Aber: Der Schritt passt eben doch zu jener Frau, die seit Beginn ihrer politischen Karriere stets betont nüchtern bis kalt mit Karrieren umging. Bislang bezog sich das stets auf die Karrieren anderer, jetzt gilt es auch für ihre eigene. Das ist nur konsequent und verdient Respekt. Auch wenn das auf den ersten Blick absurd klingen mag: Angela Merkel ist sich damit selbst treu geblieben.

Merkel gibt den Parteivorsitz ab und will 2021 nicht erneut als Kanzlerin kandidieren; bis zum Ende der Legislaturperiode möchte sie aber Regierungschefin bleiben. So verständlich dieses Bemühen sein mag - es ist vollkommen offen, ob das möglich sein wird.

Eng damit verknüpft nämlich ist die Frage, wer sich auf dem Parteitag im Dezember in Hamburg tatsächlich als ihr Nachfolger durchsetzen wird. Wird Gesundheitsminister Jens Spahn, ein scharfer Kritiker Merkels, der nächste CDU-Chef? Oder die bisherige Generalsekretärin Annegret Kramp-Karrenbauer, die noch am Vormittag in den Parteigremien ihre Kandidatur erklärt hat? Mit Kramp-Karrenbauer wäre die von Merkel erhoffte Tandemlösung durchaus möglich. Die beiden Frauen sind sich sehr vertraut; aggressive Konkurrenz wäre nicht zu erwarten.

Ob Merz eine Chance hat, hängt vor allem von ihm selbst ab

Aber es ist wahrscheinlich komplizierter: Will die CDU tatsächlich den Trend brechen, will sie sich wirklich neuen Elan geben und so etwas wie einen echten Neuanfang wagen, dann könnte diese Art der Nachfolgelösung zu klein sein.

Genau auf dieses Bedürfnis zielt die Erklärung von Friedrich Merz, dem früheren CDU-Fraktionschef. Dass Merz seine Bereitschaft zur Kandidatur genau in dem Moment öffentlich machte, in dem erste Berichte über Merkels Verzicht an die Öffentlichkeit drangen, zeigt präzise, dass er einer schnellen und für Merkel besonders friedlichen Lösung zuvorkommen wollte.

Hätte Merkel mit ihrer Rücktrittsankündigung sofort den Namen von Annegret Kramp-Karrenbauer verbunden, wäre Merz in die Rolle desjenigen geraten, der den Frieden stört. Jetzt ist sein Name der erste, damit tritt er erst einmal nur als er selbst an. Merkel selbst weigert sich bei ihrer Pressekonferenz, eine Nachfolge-Empfehlung abzugeben, freut sich auf eine "Phase von Möglichkeiten".

Viele in der CDU sehnen sich nach neuem Schwung und einem Vorsitzenden mit Leidenschaft und Mut. Aber sie wollen auf keinen Fall, dass sich die CDU spaltet - und das heißt auch: Sie wollen nicht, dass die Zeit der CDU-Vorsitzenden Angela Merkel nur verteufelt und zurückgedreht wird. Errungenschaften, auch Veränderungen in der Familienpolitik, in der Vereinbarung von Beruf und Familie, will kaum jemand umdrehen.

Offenkundig hat auch die Kanzlerin erkannt, dass sie nicht mehr genügend neue Kraft und neue Ideen parat hat, um sich gegen den negativen Trend der letzten Monate zu stellen. Genau das nämlich hätte es eigentlich längst gebraucht, um der Koalition und der CDU neue und vor allem positive Leidenschaft mitzugeben.

Nun werden viele sagen, diese Leidenschaft habe Merkel nie gehabt. Das aber ist falsch. Wer sie genauer kennt und erlebt hat, der weiß, dass sie ihre politische Aufgabe immer mit großer Leidenschaft ausgeübt hat. Aber sie war nur in den seltensten Fällen in der Lage, sie mit großem Impuls nach außen zu tragen. Sie wirkte dabei selten ansteckend. Ihr Markenzeichen war die Nüchternheit, die Ruhe, das Abwägen. Und das hat in großen Krisen zunächst genau so gewirkt, wie sie es bezweckte: beruhigend und vertrauensbildend.

Seit dem Aufstieg der AfD und der negativen Energie, mit der das vor allem seit dem Flüchtlingssommer 2015 vonstatten ging, wirkte Merkels Politikstil nicht mehr nur klug, sondern defensiv. Mit Nüchternheit allein konnte sie der eigenen Partei keine Energie mehr verleihen. Aggression muss man nicht mit Aggressionen beantworten. Aber es braucht Leidenschaft und Energie, um der negativen Kraft der rechtsradikalen Gegner etwas Adäquates entgegen zu setzen.

Die Hoffnung darauf müssen nun andere erfüllen. Ob Annegret Kramp-Karrenbauer, ob Friedrich Merz, Jens Spahn oder andere. Eines aber steht mit diesem 29. Oktober 2018 fest: Die CDU steht nach fast 20 Jahren Merkel vor einem Neuanfang. Das ist mutig und nicht ohne Risiko. Aber es ist nach Lage der Dinge unverzichtbar geworden.

Und es ist, wenn die CDU nicht im Streit zerfällt, sondern genau jetzt ein bisschen kollektive Klugheit entwickelt, eine große Chance. Die Chance nämlich, mit Leidenschaft und ohne Vergiftungen Demokratie vorzuleben. Nichts braucht die CDU, nichts braucht die Gesellschaft derzeit mehr als leidenschaftliche Demokraten. Gerade auf einem CDU-Parteitag; gerade in schwierigen Zeiten.

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